Panik im Pott: Millionenschwerer Totalschaden trifft VfL Bochum hart
Der VfL Bochum trennt sich von Trainer Dieter Hecking und Sport-Geschäftsführer Dirk Dufner. Die Entscheidungen tun dem Verein mächtig weh. Der neue Trainer könnte indes direkt einen Weltmeister fressen.
Es fühlt sich an wie eine Autofahrt auf der chronisch verstopften A40, irgendwo zwischen Essen-Frillendorf und Bochum-Riemke. Nur, dass alle Ausfahrten gesperrt sind. Nichts geht voran. Nur rote Lichter statt Hoffnung. Der Weg ist das Ziel? Na dann, gute Nacht. Der VfL Bochum hat in dieser Woche diese A40 in sich gespürt. Hat nur noch Rot gesehen, keinen Weg mehr, schon gar nicht mehr das Ziel (Wiederaufstieg in die Bundesliga!). Nach dem desaströsen Saisonstart mit lediglich einem Sieg aus fünf Spielen wurde Trainer Dieter Hecking entlassen. Und mit ihm musste auch Sportgeschäftsführer Dirk Dufner gehen, der war gerade einmal fünf Monate im Amt.
Vor allem die Blitz-Entlassung von Dufner löste bei vielen Anhängern des Vereins ein Gefühl der Befreiung aus. Als wäre man plötzlich ganz alleine auf der A40. Wieder Hoffnung, keine roten Lichter mehr. Dufner war von vielen für den dramatischen Absturz verantwortlich gemacht worden. Den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga konnte ihm zwar niemand anlasten, dafür waren zuvor zu viele Fehler gemacht worden. Was ihm aber gelang: Die Transformation von einem chancenlose Erstligisten zu einem im Aufstiegsrennen chancenlosen Zweitligisten.
Dufner ging dabei bisweilen offenbar seinen eigenen Weg, installierte viele Vertraute auf wichtigen Positionen. Unter anderem beim Talentwerk und im Scouting. Für Verstimmung sorgte so etwa die von ihm im Alleingang geplante Verpflichtung des Augsburgers Yusuf Kabadayi, die die Klubführung aufgrund ethischer Bedenken auf der Zielgeraden noch stoppte. Der Spieler soll Anfang des Jahres wegen Körperverletzung angeklagt gewesen sein, sogar in U-Haft gesessen haben. Bereits zu seiner Zeit beim FC Schalke 04 sorgte der Spieler mit einem pro-palästinensischen Post kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel für Wirbel.
Auch der große Transfer von Heimkehrer Kevin Vogt wurde nicht überall euphorisch betrachtet. Weil er ohne Spielpraxis kam, weil er in Summe offenbar viel Geld verschlang. Geld, das für Transfers nicht zur Verfügung stand. Dann wurde auch Moritz Broschinski verkauft, gegen den Willen von Hecking. 2,5 Millionen Euro bekam der Klub vom FC Basel. Ein gleichwertiger Ersatz für den besten Angreifer der Vorbereitung kam nicht.
"Mobile Striker" wurde zum Bochumer Unwort
Und über all dem hängen große, existenzielle Fragen: Wofür wollen die Bochumer stehen? Man weiß es nicht. An welcher Idee wurde der Kader ausgerichtet? Man weiß es nicht. Was war der Plan, vor allem der offensive? Man weiß es nicht. Das konfuse Spiel der Mannschaft ließ das Geraune immer lauter werden. Systemdebatten kamen auf, der eigentlich beliebte Dieter Hecking reagierte genervt. Ihm ging es darum, seine Idee, die man nur schwer erkennen konnte, mit Leben zu füllen. Nicht einem nerdigen Zahlenwerk zu erliegen: 4-3-3 oder 3-5-2? Es ging um Außenverteidiger, um Schienenspieler, um "mobile striker". Ein Begriff, der großes Potenzial hat, das Unwort des Jahres in Bochum zu werden. Der "mobile striker", also ein beweglicher Stürmer, wurde als die Lösung aller offensiven Probleme identifiziert. Nur er war nicht da. Er kam am letzten Tag des Transferfensters - mit einer bitteren Erkenntnis: Michael Obafemi, ein Mann vom FC Burnley, hat noch nicht die nötige Fitness. Die Soforthilfe wurde in die Zukunft verbannt. Vielleicht klappt es ja noch mit dem Iren?
Das Motto "vielleicht klappt es ja noch" durchzieht nahezu die komplette Kaderplanung der Bochumer, die sich lange Zeit auf die Defensive ausrichtete, obwohl die Offensive das ewig große Manko war. In bester "Wetten dass..."-Manier wurden für den vorderen Bereich talentierte Spieler geholt, die sich im Männerfußball bislang nur wenig bis gar nicht beweisen können. Talent statt Erfahrung. In der robusten 2. Bundesliga ein Wagnis. Es geht zumindest in Teilen auf. Was kein Kompliment für den Rest des Kaders ist. Aus dem verunsicherten Team stachen mit Kjell Wätjen (vom BVB geliehen) und Francis Onyeka (von Bayer Leverkusen geliehen) zwei Talente heraus, hinzu kommt Cajetan Lenz aus dem eigenen Nachwuchs. Auf den letzten Drücker kam neben Obafemi mit Farid Alfa-Ruprecht ein weiteres Talent, wieder aus Leverkusen. Eine Verjüngung des alten Kaders musste her, sie fiel aber überraschend radikal aus.
Viele Verletzte, aber trotzdem keine Idee
Hecking konnte das Potenzial nicht schöpfen. Er bekam die Defensive nicht wirklich in den Griff, entwickelte nach vorne keine klar zu erkennende Spielidee. Dabei wollte er dominanten Ballbesitz spielen. Es blieb auf dem Platz bei einem rudimentären Plan. Im Pokal gab's bei BFC Dynamo in Berlin einen erschütternd wackeligen Sieg. Und Elversberg wurde in der Liga wohl nur geschlagen, weil die Saarländer nach einem Platzverweis fast die ganze Zeit in Unterzahl spielen mussten. Mut machendes unter Hecking gab's nur wenig, die erste Halbzeit beim FC Schalke 04 etwa (1:2-Niederlage). Was dem Trainer nicht half: viele Verletzte in der Vorbereitung und zum Saisonstart. Erhan Masovic fiel nach seinem Lungenkollaps lange aus, für die 2. Liga wäre der Serbe sicher eine große Hilfe. Mit Ibrahima Sissoko verletzte sich der teuerste und wohl beste Spieler im DFB-Pokal. Er fällt lange aus. Die Liste der Verletzten und Angeschlagenen ist lang. Die der Formschwachen noch länger.
Hecking ging indes als Ehrenmann. Mit großen Worten bedankte er sich für die kurze Zeit, die nur 31 Spiele umfasste. Sie war turbulent, nie ruhig. Zwar gelang Hecking das eigentlich Unmögliche, er gewann im März beim FC Bayern mit 3:2 (!) nach 0:2-Rückstand (!). Es war ein magischer Moment in der Geschichte des Ruhrpottklubs. Viel mehr aber gelang dem alten Fahrensmann nicht. Die Bochumer waren im freien Fall unterwegs und fielen nach dem Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga immer weiter. Hecking konnte die Bremse nicht finden, wirkte immer ratloser, obwohl er das Gegenteil beteuerte.
Der bange Blick nach Schalke
Der VfL hat Totalschaden erlitten. Einen, der Millionen kostet. Wieder steht ein Neuaufbau an, wie schon im vergangenen Herbst, als der irritierende Trainer Peter Zeidler und Kaderplaner Marc Lettau gehen mussten. Beide sind immerhin mittlerweile von der Payroll verschwunden.
Dufner, der schon bei Hertha BSC einen deformierten Kader hinterließ, soll indes einen sehr ordentlichen Vertrag haben, der ihm nach der Freistellung weiter Geld bringt. Als Wunschkandidat galt Dufner nicht überall, laut dem VfL-Magazin "Tief im Westen" wurde damals unter anderem auch mit Jörg Schmadtke gesprochen. Und auch Hecking soll sich den Gang mit ins Unterhaus sehr gut bezahlen lassen haben. Auch er verdient weiter. Akut geraten die Bochumer damit finanziell nicht unter Druck, betonte Geschäftsführer Ilja Kaenzig. "Mittlerweile plant jeder Klub mit einem Trainerwechsel. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis, aber natürlich können wir nicht endlos Geld ausgeben. Wenn der Erfolg zurückkehrt, was wir auch fordern, wird sich einiges relativieren."
Aber mit Blick auf den Winter, wenn das Transferfenster öffnet, wenn der Klub sehr wahrscheinlich nachrüsten muss, um die Schieflagen im Kader zu begradigen, dann tun diese Lohnfortzahlungen weh. Dann müssen kreative Lösungen her, die nicht erneut das Label "Paniktransfer" aufgeklebt bekommen.
Der winterliche Transfermarkt müsste dann ganz anders funktionieren als die zurückliegende Periode. Wie schnell es gehen kann, vom einem Ruhrpott-Riesen zu einem bedrohten Fußball-Zwerg zu werden, kann sich der Verein in der Nachbarschaft anschauen. Der FC Schalke hat's vorgemacht. Schneller schrumpfte wohl selten ein Champions-League-Teilnehmer zu einem Fast-Drittligisten. Das Drama geschah allerdings unter ganz anderen Rahmenbedingungen und finanziellen Voraussetzungen. Es gibt derzeit auf Schalke aber auch Material zur Ansicht, wie es man richtig machen kann. Mit einem Trainer, der eine klare Idee hat, der sich mit dem Klub und dessen Geschichte identifiziert. Miron Muslic hat die unermüdliche Maloche zurückgebracht.
Ein No-Name soll's beim VfL richten
Nun liegt die Verantwortung für diesen VfL-Kader in den Händen von David Siebers. Der bisherige A-Jugendcoach soll auf jeden Fall bis zur nächsten Länderspielpause als Profitrainer im Amt bleiben. Vielleicht auch länger. Der 38-Jährige genießt seit Jahren einen exzellenten Ruf im Verein. Er steht für eine klare Spielidee, für aggressives Pressing und eine gute Kommunikation. Seit über elf Jahren ist er beim VfL, kennt die Bedürfnisse besser als viele andere. Er lebt den VfL, er lebt ihn 24/7. Er hat zahlreiche Fußballer für den Profibereich ausgebildet. Nun muss er als Blitz-Entwickler auf dem höchsten Niveau ran. Nicht nur die Talente voranbringen, sondern auch unzählige erfahrene Spieler aus ihrer Verunsicherung oder Formkrise holen. Die Stürmer Philipp Hofmann und Ibrahim Sissoko etwa. Oder Kapitän Matus Bero, der längst noch nicht wieder auf dem Niveau seiner besten Bundesliga-Zeit ist. Bei dieser sehr schwierigen Mission bekommt Siebers Hilfe von einer Klub-Legende. Anthony "Toto" Losilla bleibt weiter Co-Trainer, ein Typ, der immer noch nah an der Mannschaft ist. Ein Verbinder, ein VfLer.
Siebers geht die Sache mit großen Worten an. Mit Worten aus dem Herzen, die die Klubseele rühren. VfL ist für ihn nicht bloß eine Abkürzung. Da steckt Leben drin, DNA. "V drückt Victory, Siegermentalität aus. Das F steht für Fight, für Kämpfen. Das L steht für Love, Leidenschaft, Freude am Beruf. Wir wollen den Jungs wieder den Spaß vermitteln."
Siebers war schon einmal Kandidat für den Posten. Damals, als Hecking übernahm. Der Klub wollte ihm das Team da nicht anvertrauen. Und die Worte von Ilja Kaenzig werfen kein gutes Licht auf die Abstiegstruppe: "Damals war die Situation nicht vergleichbar. Die Mannschaft war sportlich tot, es herrschte irgendwo Anarchie. Da brauchte es höchste, größte Erfahrung und mediale Kompetenz, um den Verein zu beruhigen, die Kabine in den Griff zu bekommen und das Ganze zu stabilisieren. Da hätte man einen Jungen womöglich nicht nur verbrannt, sondern die Karriere nachhaltig zerstört. Jetzt haben wir einen guten Kader, es ist viel mehr möglich."
Erste Station, um das zu beweisen: der 1. FC Nürnberg. Auch dort brennt's lichterloh. Dort steht der Weltmeister Miroslav Klose massiv unter Druck. Das Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga, der Krisengipfel, frisst womöglich den nächsten Trainer (20.30 Uhr bei RTL und im Liveticker bei ntv.de). Würde ausgerechnet Siebers in seinem ersten Profispiel Klose stürzen, hätte das eine besondere Note. Gemeinsam haben sie einst den Trainerschein gemacht: "Wir als VfL Bochum beschäftigen uns mit uns, mit unserem Plan. Den müssen wir gnadenlos durchziehen", sagt Siebers. Er spüre vor seinem Debüt "keinen Druck, nur große Vorfreude". Die Reise beginnt: auf der A40.
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