Patrick Femerling ist Rekordspieler der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Im Interview mit ntv.de erzählt die DBB-Legende, die bei der EM als RTL-Experte im Einsatz ist, warum andere Teams nicht gegen Deutschland spielen wollen, welche die größten Hürden der Deutschen sind - und warum man als Team auch manchmal zu McDonald's muss.

Herr Femerling, die deutsche Basketball-Nationalmannschaft muss zum EM-Start zwar zunächst auf Bundestrainer Álex Mumbrú verzichten, weil der Spanier an einem Infekt laboriert. Aber nach EM-Bronze 2022, WM-Gold 2023 und Platz vier bei Olympia wird von Mumbrú bei der EM dennoch sofort eine Medaille erwartet.

Patrick Femerling: Das ist Teil des Geschäfts. Und es ist ja auch jetzt nicht eine unbekannte Größe, in die er sich reinbegeben hat. Deutschland ist eine Mannschaft, die sehr viel Qualität und Potenzial hat. Die in den letzten Jahren sehr viel Erfolg hatte und wunderbar zusammengewachsen ist, auch menschlich.

Heute Nachmittag (15.30 Uhr/RTL und MagentaSport) gegen Montenegro geht es los. Wie groß ist der Druck auf Mumbrú, der nun zunächst aus dem Krankenbett mitfiebern muss?

Klar, da ist viel Druck und es wird nicht leicht für ihn und das deutsche Team. Die EM ist kein Selbstläufer. Die Erwartungshaltung ist jetzt groß, aber Mumbrú und die Spieler investieren harte Arbeit und Konzentration, damit es überhaupt die Chance auf Erfolg gibt.

Die Vorbereitung lief besonders vor den Spanien-Spielen holprig: Fremdelt die Mannschaft noch mit Mumbrús Spielstil?

Ich glaube, die mittelmäßigen Leistungen waren weniger dem neuen Spielstil, sondern der Verletzungssituation geschuldet. Die deutsche Mannschaft hatte einige Spieler, bei denen man zumindest in der Außenbetrachtung noch nicht wusste, wie fit sie sind.

Was hat sich unter Mumbrú im Vergleich zum Weltmeistertrainer Gordon Herbert geändert?

Der neue Spielstil Mumbrús ist das eine. Er will ein bisschen schneller spielen lassen und aufs Gas drücken. Damit kannst du auf dem europäischen Topniveau, wenn du kontrolliert das Tempo forcierst und hohen Druck auf die Verteidigung ausübst, mehr Chancen auf leichte Punkte oder ein Foul des Gegners erzwingen.

Und der zweite Faktor?

Die größte Hürde ist, dass Mumbrú neue Spieler integrieren muss. Zum Beispiel sind die Stützen Moritz Wagner und Niels Giffey nicht dabei. Die deutsche Mannschaft funktioniert menschlich super zusammen, weshalb man Neue leicht integrieren kann, aber spielerisch ist jeder, der dazukommt, natürlich eine Veränderung. Besonders, weil die Mannschaft wenig Vorbereitungszeit hatte. Aber ich bin zuversichtlich.

Legte Herbert Wert auf eine Hierarchie mit klaren Rollen, sollen bei Mumbrú alle Spieler enorm wichtig sein. Herrscht jetzt Anarchie im DBB-Team?

Anarchie würde ich es nicht nennen. Ich glaube, jetzt gibt es genauso eine Hierarchie wie auch unter Gordon Herbert. Der hat das vielleicht anders formuliert, dass Dennis Schröder der vokale Anführer und Ball-Handler ist, und Franz Wagner die erste Option in der Offensive. Dennoch muss unter Mumbrú jeder seine Rolle annehmen und seine Stärken ausspielen. Viele der deutschen Spieler nehmen in ihren Klubs eine ganz andere Rolle ein und sind dort Führungsspieler. Jeder muss sich nun in eine Hierarchie einordnen und für sich neu verstehen, was seine Rolle der Nationalmannschaft ist, weil sie nicht exakt dieselbe sein wird wie im Verein.

Der Bundestrainer erntete in der Vorbereitung Kritik dafür, Dennis Schröder und Franz Wagner gleichzeitig aus dem Spiel zu nehmen.

Das hat für mich nichts mit Hierarchie, sondern mit einer Wechselstrategie zu tun. Die beiden sind Deutschlands wichtigste Spieler, aber in der Vorbereitung kann man keine Spieler 35 Minuten aufs Feld schicken. Du willst ja, dass sie beim Höhepunkt fit sind und da notfalls dann auch ein paar mehr Minuten geben können.

Aber da gibt es natürlich auch ganz viel anderes Talent im Team. Es darf niemand einen freien Wurf liegenlassen, weil er denkt, Franz oder Dennis sind da. Mit Isaac Bonga und Tristan da Silva haben wir auf dem Flügel große, lange Spieler, die eigentlich fast alles wegverteidigen können und auch vorn ihre Qualitäten haben. Auch Justus Hollatz hat mir in der Vorbereitung sehr gut gefallen, und wenn alle auf der großen Position fit sind, dann sind wir da super besetzt. Andi Obst ist natürlich auch eine Waffe.

Wo haben Sie in der Vorbereitung noch Verbesserungsbedarf entdeckt?

Wenn man noch nicht so lange zusammen spielt, gibt es immer mal eine Absprache, die in der Verteidigung nicht ganz funktioniert. Oder ein Konzept, dass nicht von allen fünf gleichzeitig auf dem Feld genauso gelaufen wird, wie es gelaufen werden sollte.

Offensiv ist der Flow noch nicht da, aber von Spiel zu Spiel hat man da schon Verbesserungen gesehen. Die Spielzüge können teilweise noch besser ausgeführt oder mit einem Block vorbereitet werden, die Laufwege können noch einstudierter funktionieren.

In der NBA werden gerne Generationen miteinander verglichen, auch wenn die Vergleiche oft hinken. Dennoch die Frage: Was haben die Weltmeister-Jungs, was Ihre Generation nicht hatte?

Heute sind die Deutschen auf jeder Position individuell einfach bessere Spieler, als wir es damals waren. Die sind besser ausgebildet, sind athletisch einen Tick besser. Wir hatten auch ein paar Spieler, die in Europa sehr hochklassig gespielt haben, aber nicht in der Dichte und nicht auf dem Level in der NBA. Dirk Nowitzki muss man natürlich rausnehmen aus der ganzen Rechnung. Das ist eine richtig tolle Entwicklung, die der Basketball derzeit nimmt. Bei den Männern wie bei den Frauen. Auch wenn noch viel passieren muss, hat man bereits gesehen, wie viel rauskommen kann, wenn man investiert. Wenn ich mich mit Joe Voigtmann oder Moritz Wagner vergleiche, dann sehe ich bei denen noch mal ein anderes Skillset und auch eine andere Freiheit, die sie auf dem Feld haben.

Ein Grund für diese starken Leistungen ist das mittlerweile akribisch durchgeplante Profidasein. Ist man bei Ihnen damals noch geschlossen mit der Mannschaft Fast Food essen gegangen?

Wir waren damals schon mal bei McDonald's, auch wenn es nicht unser täglich Brot war. Das ist ja auch eine seelische Geschichte, dass man dann mal zusammensitzt und ein Bier trinkt oder zusammensitzt und Pizza oder Burger isst. Bei den vielen Reisen heutzutage durch Europa und die ganze Welt muss jeder Spieler einen guten Weg finden für sich, gesund zu sein. Ich bin sicher, dass die auch mal irgendwann zusammensitzen und Bier trinken. Und wenn man nach dem EM-Sieg nicht zusammen ein Bier trinkt, dann weiß ich auch nicht.

Stichwort EM-Sieg. Sie sind mit 221 Länderspielen Rekordnationalspieler, wenn es also einer wissen muss, dann Sie: Deutschland wird Europameister, weil …

… die Teamchemie super ist. Weil jeder bereit ist, für jeden alles auf dem Feld zu lassen. Und weil die Qualität der Mannschaft unglaublich gut ist.

Weitere Favoriten sind …

Serbien auf jeden Fall. Die haben alle Topspieler dabei, spielen sehr homogen und gerne zusammen. Und sie haben mit WM-Silber einen großen Erfolg gefeiert und standen gegen die USA mit einem Fuß bereits im Finale der Olympischen Spiele von Paris.

Wer folgt dahinter?

Die Franzosen, die ich in der Vorbereitung sehr spannend, athletisch und schnell fand. Auch ohne NBA-Star Victor Wembanyama. Vielleicht spielt die Mannschaft ohne ihn sogar noch ein wenig homogener und mehr den Ball, weil es nicht den Fokus auf einen Spieler gibt. Hinzu kommt eine große defensive Power. Dann kommen Teams wie Spanien, Türkei, Slowenien um Superstar Luka Doncic und Griechenland um Giannis Antetokounmpo, der dir in 15 Minuten mal eben 25 Punkte und 10 Rebounds einschenkt. Eine EM ist sogar ein bisschen schwerer zu spielen als eine WM, weil du in Europa vermeintlich "Kleine" nicht mehr hast.

Welche Mannschaft ist für die Deutschen vom Mannschaftsgefüge und Spielstil her besonders gefährlich?

Die Litauer haben eine Mannschaft, die schönen Basketball spielt, die unfassbar emotional ist und die Deutschland nicht unbedingt liegt. Die Gastgeber Lettland und Finnland um Lauri Markkanen, der sogar auf der europäischen Ebene Spiele mit 40 Punkten abliefert - was gegen die Defensivstrategien auf diesem Level echt schwer ist - darf man auch nicht vergessen.

Ist es so, dass einige Mannschaften mittlerweile die Hose voll haben, wenn sie auf Weltmeister Deutschland treffen?

Keiner spielt gerne gegen Deutschland. Weil die Mannschaft die letzten Jahre gezeigt hat, dass man als Gegner schon sehr, sehr viel investieren muss, um überhaupt eine Chance zu haben, das Spiel zu gewinnen. Sie hat das Siegen als Mannschaft gelernt und dabei den Hunger auf Erfolg beibehalten.

Zum Abschluss darf es auch noch persönlich werden: Schauen Sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf diese goldene Nationalmannschaft und die Strukturen, die es in Deutschland mittlerweile gibt und die Sie damals so nicht hatten?

Wir sind anders sozialisiert worden und damals war der Sport nicht so professionalisiert. Es ist nicht so, als hätte es damals nicht das athletische oder spielerische Potenzial gegeben, aber es war einfach eine andere Zeit. Und deswegen trauere ich dem auch nicht nach. Ich hatte wunderbare Jahre mit der Nationalmannschaft, mit vielen Erfolgen und auch mit Misserfolg. Da hat man sich dann wieder herausgekämpft. Das war eine sehr, sehr tolle und besondere Zeit. Ich bin durchaus romantisch dem gegenüber und habe mir damals jeden Sommer gerne um die Ohren gehauen.

Mit Patrick Femerling sprach David Bedürftig

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