Der Fifa droht ein gigantisches Transfer-Chaos
Vor 30 Jahren, im Dezember 1995, stellte das Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den europäischen Fußball auf den Kopf: Ablösesummen für Spieler fielen nach Vertragsende weg. Jetzt hängt wieder ein Damoklesschwert über den Verbänden und Vereinen: Im schlimmsten Fall können Spieler ihren Vertrag jederzeit einseitig kündigen, weil sie anderswo mehr verdienen.
Der Reihe nach: Ende 2024 urteilte der EuGH im Fall von Ex-Profi Lassana Diarra (40), dass Teile des Fifa-Reglements für internationale Transfers gegen EU-Recht verstoßen, konkret gegen die Arbeitnehmer-Freizügigkeit und den Wettbewerb zwischen den Vereinen. Denn geschützt würden zentral die finanziellen Interessen der Vereine bei Transfers, nicht der sportliche Wettbewerb.
Der Franzose Diarra war von der Fifa zur Zahlung von über zehn Millionen Euro verurteilt worden, weil er den Vertrag mit Lokomotive Moskau 2014 nach nur einem Jahr und ohne triftigen Grund gekündigt hatte. Nach den damaligen Fifa-Regeln hätte auch Diarras neuer Verein – Charleroi – für die Entschädigung an Moskau haften müssen. Der Transfer platzte deshalb. Nun verklagt Diarra die Fifa und Belgiens Verband auf 65 Millionen Euro Schadensersatz.
Sammelklage um mehrere Milliarden Euro
Auf Basis des Diarra-Urteils kündigt die niederländische Organisation „Justice for Players“ (JfP) für Anfang 2026 eine Sammelklage gegen die Fifa, den DFB sowie die Verbände aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Dänemark bei einem niederländischen Gericht an. Weitere Verbände könnten folgen, sollte es bis dahin keine Einigung geben. Es geht um mehrere Milliarden Euro, denn JfP will Schadensersatz für bis zu 100.000 Spieler erstreiten, die seit 2002 für Klubs in der EU und nach dem Brexit in Großbritannien gespielt haben.
Begründung: Die rechtswidrigen Fifa-Transferregeln hätten es Spielern jahrzehntelang erschwert, ihre Verträge auch ohne triftigen Grund vorzeitig zu kündigen. Mit der Folge, dass sie im Laufe ihrer Karriere etwa acht Prozent weniger verdient hätten, so die pauschale Schätzung unabhängiger Wirtschaftsexperten.
Was bedeutet das für den deutschen Fußball? Frank Rybak, Justiziar der Spielergewerkschaft VDV mit mehr als 1400 Mitgliedern, erklärt auf Anfrage: „Wir werden jetzt innerhalb der VDV prüfen, ob wir unseren Mitgliedern empfehlen, sich der Sammelklage anzuschließen oder nicht.“
Sportrechtler Martin Stopper gibt einer Sammelklage wenig Chancen: „Schadensersatz wird nur zugesprochen, wenn der Schaden im Einzelfall nachgewiesen ist – und zwar vom jeweiligen Spieler in seiner jeweiligen besonderen Situation. Nichtsdestotrotz muss man abwarten, ob sich die beklagten Verbände auf einen Deal einlassen wollen, um somit vielen denkbaren Individualklagen zu entgehen, deren Erfolgschancen im prozessualen Sinne höher sind als die nach dem holländischen Sammelklagen-Gesetz.“
Ablösesummen könnten einbrechen
Die DFL ist aus anderem Grund alarmiert. Und will das Thema auf der Sitzung der Vereinigung der Europäischen Ligen (EL) Mitte September angehen. Das Schreckensszenario: eine Aufweichung der Vertragsstabilität mit gravierenden Folgen für die Planungssicherheit der Vereine. Und für den Transfermarkt, darunter ein drastischer Einbruch der Ablösen, die gerade kleinere Vereine brauchen.
Risiken sieht auch Stopper, durch das EuGH-Urteil sei die Hemmschwelle für Spieler, sich über einen erfundenen Kündigungsgrund zu verabschieden, abgesenkt. „Die Verbände sind deshalb aufgefordert, im Sinne der Diarra-Entscheidung verhältnismäßige Sanktionen bei Vertragsbrüchen zu regulieren. Dass fortan jede vorzeitige Vertragsbeendigung durch die Arbeitsgerichte entschieden werden muss, weil das für den – vermeintlich – vertragsbrüchigen Spieler immer der billigere Weg ist, würde nicht nur das Transfersystem, sondern den gesamten Fußball in nicht hinnehmbarer Weise beschädigen.“
Fifa muss nachjustieren
Bisher hat die Fifa mit einer Transfer-Übergangsregelung auf das Diarra-Urteil reagiert. VDV-Justiziar Rybak kritisiert, dass „zwei entscheidende Punkte“ nicht umgesetzt würden, weshalb die Fifa nachjustieren müsse: „Der eine betrifft die Frage, ob Vertragsbrüche nach Saisonende sanktioniert werden können, obwohl diese keinen Einfluss auf den laufenden Wettbewerb haben. Der andere die Frage, ob Verbandsrecht das nationale Arbeitsrecht berücksichtigen muss.“
Was Rybak meint: „Nach deutschem Recht kann ein Vertragsbruch meiner Meinung nach mit einer Vertragsstrafe von maximal sechs Monatsgehältern bestraft werden.“ Eine vergleichsweise überschaubare Summe, die einen Spieler kaum davon abhalten wird, zu einem Verein zu wechseln, der mehr zahlt.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
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