„Dass Hoeneß versucht hat, mir eine Brücke zu bauen, fand ich nicht sehr glücklich“
Der Hype rund um Thomas Müller scheint bei seinem Start in Vancouver grenzenlos. Beim 1:1 mit seinem neuen Verein, den Whitecaps, gegen Houston Dynamo war die Arena erstmals in dieser Spielzeit ausverkauft. Müller zeigte mit einem Tor direkt seine Klasse, der Treffer wurde wegen einer Abseitsstellung im Vorfeld aber aberkannt. Jetzt spricht er im Interview erstmals ausführlich über seinen Neuanfang in Kanada nach 25 Jahren beim FC Bayern.
Frage: Herr Müller, wie ist Ihr neues Leben in Nordamerika?
Thomas Müller: Bisher macht es richtig viel Spaß! Wenn du so einen Schritt gehst, gibt es logischerweise viele Unbekannte. Mit meiner Entscheidung für Vancouver hatte ich allerdings sofort das Gefühl, dass die Menschen und der Spirit der Stadt sehr gut zu mir passen können. In erster Linie bin ich aber hier, um gut Fußball zu spielen. Wenn das Sportliche erst mal gut läuft, werde ich sicher auch die Stadt und die Umgebung genießen können.
Frage: Sportlich reden alle über Messi gegen Müller – wie klingt dieses Duell der absoluten MLS-Topstars für Sie?
Müller: Ich fände das Messi-Müller-Duell super, denn das würde heißen, dass wir im MLS-Finale am 6. Dezember stehen. Mit Messi habe ich im Laufe meiner Karriere ja schon einige große Schlachten ausgefochten, meist mit einem besseren Ausgang für meine Teams. Darum würde ich mich auf das nächste große Spiel gegen Messi besonders freuen (grinst).
Frage: Ihr Sportdirektor Axel Schuster hat im Bild-Podcast „Bayern Insider“ gesagt, dass er bei einer Wahl zwischen Miamis Lionel Messi und Ihnen, er sich immer für Thomas Müller entschieden hätte.
Müller: Eins ist klar: Messi hätte er wohl nicht so günstig bekommen (lacht). Ich weiß ja, was er damit meint. Jede Mannschaft hätte gerne Messi in ihren Reihen, aber es ist schon die Frage, ob die Art, wie Messi Fußball spielt, zu Vancouver passt. Wir wissen alle: Messi war in seiner Karriere niemals ein Pressing-Aktivitäts-Genie mit Fokus auf Organisation und defensiver Lauffreude. Mit dem Ball am Fuß hatte und hat er immer noch seine Glanzstunden.
Frage: Was würde Ihnen ein Titel mit den Whitecaps bedeuten? Sie sind immerhin Weltmeister, mehrmaliger Champions-League-Sieger und Deutscher Meister …
Müller: Mit den Vancouver Whitecaps habe ich die Möglichkeit, kanadischer Meister zu werden wie auch MLS-Champion. Das wäre ein wahnsinnig großer Erfolg! Zuletzt ist das den Whitecaps im Jahr 1979 gelungen. In der kanadischen Meisterschaft stehen wir bereits im Halbfinale, und auch in der MLS liegen wir aktuell gut. Meine neuen Mannschaftskollegen haben die Voraussetzungen geschaffen, dass ich gleich in meiner ersten Saison von Titeln träumen darf.
Frage: Ihr nächster und damit 35. Titel würde Sie zum erfolgreichsten deutschen Spieler aller Zeiten machen. Vor Toni Kroos, der aktuell mit Ihnen gleichauf liegt.
Müller: Ich würde lieber sagen: „Erfolgreichster Titel-Hamster Deutschlands.“ Die Frage ist ja immer: Wie gewichtest du diese Titel? Der eine wird öfter nationaler Meister, der andere hat dafür mehr Champions-League-Siege auf dem Konto. Statistiken sind eine nette Sache, nicht mehr und nicht weniger. Fußball spiele ich nicht für meine „Titel-Legacy“ (Vermächtnis; d.Red.), sondern weil ich es einfach liebe, auf dem Platz zu stehen.
Frage: Es waren viele Klubs an Ihnen interessiert. Was hat den Ausschlag für Vancouver gegeben?
Müller: Das Gesamtpaket war einfach spitze. Die sportlichen Ambitionen der Whitecaps in Kombination mit der tollen Stadt haben mich überzeugt. Die Gespräche mit Sportdirektor Axel Schuster und Trainer Jesper Sørensen waren von Beginn an total offen. Das hat mir gefallen. Jetzt bin ich hier, und es geht sofort in die heiße Phase der Saison.
Frage: Der FC Bayern hätte sich gewünscht, Sie würden zum Partnerklub Los Angeles FC wechseln. Woran ist der Transfer am Ende gescheitert?
Müller: Der Transfer ist nicht gescheitert, auch wenn es ein persönliches Treffen in München gab. Ich habe mich bewusst für Vancouver und die Whitecaps entschieden. Da hat es für mich von Beginn an einfach super gepasst!
Frage: Neben Vancouver war am Ende noch Sydney FC im Rennen, bei dem Ex-Bayer Alexander Baumjohann Sportdirektor ist. Hätten Sie sich den Schritt nach Australien vorstellen können?
Müller: Mit Alex habe ich zwei-, dreimal telefoniert, und er hat mir das Projekt ehrlich gesagt sehr schmackhaft gemacht. Ich hatte ja Lust auf ein Abenteuer außerhalb Europas und bekam durch die Gespräche eine gute Vorstellung davon, was mich in Sydney erwarten würde. Dementsprechend war ich neugierig.
Frage: Sie haben sich für Vancouver zuletzt noch beim FC Bayern fit gehalten und dabei mit Luis Díaz zusammen trainiert. Wie finden Sie den Neuzugang des FC Bayern?
Müller: Luis ist von Anfang an gut angekommen, war sofort drin. Ich habe ihn als extrem fleißig von seiner Spielweise her erlebt, und er hat ein tolles Spielverständnis. Er ist immer aktiv und taucht als Flügelspieler auch im Strafraum auf, daher sehe ich ihn als Transfer für den FC Bayern sehr positiv. Sein Tor im Supercup passt da natürlich wunderbar zu meiner Analyse.
Frage: Wie sehen Sie die große Legenden-Diskussion, wer Thomas Müller als Sympathieträger und Identifikationsfigur bei Bayern ersetzen soll? Ist es Jamal Musiala?
Müller: Wenn die Menschen erwarten, dass ein Spieler in Bayern geboren sein muss, erfolgreich ist und zudem auf die Leute zugeht, ist das schon sehr viel Wunschdenken. Wir haben einige Spieler in den Reihen, die den FC Bayern absolut verkörpern und aus der Jugend kommen – wie Pavlo (Aleksandar Pavlovic, d.Red.) und Stani (Josip Stanisic, d.Red.). Die beiden wissen absolut, worum es geht. Jamal möchte ich diese sentimentale Diskussion gar nicht aufbürden. Er soll sich einfach als Freigeist fühlen und Spaß am Fußball haben, wenn er wieder fit ist. Die Burschen werden das gut hinbekommen. Davon bin ich überzeugt.
Frage: Tut es Ihnen leid zu sehen, dass Florian Wirtz nun im Trikot des FC Liverpool und nicht in dem des FC Bayern aufläuft?
Müller: Es wäre super gewesen, wenn der Flo bei Bayern gelandet wäre. Es ist aber auch schön zu sehen, wenn er nun für Liverpool spielt. Ich fand es früher schon toll, wenn deutsche Spieler bei großen Klubs in internationalen Ligen ihre Handschrift hinterlassen und die deutschen Fahnen hochgehalten haben. Trotzdem ist es für die Bundesliga natürlich ein Riesenverlust, wenn so ein Spieler die Liga verlässt.
Frage: Wer könnte bei Bayern die nächste große Führungsfigur werden?
Müller: Da habe ich einen Hot Take (provokante These, d.Red.) parat: Michael Olise. Ich sehe ihn von der Art und Weise, wie er auftritt und was er unter Leistungsbereitschaft versteht, als absoluten Leistungsträger der nächsten Jahre. Er kann der Spieler werden, der in Zukunft für Bayern vorangeht, wie es zu meiner Zeit Franck Ribéry getan hat. Er mag ein anderer Charakter sein als Franck, aber er ist auch ein Typ, der klar signalisiert: „Gib mir den Ball, ich regele das!“ So kann man auch eine Mannschaft anführen, ohne ein großer Lautsprecher zu sein.
Frage: Kann der junge Lennart Karl als gebürtiger Bayer vielleicht ein nächster Sympathieträger für die Fans werden?
Müller: Dass ihr immer gleich übertreiben müsst. Es sollte bei Lennart erst mal um das Sportliche gehen, der Rest kommt dann von allein. Was ich über Lennart sagen kann, ist, dass er einen super linken Fuß hat. Verteidigern würde ich raten, ihn nicht frei ab 20 Meter rund ums Tor schießen zu lassen. Das hat Lennart in den Testspielen und in unseren gemeinsamen Trainingseinheiten bereits unter Beweis gestellt. Mich freut es, dass er den Mut hat, dann auch mal abzudrücken. Ich werde seine weitere Entwicklung gespannt beobachten.
Frage: Sie sprechen über den FC Bayern oftmals noch in der Wir-Form. Da Sie seit dem 1. August nicht mehr unter Vertrag in München stehen, könnten Sie nun ehrlich sagen: Waren Sie enttäuscht, wie Ihr Karriereende beim FC Bayern eingeläutet wurde?
Müller: Nein – enttäuscht war ich nicht. Wie ich schon Anfang April in meinem Brief erwähnt habe, war die Kommunikation zu meinem Vertragsende nicht wirklich optimal. Dass mir das nicht geschmeckt hat, wie man in Bayern sagt, habe ich den Verantwortlichen auch mitgeteilt.
Frage: Sie waren in die Gespräche mit dem Klub gegangen, dass Sie ein Jahr weiterspielen wollen. So wie es Ihnen Sportvorstand Max Eberl in einer Pressekonferenz Anfang Januar in Aussicht gestellt hatte.
Müller: Ja, die Entscheidung, dass ich keinen neuen Vertrag mehr bekommen werde, kam für mich zu diesem Zeitpunkt und aufgrund der vorherigen Kommunikation schon überraschend. Das sind allerdings jetzt schon sehr alte Kamellen, zu denen sich alle Seiten auch schon detailliert geäußert haben.
Frage: Irritiert hatte auch Uli Hoeneß, der Ihnen bei der Kino-Premiere Ihrer Doku riet, Ihre Karriere beim FC Bayern im Sommer zu beenden. Später räumte der Ehrenpräsident ein, dass zu dem Zeitpunkt der Beschluss, dass Sie keinen neuen Vertrag erhalten würden, schon feststand. Nur Sie waren noch nicht informiert worden.
Müller: Absolut richtig. Der Verein hatte intern bereits entschieden und es mir noch nicht mitgeteilt. Dass Uli Hoeneß dann versucht hat, „mir eine Brücke zu bauen“, und sich öffentlich zu meiner Vertragssituation auf der Kino-Premiere meiner Doku geäußert hat, fand ich ehrlicherweise nicht sehr glücklich. Geradeaus hätte mir besser gefallen. Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein Freund des offenen Visiers bin. Trotz der bereits beschriebenen holprigen Einleitung war mein Abschied vom FC Bayern dann im Verlauf der letzten Monate absolut außergewöhnlich und sehr besonders für mich.
Frage: Die Weltmeisterschaft 2026 findet neben Mexiko auch in Kanada und den USA statt. Wollen Sie denn da dabei sein, beispielsweise als TV-Experte?
Müller: In der MLS geht’s jetzt in die entscheidende Phase der Saison. Das ist also reine Zukunftsmusik für mich. Fragen Sie mich noch mal gegen Weihnachten.
Frage: Ihr alter Kollege Manuel Neuer hat plötzlich die Chance, bei der WM 2026 als Nationaltorwart noch mal Thema zu werden. Die aktuelle Nummer eins, Marc-André ter Stegen, muss sich am Rücken operieren lassen, zudem ist seine Zukunft beim FC Barcelona ungewiss. Trauen Sie Neuer das WM-Comeback denn zu?
Müller: Wenn Manuel zu dem Zeitpunkt fit ist und so im Tor beim FC Bayern steht, wie ich ihn kenne, dann traue ich ihm die Rolle als deutsche Nummer eins bei der WM 2026 absolut zu.
Frage: Statt in der Allianz Arena ist Ihr neues Wohnzimmer nun das „BC Place Stadium“.
Müller: Die Allianz Arena ist ja bekannt für seine Beleuchtung. Aber ich muss sagen, auch unser Stadion in Vancouver leuchtet spektakulär, wenn auch blau statt rot. Ich blicke direkt von der Terrasse meiner Wohnung darauf und kann sagen: Das Stadion ist ein richtiger „eyecatcher“, wie man hier sagt, ein richtiger Hingucker.
Frage: Sie können zu Fuß ins Stadion gehen. Müller, der mit der Sporttasche über der Schulter ins Stadion spaziert, kann man sich nicht wirklich vorstellen.
Müller: Unser Treffpunkt ist bei Heimspielen knapp zwei Stunden vor Anpfiff im Stadion. Ich werde das auf jeden Fall mal ausprobieren und bin gespannt, wie die Fans reagieren (grinst).
Frage: Sie haben bei den Vancouver Whitecaps bis Ende 2026 unterschrieben. Können Sie sich denn vorstellen, in Zukunft einmal zu Ihrem FC Bayern in einer anderen Funktion zurückzukehren?
Müller: Ich fange hier in Kanada gerade ein neues Kapitel an. Ich bin seit vier Monaten damit beschäftigt, Abschied vom FC Bayern zu nehmen. Das war anstrengend genug. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, fragen Sie mich, wann ich zum FC Bayern zurückkehre? Humor habt Ihr schon …
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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