Der FC Schalke o4 ist mit drei Siegen aus vier Spielen sehr gut in die Saison gestartet. Miron Muslic hat es in wenigen Wochen geschafft, die Mannschaft zu stabilisieren. Besonders die Defensive glänzt unter dem neuen Trainer, der vor der Saison vom englischen Drittliga-Klub Plymouth Argyle nach Gelsenkirchen gewechselt ist.

Frage: Herr Muslic, wie häufig besuchen Sie einen Barbershop?

Miron Muslic: Einmal pro Woche gehe ich zum Barber und lasse den Bart wieder in Form bringen. An den anderen Tagen pflege ich ihn selbst, ich habe mittlerweile zwölf Jahre Erfahrung damit. Er ist ein Markenzeichen von mir geworden.

Frage: Die Fans scheinen das ähnlich zu sehen. Viele sind der Meinung, dass Schalke endlich wieder einen Trainer mit Aura habe – der hart durchgreift. Würden Sie sich als strengen Trainer bezeichnen?

Muslic: Ich bin fordernd. Den Begriff „streng“ verbinde ich mit einem Lehrer. Der steht an der Tafel und gibt lediglich Anweisungen. Aber ich bin ein Coach. Und in der Rolle nehme ich viele Wünsche und Hinweise auf und baue sie in meine Arbeit ein. Manchmal kommt es aufgrund meiner lauten Stimme so herüber, dass ich harsch bin. Ich verfolge dabei aber nur einen klaren Ansatz: Ich lasse es die Spieler sofort wissen, wenn sie etwas besser machen können. Wenn ich das nicht mache, kriege ich auf der Heimfahrt Bauchschmerzen. Dann bin ich schlecht drauf und schlafe schlecht.

Frage: Wie beziehen Sie Spieler konkret ein?

Muslic: Ich habe eine klare Idee. Aber ich muss wissen, wie die Spieler und natürlich meine Co-Trainer darüber denken. Was aus ihrer Sicht sofort umsetzbar ist. Was Zeit braucht – und was gar nicht funktioniert. Ich habe im Laufe meiner Karriere gelernt, dass nicht alles umsetzbar ist, was ich im Kopf habe.

Frage: Sprechen Sie dann einzeln mit den Spielern?

Muslic: Ich spreche mit der gesamten Mannschaft, mit einzelnen Spielern und in sogenannten Unit-Meetings.

Frage: Was bedeutet das?

Muslic: Dass wir uns positionsspezifisch zusammensetzen – und zwar fast jeden Tag. Wenn wir zum Beispiel darüber sprechen, wie wir die Räume im defensiven Mittelfeld besetzen und den Spielaufbau gestalten, brauchen die Stürmer nicht dabei zu sein. Die schlafen dabei ein. Die Sitzungen mit der gesamten Mannschaft können wir darum kürzer halten. Wir stoppen die Zeit, denn es ist belegt, dass die Aufmerksamkeit nach rund 15 Minuten spürbar nachlässt. Deshalb dauern unsere Sitzungen durchschnittlich nur zwölf Minuten.

Frage: Wie viele Stunden beschäftigt Sie Schalke täglich?

Muslic: Ich starte um 6.30 Uhr von meiner Wohnung, bin gegen 7.15 Uhr am Trainingsgelände. Dann sind es in der Regel zehn bis zwölf Stunden, die ich vor Ort bin. Mit voller Leidenschaft. Wichtig ist mir aber: Wenn ich zu Hause bin, will ich abschalten. Wenn du dann auch noch über Fußball nachdenkst, wirst du irgendwann verrückt. Ich mache abends einen langen Spaziergang am Rhein, gerne über sieben, acht Kilometer, um den Kopf freizubekommen. Da hilft mir die Natur extrem. Übrigens: Kennen Sie die alten Winnetou-Filme?

Frage: Natürlich.

Muslic: Die wurden quasi vor meiner Haustür in Bosnien gedreht. Als Kind konnte ich mit dem Fahrrad dort hinfahren. Da habe ich die Natur schon lieben gelernt. Sie ist meine Flucht.

Frage: Zu wie viel Prozent entspricht der Kader Ihren Vorstellungen?

Muslic: Darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich meinen Fußball an die Spieler anpasse. Wenn ich das Gefühl habe, dass Spieler mit meinen Ideen überfordert sind, dann lassen wir es sein – und machen es einfacher. Und das haben wir, glaube ich, schon gut erkannt. Wir sind mit unseren Möglichkeiten sehr zufrieden – und auf einem guten Weg. Wichtig war uns vor allem, dass wir die Transferphase genutzt haben, um Führungsspieler zu verpflichten.

Frage: An wen denken Sie dabei?

Muslic: Das geht schon im Tor los. Wir haben uns dazu entschieden, Loris Karius einen neuen Vertrag zu geben – obwohl er zu dem Zeitpunkt verletzt war. Ich habe ihn Anfang des Sommers angerufen und ihm gesagt: „Du bist meine Nummer eins! Werde fit – und wir schaffen das hier!“ Jetzt wundern sich einige Leute, warum er so gut spielt. Die Antwort ist ganz einfach: Weil er volles Vertrauen spürt.

Frage: Sie scheinen bei den Transfers großes Mitspracherecht zu haben.

Muslic: Wir entscheiden im Team und nach unserer Spielidee. Dabei äußere ich natürlich Ideen. Nikola Katic war zum Beispiel mein absoluter Wunschspieler. Ich kannte ihn ja schon aus England. Er ist ein Parade-Verteidiger. Und: Nach zwei Wochen war er schon Führungsspieler. Weil jeder gemerkt hat: Der geht voran, der schmeißt sich für uns in jeden Zweikampf. Auch mit ihm haben wir eine Achse auf dem Platz geschaffen. Was für einen Spieler besonders wichtig war ...

Frage: Kenan Karaman?

Muslic: Richtig. Ich hatte das Gefühl, dass er in der vergangenen Saison die ganze Last fast alleine tragen musste. Schalke ist zu groß für zwei Schultern. Einen Giganten kann man nicht alleine stemmen. Es war der größte Gefallen, den wir ihm tun konnten: dass wir mit Timo (Becker; d. Red.), Loris und Nikola Spieler verpflichtet haben, die ihn unterstützen. Das hat er mir selbst auch so gesagt.

Frage: Mit neun Punkten aus vier Spielen schafften Sie einen starken Saisonstart. Das Offensivspiel sieht jedoch häufig noch sehr verbesserungswürdig aus.

Muslic: Erst einmal gilt: Wir sind sehr schwer zu schlagen, das muss das Fundament sein. Du kannst keine Spiele gewinnen, wenn du im Schnitt 2,5 Gegentore kassierst. Da täte sich selbst Bayern schwer. Wir haben in den ersten zehn Wochen 85 Prozent der Zeit darauf aufgewendet, gegen den Ball zu arbeiten. Dass die Offensive darunter leidet, ist ja klar. Jetzt gilt es, uns auch darum intensiv zu kümmern.

Frage: Gab es bislang einen Schlüsselmoment aus Ihrer Sicht?

Muslic: Dafür blicke ich ein wenig zurück. Ich habe mir das letzte Heimspiel aus der vergangenen Saison im Video angeschaut, als die Mannschaft Häme und Spott erlitten hat (1:2 gegen Elversberg, d. Red.). Da habe ich gedacht, dass die 62.000 Fans ein Rucksack sind für die Jungs. Dass sie das nicht packen können. Aber das passt nicht zu mir. Ich habe den Verantwortlichen in den Vertragsgesprächen dann gesagt: „Ich habe keine Angst vor der Arena. Ich sehe die 62.000 Fans als Privileg.“ Und den entscheidenden Moment hatten wir dann im ersten Spiel dieser Saison.

Frage: Beim 2:1 gegen Hertha.

Muslic: Es war ein schmaler Grat. Weil ich wusste, dass schon wenige Fehlpässe für ganz schwere Beine sorgen können. Ich habe der Mannschaft vor dem Spiel gesagt: „Set the tone! Nehmt sie mit! Vom ersten Ball an! Dann springt der Funke über, und die Flammen gehen auf!“ Dann spielt Adrian Gantenbein den Ball kurz nach Anpfiff auf Peter Remmert. Der checkt zwei Gegenspieler weg, und wir bekommen eine Ecke. Da brannte das Stadion. Diese Szene war fundamental.

Frage: Wie spüren Sie die Sehnsucht der Schalker Fans nach Erfolg?

Muslic: Im direkten Austausch mit den Fans. Nach dem Training, auf der Straße. Ich sehe es in den Augen, diese Sehnsucht, diese Leidenschaft. Schalke ist ihr Baby, ihre Liebe des Lebens. Schalke bestimmt die Stimmung in den Wohnzimmern. Da wird einem die Verantwortung bewusst – und der müssen wir gerecht werden. Denn eines steht fest: Sich zu zerreißen, das kann man immer schaffen.

Frage: Ein Vorschlag: Wenn Schalke aufsteigt, kommt der Bart ab.

Muslic: Er ist ein Teil von mir. Höchstens würde ich mir eine Glatze schneiden lassen, aber der Bart bleibt! (lacht).

Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke