Wücks Reifeprüfung beginnt mit Bastelstunde
Erstmals bei den Frauen, noch kein Jahr im Amt - und gleich eine Europameisterschaft: Bundestrainer Christian Wück legt bei seinem neuen Job beim DFB einen Kaltstart hin. Vieles muss er dabei neu lernen, vor allem die Begegnung mit der Öffentlichkeit. Das Viertelfinale wird nun seine Reifeprüfung.
"Da muss man schon ein bisschen das Basteln anfangen." Maren Meinert, die Co-Trainerin des DFB-Teams, bekennt, dass die Deutschen vor dem Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft gegen Frankreich (Samstag, 21 Uhr/ZDF, DAZN und im ntv.de-Liveticker) noch viel zu tun haben. Schließlich muss mindestens die Abwehr vor dem ersten K.-o.-Spiel des Turniers umgestellt werden.
Erst verletzt sich Kapitänin Giulia Gwinn beim Auftakt gegen Polen (2:0) am Innenband, dann kassiert deren Backup Carlotta Wamser gegen Schweden (1:4) wegen Handspiels vor dem Tor die Rote Karte. Die Baustelle rechts in der Verteidigung ist also ganz besonders groß, doch die deutliche Pleite gegen die Skandinavierinnen offenbarte insgesamt so große Lücken, dass das DFB-Team Umstrukturierungen benötigt. "Wir haben noch keine 1A-Option", sagt Meinert mit Blick auf die Defensive für die Partie gegen Frankreich.
Sie geht mit den Problemen des Teams offensiver um als Bundestrainer Christian Wück. Dieser war nach der Pleite gegen Schweden nicht sonderlich angetan von Kritik, vor allem an der löchrigen Verteidigung. Fragen nach einer Umstellung des sehr offensiven Spielsystems hatte er eine Absage erteilt: "Ich glaube, es ist jetzt falsch, wenn wir sagen, wir wollen jetzt nur reagieren und wollen nur zerstören. Ich glaube, das liegt uns auch nicht, dass wir eine Mannschaft sind, die sich hinten reinstellt und versucht, die Null zu halten und nach vorne gar nichts zu tun. Dafür haben wir auch die falschen Spielerinnen."
Wück hat nicht viel Zeit
Diese musste Wück erst einmal kennenlernen und hatte dafür nicht sonderlich viel Zeit. Noch kein Jahr ist er der Bundestrainer, hatte vorher keine Berührung mit dem Fußball der Frauen. Seit seinem Länderspiel-Debüt am 25. Oktober 2024 hatte der Trainer, der mit der männlichen U17 Europa- und Weltmeister geworden war, stets betont, dass ihm nicht viel Zeit bis zum Turnier bleibt. Zu seinem Job gekommen war er aufgrund des WM-Debakels 2023 in Australien, nach dem Aus in der Vorrunde war die Zeit von Martina Voss-Tecklenburg beendet. Horst Hrubesch spielte zum zweiten Mal den Feuerwehrmann, es war von vorneherein klar, dass er nach Olympia nicht länger zur Verfügung stehen würde. Ein offensichtlicher Kandidat als Frauen-Bundestrainer tat sich nicht hervor, die Wahl fiel dann auf Wück.
Erschwerend für ihn kam hinzu, dass es nach der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen einen Umbruch im Team gab, gestandene Größen wie Kapitänin Alexandra Popp, Innenverteidigerin Marina Hegering und die degradierte Torhüterin Merle Frohms beendeten ihre Karrieren im Nationalteam. Auch Lina Magull machte Schluss, vor Olympia hatte bereits die erfahrene Svenja Huth ihren Abschied erklärt. Wück testete mehr als 30 Spielerinnen, bevor er seinen EM-Kader nominierte.
Für Wück ist es eine herausfordernde Situation, er musste offensichtlich erst lernen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit bei einer A-Nationalmannschaft deutlich größer ist als bei den Junioren. Die Beschwerden mehrerer nicht nominierter Spielerinnen über mangelnde Kommunikation waren der Anfang, weiter ging es mit seiner nonchalant geäußerten Kritik am riskanten Spiel von Torhüterin Ann-Katrin Berger. Die Resonanz darauf beklagte er im Nachhinein.
Der DFB hatte schon Voss-Tecklenburg bei ihrem Start nicht allzu viel Zeit vor einem Turnier einräumen können, damals kam die WM 2019 nur ein knappes halbes Jahr nach ihrem ersten Länderspiel mit dem Team. Damals schied Deutschland im Viertelfinale gegen Schweden aus. Voss-Tecklenburg blieb im Amt, führte das DFB-Team bei der EM 2022 ins Finale, ehe die WM 2023 einschlug. "Es braucht Zeit, da gewisse Automatismen reinzukriegen", drückt Popp im Gespräch mit Ex-Teamkollegin Dr. Turid Knaak im Podcast "Copa TS" ihr Verständnis aus. Das Verständnis hilft allerdings nichts im Turnier, bei dem selbstbewusst formulierten Ziel aller Spielerinnen - "Wir wollen den Titel" - wäre das Aus im Viertelfinale objektiv gesehen eine Enttäuschung. Dem wollte Sportdirektorin Nia Künzer bereits vorbeugen. Der Fußball in Europa liege "sehr dicht beieinander", es sei daher "schon auch eine Auszeichnung, hier ins Viertelfinale einzuziehen".
"Eier haben" oder gefährliche Sturheit?
Noch ist das Viertelfinale nicht gespielt, das DFB-Team kann natürlich auch gegen Frankreich gewinnen und ins Halbfinale weiterziehen. Dafür hat sich nach zunächst anscheinendem Widerwillen von Wück die Meinung durchgesetzt, dass Anpassungen nötig sein werden. "Man muss auch Eier haben, seine Philosophie durchzuziehen", sagt Popp zwar über Wücks anfängliches Beharren. Es sei "cool", dass man bei sich bleibe "und nicht von heute auf morgen alles über den Haufen wirft". Aber: "Es ist ein Turnier - und Anpassungen tun manchmal auch nicht weh." Und das scheint auch das DFB-Team zu wissen.
Klara Bühl sagt, es sei "naiv zu sagen, wir machen gar nichts und spielen so weiter." Es gibt bei der Annäherung an eine Lösung für die gemeinschaftliche Verteidigung gleich mehrere Fragen zu klären: Bleibt es bei der Viererkette, mit der das Team von Bundestrainer Christian Wück ins Turnier gegangen ist? Oder wird die Dreierkette mit den zwei Schienenspielerinnen Jule Brand und Klara Bühl davor, so wie das DFB-Team es nach der Roten Karte spielte, fortgesetzt? Baut Wück weiter auf das offensichtlich ausgerichtete Mittelfeld oder setzt er eher auf die erfahrene Sara Däbritz, die Sicherheit und Abgebrühtheit ausstrahlt? Und so oder so, mit welchem Personal stemmt sich das Team gegen die Französinnen?
Für die letzte Reihe ist die erfahrenste Verteidigerin im Team eine Option. Kathrin Hendrich hatte in ihrem siebten Turnier bislang Rebecca Knaak den Vortritt lassen müssen, wurde gegen Schweden dann aber auf rechts eingewechselt. Dort wäre sie auch gegen Frankreich eine Option - oder aber Knaak, die vor allem aufgrund ihrer Geschwindigkeitsdefizite nicht überzeugen konnte, muss von der Bank aus zusehen und Hendrich rückt auf ihre angestammte Position in der Innenverteidigung. 85 Länderspiele hat die Verteidigerin, die nach der EM nach Chicago in die USA wechselt, bereits absolviert. Damit hat sie den beiden einzigen Feldspielerinnen, die in der Schweiz noch nicht eine Minute zum Einsatz kamen - den Verteidigerinnen Sophia Kleinherne und Franziska Kett - einiges voraus. Sarai Linder könnte ebenfalls von links auf rechts rücken und ihr Backup Kett damit ihr EM-Debüt geben. Einzig unberührt bleiben dürfte sicherlich die neue Kapitänin Janina Minge in der Innenverteidigung.
"Kompakt" sein als neue Devise
Gegen die Französinnen wird es auf Tempo ankommen, diese haben "schnelle Lokomotiven" im Angriff, sagt Popp. "Die können nicht nur schnell laufen, sondern auch noch kicken." Und wie: Elf Tore stehen für Frankreich aus den drei Gruppenspielen zu Buche, sie sorgten für drei Siege. Vor allem der Auftakt gegen die Titelverteidigerinnen aus England (2:1) und die zweite Halbzeit gegen die Niederlande (5:2) untermauern, warum die seit Jahren hochgelobten, aber noch immer titellosen Französinnen diesmal endgültig zu Titelkandidatinnen aufsteigen. Für das DFB-Team eine echte Mammutaufgabe.
Vor allem, wenn es nicht strukturell etwas an seinem Spiel ändert. Das ist Spielerinnen wie Trainerinnen bewusst - das Wort "kompakt" scheint die neue Prämisse. "Wir nehmen nach jedem Spiel Anpassungen zum letzten Spiel vor und uns ist auch klar, dass wir, wenn wir nicht kompakt stehen, gegen Frankreich wenig Chancen haben werden", so Meinert. Und Sjoeke Nüsken erklärt ausführlich: "Wir müssen kompakter stehen, sodass wir keine Räume zulassen. Wir müssen besser durchschieben, sodass wir uns gegenseitig besser absichern können. Es wird entscheidend sein, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Jede muss für jede laufen." Frei nach dem alten Motto "Offensive gewinnt Spiele, Defensive gewinnt Turniere" sagt sie weiter: "Hoffentlich machen wir vorne irgendwie ein Tor. Aber in erster Linie müssen wir natürlich die Null halten. Das wird das Wichtigste sein im Spiel."
Popp sieht durchaus Chancen, die Sache mit dem Toreschießen erfolgreich zu erledigen. Die Defensive sei sehr jung und wackelig. Alice Sombath und Thiniba Samoura sind beide 21 Jahre alt, für beide ist es das erste Turnier, Kapitänin und Stamm-Innenverteidigerin Griedge Mbock hatte vor dem Turnier mit Wadenproblemen zu kämpfen, kam noch gar nicht zum Einsatz. Popps Vorschlag daher: Umstellen auf Konterspiel könnte eine Idee für das deutsche Spiel sein.
All die Diskussionen scheinen am Team abzuperlen. "Wir spielen nicht erst seit gestern Fußball", sagt Hendrich. Und laut Nüsken freut sich das Team "einfach enorm drauf, dass wir jetzt so ein K.-o.-Spiel haben. Dafür spielt Jede Fußball." Sie könnten jetzt beweisen, dass sie eine Topmannschaft sind, so die zur Vize-Kapitänin aufgerückte Mittelfeldspielerin. "Und ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen können."
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