„Das beste Feld, das wir je bei einer Ironman-WM hatten“ – Der große Favoriten-Check
Niemals hätte er gedacht, erzählt Patrick Lange in Nizza, dass er dreimal Ironman-Weltmeister wird. Doch nun sitzt er hier als Titelverteidiger im Kreis der anderen Top-Favoriten bei einer Veranstaltung kurz vor dem WM-Rennen, gilt erneut als Anwärter auf den Thron und ist mit 39 Jahren zudem der mit Abstand älteste unter den Besten. „Aber“, das sagte er WELT zuvor: „Wenn ich nicht daran glauben würde, gewinnen zu können, könnte ich auch zu Hause bleiben.“ Jetzt sagt er: „Die acht Stunden werden fallen.“
Eine Zeit, die nicht vergleichbar ist mit seinem Streckenrekord 2024 auf Hawaii (7:35:53 Stunden), denn Nizza bietet ein Spektakel der anderen Art: Nach den 3,8 Kilometern im Mittelmeer warten gut 2400 Höhenmeter und technische Abfahrten auf der 180 Kilometer langen Radstrecke, bevor es dann auf den Marathon geht (Start 7.05 Uhr). Das Streckenprofil und das immens starke Profifeld versprechen Hochspannung und ein ziemlich unvorhersehbares Podest. „Das beste Feld, das wir vom Papier her jemals bei einer Ironman-Weltmeisterschaft gesehen haben“, sagt Björn Geesmann, viele Jahre Trainer von Lange gewesen und nun mit zwei jungen Deutschen vor Ort.
Neben dem amtierenden Weltmeister Lange, sind in dem Franzosen Sam Laidlow sowie den Norwegern Gustav Iden und Kristian Blummenfelt drei Ex-Champions am Start. Hinzu kommen Athleten, die gerade erst von der deutlich kürzeren olympischen Distanz kommen und einen gehörigen Speed mitbringen, sowie weitere Topleute. Wen hält er für den gefährlichsten Kontrahenten, wird Blummenfelt gefragt. „Den Mann zu meiner linken Seite, Sam“, sagt er. „Er war derjenige, der das Rennen in Kona letztes Jahr gestaltet hat. Er hat Druck auf alle ausgeübt, bis… ja bis bei ihm nichts mehr ging.“ Laidlow brach beim Marathon ein, wurde nach hinten durchgereicht, kämpfte sich aber tapfer ins Ziel.
„Sam ist gefährlich“, sagt der Norweger. „Aber ich will natürlich Patrick nicht abschreiben. Er ist der Mann für die großen Rennen. Und dies ist eine WM. Und er war hier 2023 ziemlich gut. Ich denke, diese beiden sind die gefährlichsten. Wir haben aber auch einen gefährlichen Außenseiter in Jonas Schomburg.“ Schomburg, 31, war in dieser Runde nicht zugegen, wurde aber auch von Laidlow und Lange genannt. „Es gibt einige Athleten, die von der Kurzdistanz kommen und aggressiv fahren – wie ich in der Vergangenheit. Jonas, Marten van Riel, Jamie Riddle“, sagt Laidlow. „Das wird für mich ein neues Szenario und ich freue mich darüber.“ Lange erwartet in den ersten zwei, drei Stunden ein sehr schnelles Rennen. „Das richtige Rennen“, sagt er, „fängt dann in der sechsten Stunde an.“
Und Jan Frodeno? Der 44-jährige dreimalige Hawaii-Sieger ist als TV-Experte vor Ort. Im WELT-Gespräch sagt er: „Es wäre eine Mega-Konstellation, wenn Sam und Jonas, vielleicht auch Marten van Riel, es von vorn spannend machen – und Patrick und die Norweger dann von hinten.“ Seine Einschätzung zu den voraussichtlich stärksten Athleten:
Patrick Lange (39): Der dreimalige Hawaii-Champion
Als Titelverteidiger geht der Hawaii-Sieger von 2017, 2018 und 2024 mit der Startnummer eins ins Rennen. 2023 hat er als Zweiter der WM von Nizza gezeigt, dass er auch die anspruchsvolle Radstrecke hier gut beherrscht. Dass er bisher keine optimale Saison hatte, heißt bei ihm nichts. Ebenso wenig, dass er mit 39 der deutlich älteste der Favoriten ist. „Patrick hat ein schwieriges Jahr hinter sich, hatte auch mit Verletzungen zu kämpfen, aber er ist DER Meisterschaftsmann“, sagt Frodeno. „Deshalb ist eigentlich alles perfekt gesetzt, dass er erneut ein großartiges WM-Rennen macht. Und ich glaube auch, er zieht mental sehr viel Kraft und Motivation aus den Zweiflern. Das hat man sehr gut an seiner letzten Siegespose auf Hawaii gesehen.“
Weiter sagt Frodeno: „Er ist ein absoluter Routinier und hat zudem 2023 in Nizza überrascht, als er auf dieser Radstrecke mit vielen Höhenmetern und technischen Abfahrten deutlich stärker fuhr, als ihn viele eingeschätzt hatten. Ich persönlich sehe die Norweger aber wahrscheinlich noch ein Stück stärker auf dem Rad. Ich weiß ja selbst, dass es mit jedem Jahr leider etwas schwieriger wird, den Körper noch topfit an den Start zu kriegen. Gerade deswegen würde es mich freuen, wenn einer der alten Haudegen noch mal ein super Rennen macht. Und ich wünsche Patrick, dass er das schafft.“
Blummenfelt (31) & Iden (29): Der Norweger-Express
Kristian Blummenfelt, Olympiasieger von 2021 und Ironman-Weltmeister von 2022 (in St. George, nachgeholt von 2021), war in dieser Saison der konstanteste und beste Athlet und gewann jedes seiner Rennen – darunter den Ironman Texas und Frankfurt.
Trainingskollege Gustav Iden, Hawaii-Sieger von 2022, hat sich nach sportlichen und persönlichen Rückschlägen wieder zurückgekämpft, wurde in Frankfurt Vierter. Er sagte am Freitag in Nizza: „Ich sehe dieses Rennen als mein Comeback.“
Frodeno: „Kristian Blummenfelt ist der konstanteste Athlet in diesem Jahr und hat auch wieder ein paar sehr krasse Läufe hingelegt. Vor allen Dingen hat er sich fokussiert. Er ist von seinem Trainerwechsel, glaube ich, sehr positiv befeuert; das geht alles wieder in die richtige Richtung. Und es scheint bei Gustav Iden nicht anders zu sein. Sie gehen das solide, ruhig und konzentriert an - und das war immer das, was sie so stark gemacht hat. Dann kam dieser ganze Hype mit norwegischer Methode. Ich habe den Eindruck, sie kehren zu ihren Wurzeln zurück.
Und Gustav scheint seine Schwierigkeiten überwunden zu haben – mental hatte er zudem harte familiäre Rückschläge zu verkraften. Die Jungs machen einen sehr guten Trainingseindruck, waren auch sehr früh vor Ort in Nizza, früher als alle anderen. Bei Gustav bin ich mir nur nicht ganz sicher, ob es zeitlich noch zur Topform in Nizza reicht oder ob er noch ein Jahr braucht. Aber er hat auf jeden Fall den richtigen Trend und zumindest von meinen Eindrücken hier vor Ort, was man sieht und hört, würde ich sagen: Wenn ich einen Namen rausgreifen soll, dann ist es Grustav.“
Sam Laidlow (26) – Der Nizza-Champion von 2023
Der Franzose kehrt zurück an den Ort seines großen Triumphes: Als er vor zwei Jahren in Nizza den WM-Titel erkämpfte, erfüllte sich sein Kindheitstraum. Ein Jahr zuvor war er auf Hawaii Zweiter geworden, im vergangenen Jahr legte er dort eine spektakuläre Radzeit von 3:57:22 Stunden hin, brach dann aber beim Marathon ein und wurde von 1 auf 18 durchgereicht. Nach gesundheitlichen Problemen am Anfang dieser Saison überzeugte er unter anderem mit seinem Sieg in Roth.
Frodeno: „Sam ist immer auch ein bisschen ein Überraschungspaket. Im Frühjahr hatte er Schwierigkeiten, ich fand es dann aber sehr beeindruckend, wie stark er mit dem Sieg in Roth zurückgekehrt ist und vor allem danach den Ironman Leeds dominiert hat. Er kämpft ja immer sehr öffentlich – auch mit seinen Dämonen. Zurzeit habe ich das Gefühl, dass er mental und körperlich sehr stark ist. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sein maximales Potenzial gegen das maximale Norwegerpotenzial reicht.“
Und weiter: „Sam macht jedes Rennen interessanter und hat mit Jonas Schomburg wahrscheinlich sogar einen Deutschen, der auf dem Rad mithalten kann. Das könnten zwei sein, die sich gegenseitig befeuern. Vielleicht können sie sich sogar zusammentun.“
Jonas Schomburg (31) – Der Geheimfavorit
Der 31-Jährige, der 2021 und 2024 bei den Olympischen Spielen antrat, nahm eher aus einer Laune heraus im März bei seiner ersten Langdistanz teil – und qualifizierte sich als Dritter gleich für die WM. Ein sehr guter Schwimmer, ein extrem starker Radfahrer, der das Vollgas-Gen von der olympischen Distanz mitbringt und seine beiden Langdistanzen auch genau so bestritten hat. Mutig von vorneweg, mit dem Risiko, dass er einbricht.
Frodeno: „Sportlich ist er einerseits ein Rookie, andererseits seit Ewigkeiten dabei. Die Strecke in Nizza ist allerdings wirklich sehr schwer, um seine übliche Taktik – also schnell von Beginn an – zu verfolgen. In Nizza ballerst du einmal den Berg hoch, bist dann oben auf dem Plateau und kannst dich relativ wenig erholen. Da bin ich gespannt, wie lange er das durchhält, denn sein Tempo ist eher Harakiri.“
Das macht es natürlich als Zuschauer interessant, aber er muss es durchbringen. Ich bin nicht ganz sicher, ob Jonas in seinem ersten Langdistanz-Jahr dazu in der Lage ist, sein Rennen konstruktiv zu gestalten oder ob er einfach hingeht und seine Granaten so schnell wie möglich verfeuert. Aber ganz klar: Er ist einer der wenigen, dem ich zutraue, dass er die Harakiri-Pace von Sam, die dieser 2023 in Nizza gezeigt hat, mitgehen kann.“
Marten van Riel (32): Vom Mitfavoriten zur Wundertüte
Der Belgier kommt wie die Norweger und Schomburg aus der olympischen Welt – und hat wie Schomburg erst kürzlich sein Debüt auf der Langdistanz gegeben: im November in Cozumel, wo er Siebter wurde. Im März dann, beim Ironman Südafrika, belegte er vor dem dortigen Debütanten Schomburg Rang zwei. Vor allem seine extrem starke vergangene Saison auf der PTO T100 Triathlon World Tour, wo er die Jahreswertung gewann (2 km Schwimmen, 80 km Rad, 18 km Laufen), brachte ihn innerhalb der Szene ins Rampenlicht. Seine Enttäuschung von den Olympischen Spielen 2024 in Paris, wo er nach Platz vier in Tokio aufs Podest wollte und nur 22. wurde, ist abgehakt. Für Nizza galt er als Favorit. Dann aber kamen eine Fußverletzung und direkt in Nizza auch noch ein Radsturz, bei dem er aber zumindest nur Schürfwunden davontrug.
Frodeno: „Beeindruckend im vergangenen Jahr als Sieger der kürzeren T100-Serie. Er hat ja erst zwei Langdistanzrennen gemacht und in Südafrika, bei seiner zweiten, trotz vieler Schwierigkeiten ein super Rennen gezeigt. Das ist sehr viel wert. Er hat extrem gute Voraussetzungen für Nizza, auch auf dem Rad. Rein läuferisch ist er vielleicht mit der Ausdauer noch nicht ganz so weit wie Kristian oder Patrick, aber er schwimmt besser. Insofern: Wenn Laidlow, Schomburg und van Riel halbwegs zeitgleich aufs Rad steigen – Ladies and Gentlemen, we have a race!“
Magnus Ditlev (27) – Endlich mal ganz oben?
Der Däne will es endlich mal auf das oberste Podest bei der WM schaffen. Vor zwei Jahren belegte er in Nizza Rang drei, im vergangenen Jahr kämpfte er sich auf Hawaii auf Platz zwei.
Frodeno: „So sehr ich es ihm wünsche, glaube ich, ist es einfach nicht seine Strecke. Er ist ein phänomenaler Athlet, kann tendenziell mit Sam Laidlow Radfahren und ist auch keiner, dem Patrick Lange oder die Norweger sechs, acht Minuten beim Laufen geben könnten. Magnus ist aber kein guter Abfahrer. Und er hat, wenn es wirklich zählte, bisher nie bewiesen, dass er die mentale Power hat, um das Ding durchzubringen. Da macht er immer irgendwelche Flüchtigkeitsfehler. Und: Er ist sehr perfektionistisch, hält sich exakt an seine Werte, seine Kalorienaufnahme und alles. Diese rigide Struktur fällt ihm, glaube ich, bei solchen Rennen auf die Füße, weil gerade auf so einer Strecke immer etwas schiefgeht. Ihn auf die Favoritenliste zu setzen, wäre eher ein persönlicher Wunsch als eine realistische Einschätzung.“
Und sonst?
Rudy Von Berg (USA), Léon Chevalier (Frankreich) und Matthew Marquardt (USA) tauchen ebenfalls in so manchen Favoritenlisten auf.
Ironman-WM Nizza: Ticker und Stream
Liveticker: Genau hier in diesem Text beginnt Sonntag um 6.50 der Reportage-Liveticker.
Übertragung: Livestream mit den Kommentatoren Dirk Froberg und Sebastian Kienle ab 6.50 Uhr auf sportschau.de und im linearen Fernsehen beim Hessischen Rundfunk. Die beiden berichten aus Frankfurt, Experte vor Ort: Jan Frodeno. Internationaler Livestream ab 15.15 Uhr: Homepage der Ironman Pro Series sowie bei YouTube.
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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