Die Szenen zählen zum festen Bestandteil der TV-Berichterstattung über die Spiele von Borussia Dortmund. Irgendwann, scheinbar unabhängig vom Spielstand, sucht Niko Kovac das Gespräch mit Karim Adeyemi. Oft nutzt der Trainer eine Verletzungsunterbrechung, winkt sich den Stürmer heran, legt ihm den Arm auf die Schultern und sagt ihm etwas.

Der Inhalt dieser sich stets wiederholenden Unterredungen ist für jeden, der die Entwicklung von Adeyemi in den letzten Wochen der vergangenen Saison und vor allem seine starken Leistungen in der neuen Spielzeit verfolgt, ein leicht zu durchschauendes Geheimnis: Es sind ständige Erinnerungen an das Leistungsversprechen, das Kovac dem 23 Jahre alten, hoch veranlagten, aber lange auch extrem launischen Stürmer, abgenommen hat.

Nachdem Adeyemi beim 1:0 gegen den VfL Wolfsburg das Siegtor erzielt hat, sprach Kovac über die Gründe, warum der Offensivspieler aktuell regelmäßig abliefert und kaum etwas schuldig bleibt. „Ich habe ihm gesagt: Karim, du bist ein toller Stürmer – aber du musst nach hinten arbeiten“, so der Trainer auf die Frage, warum Adeyemi nicht nur seine offensiven Trümpfe ausspielt und Tore erzielt, sondern auch so mannschaftsdienlich spielt.

„Es lässt sich noch nicht sagen, dass ich konstant gut bin“, sagt Adeyemi

Fußball kann manchmal bestechend einfach sein: Weil Kovac Adeyemi ständig darauf hinweist, die Grundlagen nicht zu vergessen, tut dieser es auch nicht. Und so wurde aus einem Spieler, der in den über drei Dortmunder Jahren die Fans und Trainer oft durch seine Gedankenlosigkeit zur Weißglut gebracht hatte, zu einem echten Leistungsträger. Beim 2:0 zuletzt in Mainz erzielte er nach einem tollen Sololauf und einem Doppelpass mit Julian Brandt sein drittes Tor im dritten Pflichtspiel hintereinander. Hinzu kommen zwei Treffer, die er vorbereitete, sowie eine Reihe weiterer gefährlicher Aktionen, die er kreierte: mit seiner Schnelligkeit, seinen Dribblings, seiner offensiven Intuition.

Mittwoch, wenn der BVB Athletic Bilbao in der Champions League empfangen wird (21.00 Uhr/DAZN) dürfte Adeyemi wieder im Blickpunkt stehen. Denn die Entwicklung, die der geborene Münchener unter Kovac nahm, ist auch international registriert worden. Juventus Turin, wo die Dortmunder zum Auftakt zu einem 4:4 gekommen waren, hatte schon Ende der vergangenen Saison seine Fühler ausgestreckt. Nun soll auch der FC Barcelona aufmerksam geworden sein. Adeyemi dürfte dadurch weiter an Selbstvertrauen gewinnen.

Derzeit erweckt er zudem den Eindruck, dass er an Reife zugelegt hat. Das unterstreichen seine Aussagen. „Seit fünf Spielen spiele ich ganz gut. Aber es lässt sich noch nicht sagen, dass ich konstant gut bin. Dazu bräuchte ich noch mehr Spiele auf dem Niveau“, erklärte er. Daraus spricht Selbstreflexion.

Das dürfte auch Julian Nagelsmann zur Kenntnis nehmen. Seit März, als Adeyemis Formanstieg einsetzte, gehört er wieder zum Kreis der deutschen Nationalmannschaft und war für den Bundestrainer zumindest wieder eine Einwechseloption. Wenn es im Oktober gegen Luxemburg und Nordirland in der WM-Qualifikation geht, könnte er schon etwas mehr sein. Zumindest würde Nagelsmann bei Adeyemis Entwicklung nicht in Erklärungsnot geraten, wenn er ihn starten lässt.

Auch für einen anderen Dortmunder könnte es in der WM-Saison wieder eine Perspektive in der DFB-Auswahl geben: Julian Brandt. Der Kreativspieler ist dabei, sich aus einem tiefen Tal herauszuarbeiten. Auch der 29-Jährige, dessen Nationalmannschaftskarriere fast schon als beendet gegolten hatte, bekommt dabei Unterstützung seines Trainers. „Julian ist ein sehr wichtiger Spieler für uns, einer der besten deutschen Spieler, die es auf dieser Position gibt“, sagte Niko Kovac, nachdem Brandt am Samstag in Mainz ein bemerkenswertes Comeback nach einer Hand-Operation gegeben hatte. Erst kurz vor Anpfiff war er nach einer Verletzung von Serhou Guirassy in die Mannschaft gerückt. Er bedankte sich, indem er gleich beide Treffer vorbereitete.

Brandt hat wie Adeyemi erheblich von Kovac profitiert – wenn auch beide als Spieler und Charaktere sehr verschieden sind. Während Adeyemis Problem seine Sorglosigkeit war, litt Brandt unter dem Druck, den er sich selbst machte. Der frühere Leverkusener, dessen Vertrag mit dem BVB zum Saisonende ausläuft, hatte sich die Pfiffe, mit denen er in der vergangenen Saison oft bedacht worden war, sehr zu Herzen genommen. Er verkrampfte. Kovac redete ihn stark, verglich Brandt öffentlich mit Florian Wirtz und Jamal Musiala. Dafür wurde der erfahrene Coach milde belächelt.

Doch Kovac wusste, was tat. Er gab seinen Sorgenkindern das, was sie benötigen: Er flutete den sensiblen Brandt mit Lob und Verständnis – und erinnerte den zum Laissez-faire neigenden Adeyemi an seine Verantwortung. Damit hat sich Kovac zwei Faktoren für den Aufschwung beim BVB geschaffen – sowie Julian Nagelsmann zwei interessante Alternativen für die WM-Qualifikation und die WM im kommenden Jahr.

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