Ein Fußballtrikot ist weit mehr als ein Stück Stoff. Das mussten auch die Verantwortlichen von Borussia Dortmund schmerzlich erfahren. Für ihr neues Auswärtstrikot gab es von den Fans des BVB nur ein Urteil: durchgefallen. „Wir wollen schwarz-gelbe Trikots, schwarz-gelbe Trikots“, skandierten die mitgereisten Anhänger beim Bundesligaspiel in Heidenheim und legten in Bannerform nach: „Das grausamste Trikot der Liga“ hieß es da. Und weiter: „Grau bleibt im Leben alle Theorie – Borussia bleibt schwarz-gelb.“

Von den traditionellen Vereinsfarben, so die Kritik, ist auf besagtem Jersey höchstens akzentuiert etwas zu sehen. Stattdessen dominieren große Grauflächen. 100 Prozent Polyester, 110 Prozent Entfremdung im eigenen Lager. Für die Marketingabteilung rund um den verantwortlichen Geschäftsführer, Carsten Cramer, sind derartige Proteste schlechte Nachrichten. Der modische Fehltritt in Trikotform dürfte wohl kaum zum Verkaufsschlager werden.

Wie es besser geht, haben andere Vereine vorgemacht. Das weiße Heimtrikot des Hamburger SV mit den blau-schwarzen Zacken wurde allein an den ersten beiden Tagen nach Veröffentlichung weit mehr als 10.000-mal verkauft – nach Angaben des Vereins ein noch nie dagewesener Andrang, der allerdings auch dem Bundesligaaufstieg geschuldet sein dürfte.

Der Hype beim FC Augsburg, der in den vergangenen Monaten die römischen Ursprünge der Stadt für seine Marketingzwecke entdeckt hat, war derart groß, dass das als Ausweichjersey genutzte „Römertrikot“ nach weniger als zwei Tagen vorläufig ausverkauft war – 28.000 Exemplare gingen weg wie warme Semmeln. Mittlerweile hat der FCA das Trikot ohne Limitierung neu aufgelegt.

Das Fußballjersey ist längst mehr als Mittel zum Zweck des Spiels, also zum Auseinanderhalten der beiden Mannschaften auf dem Feld. Es ist Statussymbol unter Fans gleichermaßen wie Mode-Accessoire und Sammlerstück – und für die Vereine längst zur unverzichtbaren Einnahmequelle geworden.

2,9 Millionen Trikots von den Bundesligaklubs

„Wenn man die Merchandising-Verantwortlichen nach ihren drei Bestsellern fragt, dann sagen diese: ‚Erstens Trikot, zweitens Trikot, drittens Trikot‘. Das Trikot hat schon eine große Bedeutung“, sagt Peter Rohlmann. Er ist Inhaber der Beraterfirma PR Marketing und veröffentlicht seit Jahren Daten und Studien zum Geschäft mit dem begehrten Stoff. Für die neue Saison rechnet er für die 18 Bundesligavereine mit 2,9 Millionen verkauften Jerseys.

Wie viel Geld die Vereine konkret mit den Trikotverkäufen einnehmen, ist schwer zu erfassen, da dieser Posten zumeist in die gesamten Fanartikelverkäufe eingerechnet wird. Experte Rohlmann hat trotzdem eine Orientierung: „Je größer ein Verein ist und je größer das Fanartikel-Sortiment, desto kleiner ist der Trikotanteil an den Merchandising-Einnahmen. Er liegt aber mindestens bei 20 bis 25 Prozent, selbst bei größeren Vereinen“, sagt der Experte: „In der Zweiten oder Dritten Liga, wo die Sortimente teilweise nur 200 Artikel umfassen, können es auch mal 50 bis 60 Prozent oder sogar mehr sein.“

Der FC Bayern verdiente durch Merchandising in der Saison 2023/2024 135,1 Millionen Euro, wie die Bilanz des Vereins zeigt. Auch wenn der genaue Trikotanteil nicht übermittelt ist, zeigt Rohmanns Prozentrechnung: Schon bei lediglich 20 Prozent wären das knapp über 27 Millionen Euro. Dazu kommt der Deal mit Ausrüster Adidas, der pro Jahr mindestens 60 Millionen Euro bringen soll.

Es gab durchaus andere Zeiten. Noch zum Start der Bundesliga im Jahr 1963 spielte das Trikot praktisch keine Rolle, schon gar nicht als Wirtschaftsfaktor. „Zum Bundesliga-Start wurde noch in klassischen Baumwolltrikots gespielt, meistens sogar ohne Vereinswappen. Die Trikots wurden nicht von einem Hersteller abgenommen, sondern vor Ort von einem Sporthändler eingekauft. Es wurde nach Katalog bestellt. Das ging bis Anfang der 1980er-Jahre so“, erklärt Stefan Appenowitz, Autor mehrerer trikothistorischer Bücher und Herausgeber des Newsletters „Stoffkunde“.

Erst dann ging es mit der Vermarktung der Trikots als Produkt für Fans los. Pionier war Uli Hoeneß, damals Managerneuling bei den Bayern. Er stieg, getrieben vom viel weiter vorangeschrittenen Merchandising in den USA, aus der damals geltenden zentralen Vereinbarung in der Bundesliga – alle Klubs bekamen rund 50.000 D-Mark aus einem Topf – aus und organisierte die Vermarktung selbst. Die anderen Vereine sahen den Erfolg und zogen nach.

Es dauerte allerdings noch etliche Jahre, bis sich jene Industrie rund um die Trikots entwickelte, wie wir sie heute kennen. „Richtig los mit einem Verkauf, bei dem sich sagen lässt, dass es ein richtiges Business ist, ging es erst Mitte der 1990er-Jahre. Das ging mit der Einführung der individuellen Trikotnummern und dem Namen der Spieler auf dem Rücken einher“, sagt Appenowitz. Was danach passierte, bezeichnet er mit seinen Co-Autoren Matthias Gorke und Stefan Hermanns in dem Buch über die Trikotgeschichte von Borussia Mönchengladbach als „Goldgräberstimmung“. Die Effekte beschreiben die Autoren so: „Der Trikotabsatz gewinnt dabei immer mehr an Bedeutung. Damit einhergehend steigen allerdings auch die Verkaufspreise.“

Die steigenden Preise sind eine Entwicklung, die nie wieder gestoppt wurde. Stattdessen fand sie – aus Sicht der Fans – in dieser Saison ihren unrühmlichen Höhepunkt. 91,07 Euro kostet ein Bundesliga-Heimtrikot ohne Beflockung durchschnittlich in dieser Saison, so viel wie nie zuvor. Das zeigen Daten aus dem „Fankosten-Index“ von Peter Rohlmann. Es ist ein Anstieg um 4,1 Prozent im Vergleich zur Vorsaison. Seit der Spielzeit 2010/2011 fällt die Preissteigerung noch krasser aus – 37,67 Prozent sind es im Langzeitvergleich. Damals kostete ein Trikot im Schnitt 66,56 Euro.

Genau die Hälfte der Bundesliga hat die Preise zur neuen Saison angehoben. Mit dem FC Bayern, Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt liegen drei Vereine über der neuralgischen Marke von 100 Euro, mit dem HSV und Union Berlin kratzen zwei weitere Klubs an ihr – beide liegen bei 99,95 Euro.

Experte Rohlmann sieht für die Verteuerung mehrere Gründe. „Durch verschiedene Faktoren, etwa Corona oder geopolitische Krisen, haben sich bestimmte Kosten erhöht. Das geht beim Material und dem Rohstoffanbau los, auch Schiffsraten sind wahnsinnig gestiegen. Dadurch werden Trikots teurer. Aber die Fans werden auch gerupft, das ist keine Frage“, sagt er und belegt seine Aussage mit einem Vergleich zur allgemeinen Inflation. „Das würden wir sogar noch deutlicher sehen, wenn wir diese extremen Preissteigerungen bei den allgemeinen Lebenskosten – Mieten, Lebensmittel, Benzin und so weiter – durch die Corona-Pandemie nicht erlebt hätten. Vorher sind die sogenannten Fankosten viel stärker gestiegen als die sonstigen Lebenskosten. In den vergangenen vier, fünf Jahren hat sich das etwas angenähert.“

Wie weit können es die Vereine noch auf die Spitze treiben? Beim Blick in die Zukunft sind die Experten unterschiedlicher Meinung. Rohlmann sieht die Vereine an einem Wendepunkt. „Ich habe schon vor fünf Jahren gesagt, dass die Vereine Gefahr laufen, dass sie neben aller ohnehin vorhandener Kritik an der Überkommerzialisierung des Fußballs für ihre Trikotpreise in die Kritik geraten, wenn die Grenze von 100 Euro überschritten wird“, sagt er: „Die Vereine sind an einem kritischen Punkt. Sie müssen wirklich aufpassen, dass sie es nicht überdrehen. Ansonsten kann sich noch mehr Widerstand formen – und bei den Verkäufen für einen Rückschlag sorgen.“

Appenowitz hingegen glaubt, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sei. „Die Vereine werden es bei den Trikotpreisen so lange ausreizen, bis irgendwann eine Grenze erreicht ist. Es wird Trikots geben, die auch für 150 Euro noch gekauft werden. Aber vielleicht nicht mehr in der Masse, weil sich das dann viele Menschen nicht mehr leisten können oder wollen“, sagt der Autor.

Der Sondertrikot-Boom

Bislang zeigt sich im Spiel aus Angebot und Nachfrage ein Paradox: Während die Trikots Jahr für Jahr teurer werden, greifen die Fans trotzdem munter zu. Das jedenfalls zeigen die Absatzzahlen der Vereine ebenso wie ein Trend, der erst in den vergangenen sechs Jahren so richtig Einzug in den Profifußball gehalten hat und regelmäßig die Online-Shops der Vereine lahmlegt.

Beispielhaft offenbart sich dieser gerade am FC Bayern. Hellbeige kommt das neue Oberteil daher mit grünen Akzenten an den Schultern. Es soll die Farbkombination einer bayerischen Tracht widerspiegeln. Das Trikot setzt eine Tradition beim Rekordmeister fort: Zum Oktoberfest gibt es ein entsprechendes Sondertrikot, am Freitagabend spielt der Rekordmeister gegen Werder Bremen in der „Special Edition“.

Ob Volksfest, Vereinsjubiläum, Karneval oder Verbreitung gesellschaftlicher Statements – die Vereine fluten den Markt mittlerweile zusätzlich zu Heim-, Auswärts-, Ausweich- und teilweise Pokal- oder Europapokaltrikots auch noch mit Sondereditionen. 2007/2008, in der Saison, als die DFL solche Sondertrikots offiziell erlaubt hat, waren es im deutschen Profifußball gerade mal drei, zeigen Zahlen aus einer Studie von PR Marketing. In der vergangenen Saison wurden dann 44 gezählt – Rekord.

Auch in der noch jungen aktuellen Spielzeit ging es schon munter los: Die Bayern mit ihrem Wiesn-Trikot, der VfB Stuttgart zu Ehren von „100 Jahre Brustring“ und der VfL Wolfsburg anlässlich des 80-jährigen Vereinsjubiläums haben bereits Sondertrikots auf den Markt gebracht. Zählt man das Conference-League-Trikot von Mainz 05, das als Sondertrikot gebrandet wird, und das Jubiläumstrikot zum 125. Geburtstag von Borussia Mönchengladbach, das vor der Saison veröffentlicht und nicht in einem Ligaspiel getragen wurde, dazu, sind es sogar noch zwei mehr.

„Dieses Überangebot an Sondertrikots ist kritisch zu sehen. Es passt, dass viele die Überkommerzialisierung des Fußballs ohnehin nicht gut finden und sich auch an den veränderten Trikots, die nicht mehr mit der sogenannten DNA eines Vereins zusammenpassen, stören. Deswegen muss man als Verein aufpassen, dass man bei seinen Fans nicht übers Ziel hinausschießt“, warnt Rohlmann.

Ausgereizt haben die Vereine das Mögliche aber noch lange nicht. Schließlich erlaubt die DFL in ihren Regularien zwei Sondertrikots pro Saison und Verein, dazu an zwei Spieltagen Werbung für Wohltätigkeitsorganisation anstatt für den Sponsor. Und noch mal an zwei aufeinanderfolgenden Spieltagen ein Sonderemblem statt des Ärmelsponsors. Sechs unterschiedliche Varianten pro Verein wären so zusätzlich zu den normalen Trikots möglich. Gut möglich, dass die Fans im Dschungel der Sondereditionen bald endgültig den Überblick verlieren.

Luca Wiecek ist Sportredakteur bei WELT. In seinem Kleiderschrank liegen aktuell nur sechs Trikots – vor allem vom HSV.

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