Julian Nagelsmann will im kommenden Jahr Weltmeister werden. Doch reist sein Team überhaupt zum Turnier? Diese Frage stellt sich seit diesem Donnerstagabend. Warum? Weil nichts klappt, vor allem in der Abwehr nicht.

Leo Sauer, das hätte man auch nicht gedacht, löst eine neue deutsche Fußball-Krise aus. Diese fand nach dem desaströsen 0:2 in der WM-Qualifikation gegen die Slowakei direkt den Weg in die Kabine. Bundestrainer Julian Nagelsmann knöpfte sich seine Mannschaft vor, die sich über 90 Minuten blamiert hatte. Jeden Weckruf hatte sie überhört. Riesiges Glück hatte die Nationalmannschaft schon in der 2. Minute, als die Gastgeber eine Top-Gelegenheit ausließen. Statt wach zu werden, drückten die DFB-Stars die Snooze-Taste und ignorierten jeden weiteren Alarm-Ton. Es mangelte indes nicht an Erinnerungen, besser aufzustehen.

So aber steuerte das Team teilnahmslos ins Unglück. Der Bundestrainer konnte und wollte das nicht begreifen. Mehr als deutlich pfiff er seine Spieler wenige Minuten nach dem Abpfiff über das ARD-Mikrofon an, dass sie an ihrer Einstellung arbeiten müssen. Sonst könne man "das Buch zumachen". Sprich: Sonst wird es nichts mit dem wiederholt ausgerufenen Ziel WM-Titel. Und womöglich wird es nicht mal etwas mit dem Versuch, den gewinnen zu können. Mit weiteren Auftritten wie jenem von Bratislava wackelt sogar die Teilnahmeberechtigung an dem Turnier. Nagelsmann und die Generation Kimmich stünden für die größte Blamage in der Geschichte des DFB.

Versetzung in WM-Form? Gnadenlos gescheitert

Vorerst stehen sie erstmal "nur" für die erste Auswärtspleite in einem WM-Qualifikationsspiel überhaupt. Und deswegen rufen sie Alarm aus. Berechtigt. Die Slowaken haben Deutschland überfordert, es warten Nordirland und Luxemburg. Früher mal Zwerge. Aber in dieser aktuellen Form des DFB-Anstiegs wachsen sie womöglich zu Hünen. Obacht vor Nordirland! Das Team hat Bulgarien im Vorjahr mit 5:0 vorgeführt, zuletzt Schottland und Island besiegt, nur knapp gegen Dänemark verloren. Am Donnerstag gelang auch der Quali-Start mit einem 3:1 in Luxemburg - und so ist Nordirland jetzt Tabellenführer. Es wächst die Hoffnung auf die erste WM-Teilnahme nach 40 Jahren.

Die DFB-Alarmsirene verstummte an diesem Donnerstagabend praktisch nie. Es war ein Leichtes, die Spieler in peinliche Momente zu verwickeln. Debütant Nnamdi Collins wurde auf rechts unzählige Male auf links gedreht. Der zweifache Champions-League-Sieger Antonio Rüdiger bekam phasenweise überhaupt nicht mit, was um ihn herum passierte. Neu-Bayern-Star Jonathan Tah verfiel in Prä-Leverkusen-Pomadigkeiten. Und auch Maxi Mittelstädt gelang quasi nichts. Verteidigen? Hilflos. Hallo Abwehr? Hallo? HALLO? In den Einzelkritiken deutscher Sportseiten hagelte es die Note sechs. Die Versetzung in WM-Form? Gnadenlos gescheitert.

Erste Minute, erste Chance für die Slowaken

Das slowakische Portal aktuality.sk war außer sich vor Glück: "Fantastisch in der Beweglichkeit! Die Slowakei hat mit einer fantastischen Leistung den Giganten aus Deutschland zum Schweigen gebracht." Beim sme.sk hieß es ebenfalls in großer Euphorie: "Die Slowaken schafften, was niemand anderem gelang. Real-Verteidiger Rüdiger war auf den Knien und auf dem Hintern. Die slowakische Fußball-Nationalmannschaft schaffte zum Auftakt der WM-Qualifikation 2026 einen der wertvollsten Siege seit der Staatsgründung."

Dazu trug auch bei, dass Joshua Kimmich erstmals seit längerer Zeit nicht mehr offizieller Teil der Abwehrkette war. Er war wieder ins Zentrum des Mittelfelds beordert worden - und fassungslos, was er hinter sich mit ansehen musste. "Nach einer Minute gibt es die erste Torchance!", schimpfte er. System- und Taktikdebatten würgte er aber direkt ab. Das Problem, so befand er, sei einzig die Einstellung. Das sah auch Nagelsmann so.

Aber machen es sich die beiden Alphatiere mit dieser Erklärung nicht zu einfach? Klar, die Bereitschaft, Zweikämpfe zu führen, ist der Schlüssel, um dem Gegner zu zeigen, dass man Interesse an so einem Spiel hat. Aber wie orientierungslos die Viererkette bisweilen agierte, ging weit über Einsatzbereitschaft hinaus. Nichts passte zusammen. Auch nicht in der Offensive, wo man bitter beobachten konnte, wie sich sehr talentierte Fußballer wie die Multimillionen-Männer Florian Wirtz und Nick Woltemade sehr oft auf den Füßen standen. Und das knapp zehn Monate vor der WM.

Kimmichs nächste Versetzung?

Nagelsmann ist längst von seinem Weg abgekommen. Er wollte eine Mannschaft einspielen lassen. Er sprach von Dominanz und Selbstverständnis, daran muss er sich messen lassen. Er wollte, dass sich Automatismen entwickeln. Zur Heim-EM hatte das Trainerteam deshalb feste Rollenprofile entwickelt. Mittlerweile ist das vergessen. Seit dem Viertelfinal-Aus gegen Spanien stagniert die Entwicklung. Nun fliegen die Systeme und das Personal dermaßen wild durcheinander, dass man gar nicht zusammenbekommt, was der ureigentliche Plan war.

Und im Zentrum, haha, steht wieder Kimmich. Sogar eine erneute Rolle rückwärts ist denkbar. Das "Herzstück" des Teams, die Zentrale im Mittelfeld, wolle er nicht mehr anfassen, ließ er vor dem Spiel wissen, um nach dem Spiel zu erklären, dass die erneute Abordnung Kimmichs nach hinten rechts "immer eine Option" sei. Der Bayern-Star wird offenbar immer dort am dringendsten gebraucht, wo er gerade nicht spielt. Verrückt.

Nagelsmann wirkt zunehmend verzweifelt. Er hat sich mit dem WM-Titel weit aus dem Fenster gelehnt, nun droht ihm die eigene Forschheit um die Ohren zu fliegen. Das mag er nicht gerne hören, aber das ist eben Teil des Geschäfts, in dem er selbst nun schon lange und in prominenten Rollen dabei ist. Er weiß, wie es läuft. Es ist ein schmaler Grat zwischen mutigen und übermütigen Ansagen. Die lösen direkt wilde Debatte aus, unter anderem darüber, ob der Job des Bundestrainers plötzlich in Gefahr ist.

Für die Offensive mag die Ausrede gelten, dass der Ausfall von Schlüsselspielern wie Jamal Musiala und Kai Havertz schwer zu kompensieren ist. Anders als in Spanien und Frankreich ist der deutsche Spielerpool eben doch arg limitiert.

Für die Abwehr taugt das Ausfall-Argument eher weniger. Mit Nico Schlotterbeck fehlt hier ein Mann, den Nagelsmann sehr schätzt. Der als Linksfuß eine andere Komponente in den Spielaufbau bringt, der eine Mannschaft emotional auch mitreißen kann. Aber ein Messias ist auch der Dortmunder nicht, auch er unterliegt Formschwankungen. Und mit Tah und Rüdiger stehen ja zwei Fußballer in der Mitte, die seit Jahren mit ihren Vereinen als Stammspieler auf höchstem Niveau spielen. In der Abwehr ist die Personaldecke sehr dünn. Nagelsmann dachte für diesen Länderspiel-Block sogar daran, Max Rosenfelder zu nominieren. Weiß jemand ohne zu googeln, wo der spielt? Obacht, die Antwort: SC Freiburg.

"Wir müssen emotional Fußball spielen!"

Immer wieder geht es um deutsche Tugenden, wenn es nicht läuft. Aber ist das nicht eine längst überholte Blaupause, um andere Probleme zu kaschieren? Der Bundestrainer jedenfalls wird zunehmend dünnhäutig, dass er vom Visionär zum Träumer wird, gefällt ihm gar nicht. "Ich zerlege nix und niemanden im Fernsehen, das mache ich intern, da haben wir genug zu besprechen", sagte er zerriss er seine desaströse Elf dann doch vor TV-Millionen. "Ich kann dieses ewige 'Qualität, Qualität' nicht mehr hören. Wir müssen emotional Fußball spielen! In jedem Spiel! Wir haben jetzt noch fünf Spiele, die müssen wir alle gewinnen - und zwar deutlich!" Einer zeigte seinen Emotionen dann doch noch, aber zu spät: Rüdiger war bei der Kabinenpredigt ganz vorne mit dabei.

Nagelsmann selbst war an diesem Donnerstag nicht in der Lage gewesen, die falsch laufenden Dinge zu korrigieren. Mit seinen Ideen hatte er sich tüchtig verzockt. Die Außenverteidiger standen extrem hoch, boten viel Raum an. Und Kimmich ließ sich im Spielaufbau immer wieder zurückfallen. Das wirkte alles unnötig kompliziert. Vielleicht zu kompliziert?

"Heute waren wir meilenweit weg von Gut und Böse. Auch böse waren wir nicht", wetterte Nagelsmann derweil. Die dritte Pflichtspielniederlage in Serie weckt die bösen Geister des tiefgrauen Novembers 2023 mit dem Hilflos-Auftritt im nahen Wien. Damals verlor die DFB-Elf erst in Berlin mit 2:3 gegen die Türkei und ging in Österreich wie nun in der Slowakei mit 0:2 unter.

Völler ist desillusioniert

Schon bröckelt der bei der berauschenden Heim-EM mühsam wiederhergestellte Zusammenhalt mit den Fans, der DFB musste sich gegen Netz-Hass und Rassismus in Richtung einiger Nationalspieler verwehren. Rudi Völler sprach nach der "sehr leblosen Vorstellung" desillusioniert von einem "bitteren Erwachen" und stellte die Charakterfrage. Die treibt auch Nagelsmann und Kimmich um: "Das war schon in den letzten Spielen unser Problem", sagte der Kapitän, da taugten auch die Ausfälle mehrerer WM-Säulen nicht als Entschuldigung. Und der Bundestrainer sprach etwas aus, das wie eine Drohung klang: "Vielleicht müssen wir dann tatsächlich weniger auf Qualität setzen, sondern auf Spieler, die einfach nur alles reinwerfen."

Einen Hauch von Milde gewährte der Bundestrainer aber noch. Er wolle "nicht alles einstürzen lassen, wir haben noch eine gute Chance". Sollte das Direktticket zur WM über Gruppenplatz eins verspielt werden, blieben die Playoffs, für die Deutschland über die Nations League bereits qualifiziert ist. Nagelsmann wollte auch an diesem katastrophalen Abend nicht nachgeben, was seine Ziele angeht. Es zu ändern, "wäre unglaubwürdig" und "ein fatales Zeichen", sagte er – und klang wie ein Fantast. Mitten in der Krise.

Und diese geht selbst an Fußball-Zwerg San Marino nicht vorbei. In der aktuellen Verfassung der Nationalmannschaft bittet der X-Account des Verbands das DFB-Team zum Duell. Und sieht sich dabei offenbar als aussichtsreichen Konkurrenten. Ein Spaß? Hoffentlich für Deutschland.

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