„Malaga. Mehr muss man nicht sagen“
Eine BVB-Legende darf sich von den Fans gebührend verabschieden. Mats Hummels, Weltmeister von 2014, wird am Sonntag im Zuge der Saisoneröffnung noch einmal das Dortmunder Trikot überstreifen. Der 36 Jahre alte Innenverteidiger wird beim Testspiel gegen Juventus Turin (17.30 Uhr) sogar in der Startelf stehen.
Bisher gab es noch keine Möglichkeit, Hummels offiziell zu verabschieden. Der Abwehrspieler, der zuletzt für die AS Rom gespielt hat, hatte im Sommer seine lange und erfolgreiche Karriere beendet.
Frage: Herr Hummels, Sie erleben erstmals seit der Jugendzeit einen Sommer ohne Fußball-Vorbereitung. Welchen Luxus genießen Sie, den Sie als Profi nicht hatten?
Mats Hummels: Zeit zu haben und mir Dinge selbst einteilen zu können. Einen geregelten Alltag zu haben. Das ist ein Gut, dass ich derzeit sehr zu schätzen lerne.
Frage: Fehlt Ihnen das Profigeschäft schon?
Hummels: Es fühlt sich derzeit ehrlich gesagt noch an wie eine längere Sommerpause. Bei Social Media werden mir immer wieder Trainingsvideos meiner ehemaligen Vereine angezeigt, vom BVB, Bayern und AS Rom. Da geht mir manchmal durch den Kopf, dass ich das nicht mehr erleben werde. Aber so richtig habe ich das Karriereende noch nicht realisiert. Das wird wahrscheinlich erst passieren, wenn die Saison so richtig beginnt.
Frage: Dortmund testet am Sonntag gegen Juventus Turin – und Sie sollen als Ex-Kapitän des BVB als eine Art Abschied mit von der Partie sein. Bereiten Sie sich speziell darauf vor?
Hummels: Ich habe in der vergangenen Woche das erste Mal wieder gespielt, mit einigen Bekannten im Urlaub. Das hat Riesenspaß gemacht. Aber ich muss sagen: Nach einigen Wochen ohne Ball war mein Körper schon ein wenig eingerostet. In der zweiten Hälfte unseres Spiels wurde es dann schon merklich besser. Und ich war froh, dass ich wieder ein gutes Gefühl hatte. Ansonsten würden das ein paar grausame Minuten für mich gegen Juve. (lacht)
Frage: Wie lange werden Sie sich nun eine Auszeit gönnen?
Hummels: Bis auf meinen Experten-Job im TV werde ich erst einmal nichts machen. Und zwar über Jahre nichts. Man sollte nie etwas ausschließen, aber der klare Plan ist, dass ich wirklich über einen langen Zeitraum keine andere Aufgabe übernehme.
Frage: Weil Ihre Profi-Karriere über 20 Jahre so viel Kraft gekostet hat?
Hummels: Es geht mir vor allem darum, nicht ständig präsent zu sein. Es gehörte ja jahrelang zu meiner Rolle in den Mannschaften, dass ich reden und Dinge erklären musste. Nun kann ich mir einfach aussuchen, wann und wo ich auftrete.
Frage: Haben Sie Ihre Zeit beim BVB mittlerweile verarbeitet? Zuletzt waren Sie ja noch ein Jahr für AS Rom aktiv.
Hummels: Was heißt verarbeitet? Wenn ich an den BVB denke, dann ist das einfach nur ein Glücksgefühl. Das löst positive Emotionen bei mir aus. Insofern musste ich da nichts verarbeiten.
Frage: Die Borussia verlängerte Ihren Vertrag vor rund einem Jahr nicht mehr. Sie selbst wären aber gerne noch geblieben, richtig?
Hummels: Ja, ich wäre auf jeden Fall gerne noch beim BVB geblieben. Aber die Konstellation hat einfach nicht zu einhundert Prozent gepasst. Und das ist auch in Ordnung. Bei mir herrscht überhaupt kein Groll. Solche sportlichen Entscheidungen muss man akzeptieren.
Frage: Es gab die Überlegung, dass Sie dem BVB bei der Klub-WM in den USA aushelfen. Wie konkret war das?
Hummels: Das war mal eine kleine Spinnerei, die erst mal eigentlich nur zwischen Aki Watzke und mir herrschte. Ich habe mir dann Gedanken dazu gemacht. Doch dann wurde das Thema auch schon sehr schnell öffentlich breitgetreten. Und anschließend ist es – ehrlich gesagt – nie zur konkreten Frage gekommen, ob ich das machen möchte.
Frage: Hätten Sie es denn gemacht?
Hummels: Die Idee, mein letztes Pflichtspiel im BVB-Trikot zu absolvieren, hat mich auf jeden Fall gereizt. Für einen anderen Klub bei dem Wettbewerb aufzulaufen hätte für mich keinen Reiz gehabt. Aber mit dem BVB noch einmal aufzudribbeln, das hätte was gehabt.
Frage: Was war Ihr prägendstes Spiel für den BVB?
Hummels: Das ist schwierig. Am Ende war es wahrscheinlich das Champions-League-Spiel gegen Malaga, als wir durch zwei Last-Minute-Tore ins Halbfinale eingezogen sind. Denn dieses Spiel hat eine besondere Eigenschaft. Es besteht nur aus einem Wort: Malaga. Mehr muss man nicht sagen, da hat jeder BVB-Fan alle Bilder bereits vor Augen. Aber auch mein erstes Meisterschaftsspiel gegen Nürnberg ist sehr präsent. Und meine letzte Saison für den BVB. Vor allem unser Weg ins Champions-League-Finale hatte etwas Märchenhaftes, etwas Episches. Hätten wir das Finale gegen Real gewonnen, wäre das dann mein größtes Spiel gewesen.
Frage: Und im negativen Sinne?
Hummels: Natürlich das Heimspiel gegen Mainz, als wir 2023 am letzten Spieltag die Meisterschaft verspielten.
Frage: Wie lange hat Sie dieses Spiel beschäftigt?
Hummels: Daran knabbere ich heute noch. Und ich glaube, dass ich noch viele Jahre daran knabbern werde. Man wird ja in den Medien immer mal wieder mit dem Spiel konfrontiert. Und dann merke ich, dass ich es noch immer nicht verarbeitet habe, weil ich mich in gewisser Weise natürlich auch immer noch sehr mitschuldig fühle. Wir haben es nach dem 0:2 nicht schnell genug geschafft, die Stimmung bei uns im Team wieder hochzufahren.
Frage: Sie haben kein Geheimnis daraus gemacht, dass Sie bei der Heim-EM 2024 gerne mitgewirkt hätten. Sind Sie noch immer enttäuscht darüber?
Hummels: Da wäre ich wirklich gerne dabei gewesen. Ich glaube, ein Heimturnier für sein Land zu spielen ist ein Traum von jedem Fußballer. Und dass es für jeden, der nicht dabei war, sehr traurig und enttäuschend war.
Frage: Hätten Sie sich selbst nominiert?
Hummels: Eine plakative Frage. Sagen wir es so: Ich war jetzt zumindest die Monate davor nicht in der schlechtesten Verfassung meiner Karriere.
Frage: Drei schnelle Fragen zu Ihrer Karriere. Wer war Ihr bester Trainer?
Hummels: Jürgen Klopp. Die Phase, die er hier beim BVB eingeläutet hat, war das Beste war, was jedem Spieler überhaupt passieren konnte zu der Zeit. Oder generell in der Karriere, muss man sagen.
Frage: Ihr bester Gegenspieler?
Hummels: Lionel Messi.
Frage: Ihr bester Mitspieler?
Hummels: Ich hatte natürlich unglaubliche Mitspieler, Marco Reus, Ilkay Gündogan, Lewy (Robert Lewandowski; d.Red.) und noch Dutzende andere Weltklassespieler, aber wenn ich wirklich einen herausheben muss, dann Manuel Neuer. Für mich ist er der beste Torwart, der jemals auf dem Planeten gespielt hat. Und ich glaube, es wird immer noch unterschätzt, wie viel Anteil er an vielen, vielen Titeln seiner Mannschaft hatte.
Frage: Ihr Jahr in Rom war zuletzt ein Jahr mit Höhen, aber auch vielen Tiefen. Zwischenzeitlich kamen Sie nur noch selten zum Einsatz. Würden Sie im Nachhinein nochmals dort unterschreiben?
Hummels: Ich habe gesagt, dass ich ein Abenteuer will. Und ich habe ein Abenteuer bekommen. Es hätte natürlich besser laufen können, aber ich würde nicht sagen, dass es ein Riesenfehler war. Ich habe jetzt auch eine große Verbundenheit zum AS Rom entwickelt, und der Klub ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Auch wenn es aus sportlicher Sicht natürlich hätte besser laufen können.
Frage: Fühlen Sie sich eigentlich eher als Teil der BVB- oder Bayern-Familie?
Hummels: Ich mag den FC Bayern, und es ist ja auch mein Jugendverein. Aber ich habe meine Bundesliga-Karriere als Borussa beendet und fühle mich auch so.
Frage: Wie haben Sie die Rückrunde der Dortmunder unter Trainer Niko Kovac erlebt?
Hummels: Der Saisonendspurt war beeindruckend. Das war ja ein Schlussprogramm mit ganz schwierigen Spielen. Ich glaube nicht, dass der BVB in den vergangenen Jahren so viele Punkte gegen diese Gegner geholt hat. Niko und Dortmund – das scheint sehr gut zu passen. Und so höre ich es auch aus dem Verein. Auch aus mentaler Sicht war es sehr wichtig, dass sie es noch in die Champions League geschafft haben. Und sind wir ehrlich: Es war auch gut für Deutschland. Der BVB muss als zweitgrößter Verein in der Champions League spielen.
Frage: Was trauen Sie Ihrem Herzensklub in dieser Saison zu?
Hummels: Ich bin ein Freund von Anspruchsdenken. Bayern sieht aktuell sehr stabil aus, aber es war schon immer mal möglich, vor ihnen zu landen. Als BVB-Fan würde ich auf jeden Fall den Anspruch formulieren, vor den Klubs zu landen, die zuletzt vor dem BVB in der Tabelle standen. Und auch die Meisterschaft sollte man nicht direkt abhaken.
Frage: Können Sie sich vorstellen, später einmal für den BVB zu arbeiten?
Hummels: Aki Watzke und ich sprechen immer noch regelmäßig und tauschen uns aus. Aber für mich steht noch nicht fest, in welche Richtung es gehen wird. Dieser Gedanke soll sich bei mir in den kommenden Monaten entwickeln. Ich möchte von innen heraus spüren, wofür ich brenne. Ich will mich in nächster Zeit mit vielen Menschen austauschen, die so eine Entscheidung auch schon treffen mussten. Und um Ihre Frage zu beantworten: Auf jeden Fall will ich später für den BVB arbeiten, da muss ich auch nicht drum herumreden. Das ist eine Option, die ich mir gut vorstellen kann und die sehr wahrscheinlich ist.
Frage: Werden Sie als TV-Experte ähnlich kritisch mit dem BVB umgehen wie Klub-Berater Matthias Sammer, der die Dortmunder Mannschaft nach dem 1:2 in Bologna Ende Januar verbal zerlegte?
Hummels: Nicht in der Weise, aber wenn die Leistung nicht stimmte, werde ich das auch ganz klar ansprechen. Ich muss erst ein Gefühl dafür bekommen, welche Art von Fragen ich stellen werde. Nur eine Frage steht bereits fest, die ich mit Sicherheit nie stellen werden.
Frage: Welche ist das?
Hummels: Einen Spieler nach dem Champions-League-Sieg zu fragen, wie er sich fühlt. Da sollte man schon etwas kreativer sein.
Frage: Nach unseren Infos plant der BVB noch ein zusätzliches, richtiges Abschiedsspiel für Sie ...
Hummels: Ja, der Verein hat mir das angeboten, was wirklich sehr, sehr nett ist und eine große Geste. Ich weiß aber nicht, ob ich das wahrnehme. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so sehr im Mittelpunkt stehen möchte. Das ist nicht meine Paraderolle – auch wenn viele das vielleicht nicht glauben. (lacht)
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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