Das Basketball-Einhorn macht alle verrückt
Der amtierende Weltmeister Deutschland dominiert bei der Basketball-EM und eilt von Sieg zu Sieg. Jetzt steht der Fantasiespieler mit der Nummer 77 im Weg. Der schleift Slowenien nicht nur im Alleingang durchs Turnier, sondern scheint von nichts und niemandem aufgehalten werden zu können. Muss er das überhaupt?
"Echtes Team gegen absoluten Ausnahmekönner", "Doncic fordert perfektes Deutschland heraus", "Gold-Favorit gegen Zyklon Doncic". Die internationale Presse ist sich vor dem vierten und letzten Viertelfinale dieser EuroBasket einig: das Aufeinandertreffen der weiterhin ungeschlagenen deutschen Nationalmannschaft und der Slowenen, mit, von und um Megastar Luka Doncic, ist die klassischste aller Sporterzählungen. Auf der einen Seite die gut geölte Maschine, auf der anderen eine zutiefst defizitäre Truppe, die von der Brillanz ihres Basketball-Einhorns lebt.
Deutschland, das zum dritten Mal in Folge im EM-Viertelfinale steht, hat sich längst als das "Team to beat" etabliert, wird von der gesamten Konkurrenz in Riga als Maßstab gesehen. "Sie haben eine fantastische Truppe, die schon lange zusammen ist, große Erfolge gefeiert hat und sehr attraktiven Basketball spielt", sagt Griechenlands Kostas Papanikolaou im Gespräch mit ntv.de: "Sie haben so viel Selbstvertrauen, wenn sie zusammenkommen, um für ihr Land zu spielen. Das versuchen wir auch, wollen genauso viel Erfolg haben wie sie."
Für viele ist der amtierende Weltmeister sogar nur noch einen Schritt vom Finale entfernt. Alleine der Alleskönner mit der Trikotnummer 77, einer der komplettesten Spieler der Welt, scheint noch zwischen dem kolportierten Aufeinandertreffen mit den Griechen oder Türken zu stehen, die ihre jeweiligen Viertelfinals souverän gewannen und am Freitag aufeinandertreffen. Denn wirkliche Sorgen bereiten vor dem Ausspielen des möglichen deutschen Halbfinalgegners weder die Finnen (die Deutschland bereits in der Vorrunde in Tampere mit 30 Punkten Unterschied besiegte), noch die an Nummer 24 der FIBA-Weltrangliste geführten Georgier.
Das größte Basketball-Phänomen der Welt
Luka Doncic hingegen schon. Er hat "es", dieses gewisse Etwas. Mit 18 Jahren hatte der Wunderknabe in Europa bereits alles gewonnen, 2017 holte er EM-Gold, 2021 schickte er Deutschland bei den Olympischen Spielen in Tokyo vorzeitig nach Hause - ebenfalls im Viertelfinale. Die Dallas Mavericks schleifte er 2024 fast alleine in die NBA Finals, ehe ihn die Mavs in diesem Februar im schockierendsten Trade der Liga-Geschichte zu den Los Angeles Lakers verfrachteten.
Wenige Spieler versprühen mehr Aura, ziehen mehr Blicke und das geballte öffentliche Interesse auf sich. Das war in Madrid so, das ist in der NBA so, und das ist während dieser EuroBasket nicht anders. Wo immer er auftaucht, lauern Menschentrauben, die ihn beobachten wollen, ihn bewundern wollen, mit ihm sprechen wollen. Egal ob kreischende Teenager beim Aussteigen aus dem Teambus an der Ecke zwischen Arena und Trainingshalle, tobende Fans mit gezückten Mobiltelefonen vor der Partie oder schiebende Journalisten in der Mixed Zone.
Daran hat sich Doncic längst gewöhnt, nimmt das alles mit Balkan-Humor – und seinem englischen Bodyguard im Hintergrund. Von Starallüren ist nichts zu sehen: Er ist einer von zwölf, genießt keinerlei Extrabehandlungen, lacht und flachst mit den Mitspielern während des Shootarounds. Im Spiel ist er einer der Anführer und Wortführer - so wie gegen Italien, als er seine zunehmend nervösen Teamkollegen in einer Auszeit zusammenscharte, zusammenstauchte und sie so zusammen den knappen Sieg über die Zeit retteten.
"Wir gewinnen und verlieren als Einheit. Es gibt hier keine Individuen", erklärt der 26-jährige Ausnahmekönner. "Wir spielen als echte Mannschaft und verstehen uns ausgezeichnet. Die Teamchemie ist blendend. Natürlich streiten wir uns manchmal, aber das gehört zum Sport dazu. Auf dem Parkett halten wir zusammen. Wir glauben, dass wir eine Medaille gewinnen können. Es wird schwer gegen Deutschland, aber wir müssen daran glauben."
Der bisherige MVP dieses Turniers ist er ohnehin. Doncic präsentiert sich in körperlicher Top-Verfassung und ist Erster bei den Punkten (34,0 PPG), Steals (3,2 SPG) und der Effizienz (36,7 EFF), Zweiter bei den Assists (7,2 APG) und Neunter bei den Rebounds (8,3 RPG) pro Spiel. Bereits viermal hat er 30 Punkte oder mehr erzielt, nur Euro-Legende Nikos Galis hat es in einem einzigen Turnier auf mehr gebracht (5 Mal, 1989). "Einfach ein absoluter Ausnahmespieler", analysiert Maodo Lo auf Nachfrage von ntv.de. "Spielerisch sticht er klar heraus, und das würde er in jeder Mannschaft, weil er so talentiert, so gut ist. Man weiß, er kann eine Partie in seine Hände nehmen und im Alleingang gewinnen. Deswegen ist es so schwierig gegen ihn. Man kommt alleine nicht gegen ihn an, sondern muss sich ihm als geschlossene Einheit stellen."
Ist Doncic überhaupt zu stoppen?
"Wir wollen ihn nicht spielen lassen, wollen ihn so physisch wie möglich angehen und seine Kreise einengen", so Lo weiter. Gegen Italien brillierte der slowenische Spielmacher mit 30 seiner 42 Zähler in der ersten Halbzeit. "Du kannst so einen Spieler wie Doncic nicht so ins Rollen kommen lassen", hatte Italiens bester Spieler Simone Fontecchio NTV nach dem Achtelfinal-K.O. am Sonntag verraten. "Wenn er direkt einen oder zwei Dreier macht, dann wird es sehr schwer. Du darfst ihm auch nicht zu nahe kommen, weil er so geschickt im Ziehen von Fouls ist." Im Gegensatz zu anderen Gegnern können die Bundesadler Doncic jedoch eine Armada von physischen, fähigen Verteidigern entgegenstellen, von Isaac Bonga über Tristan DaSilva bis zu Franz Wagner.
Gleichzeitig wissen die Protagonisten auch, dass Slowenien mehr ist als nur das Basketball-Phänomen aus Ljubljana. "Natürlich verlassen sie sich sehr auf Doncic und seine Extra-Qualitäten, aber sie spielen schon lange zusammen und verstehen sich gut", sagt Alan Ibrahimagic, der für den Rest des Turniers als Cheftrainer an der Seitenlinie bestätigt wurde. "Es ist ein Teamspiel, wir müssen uns auf alle Akteure auf dem Parkett konzentrieren und nicht zu sehr auf ihn. Er wird vermutlich so oder so zu seinen Würfen und Punkten kommen." Wagner erwartet ein "schweres Spiel, auf das wir uns gut vorbereitet haben. Sie arbeiten sehr gut am offensiven Brett, sie bewegen den Ball gut. Luka spielt natürlich viele Vorteile für die anderen heraus, und sie treffen gut. Wir wollen uns aber auf uns fokussieren, unsere Marke Basketball zeigen. Wenn wir früh unseren Rhythmus finden, ist das schon die halbe Miete."
Sloweniens Guard Aleksej Nikolic, der drei Jahre in Bamberg spielte und 2017 mit Brose den Deutschen Pokal gewann, verrät ntv.de: "Sie spielen mit hohem Tempo, viel Energie, sehr physisch, sind das beste Scoring-Team, enorm gut vorbereitet." Die kompakteste, tiefste und kompletteste Mannschaft in diesem Turnier kann sich nicht nur auf die Star-Qualitäten von Wagner (20,7 Punkte pro Spiel) und Dennis Schröder (20,2 PPG) verlassen, sondern auf insgesamt sieben Akteure, die jeweils mehr als acht Zähler pro Einsatz erzielen. Zum Vergleich: Slowenien hat derer vier.
Geht es nach Lo, wird es im Aufeinandertreffen der zwei explosivsten Attacken dieses Turniers - Deutschland ist Erster, Slowenien Zweiter - ohnehin mehr um die eigenen Stärken gehen als darum, wie der DBB den vermeintlich gefährlichsten Offensivspieler der Welt in den Griff bekommen wird. "Natürlich müssen wir versuchen, Doncic zu stoppen", resümiert der Point Guard am Ende gegenüber ntv.de. "Aber: wenn wir unseren Basketball spielen, löst das viele Probleme aus beim Gegner. Es ist schwierig, gegen uns zu spielen. Wir haben unsere Identität, unsere Philosophie, und der wollen wir nachgehen. Die müssen sich nämlich auch auf uns einstellen. Nicht nur wir auf sie." Das Duell wird Live bei RTL zu sehen sein, Tip-Off ist um 20:00 Uhr MEZ.
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