Einst gefeiert, dann gefallen – was lief da schief?
So ganz geheuer war Lucien Favre nicht, was er getan hatte. „Wir müssen wirklich aufpassen“, sagte der damalige Trainer von Borussia Dortmund, der von den Auswirkungen seiner Maßnahme, obwohl sie irgendwie absehbar schienen, überrascht war. Gerade hatte er einen jungen Spieler zum ersten Mal in einem Bundesligaspiel eingesetzt. Das hatte der erfahrene Coach zuvor schon oft getan. Doch noch nie war es vorgekommen, dass er anschließend ausschließlich zu diesem einen Spieler befragt wurde.
Zumal es sogar ein unspektakuläres Debüt gewesen war – an diesem 21. November 2020. Der junge Mann, der am Vortag 16 Jahre alt geworden war, war in der 85. Minute des Dortmunder Auswärtsspiels bei Hertha BSC eingewechselt worden. Damit war er zum jüngsten Spieler geworden, der je in der deutschen Eliteklasse gespielt hat: Youssoufa Moukoko. Als er damals von der Bank kam, führte der BVB bereits 5:2 – so blieb es auch bis zum Ende, Moukoko fiel kaum auf.
Trotzdem gab es einen gigantischen Hype. Ihm war der Ruf eines Jahrhunderttalentes, eines Wunderkindes vorausgeeilt. Begriffe, die bei einem konservativen Trainer wie Favre nichts als verständnisloses Kopfschütteln auslösten. „Niemand hat ihn gesehen, niemand kennt ihn und trotzdem sagen alle: Der wird einmal sooo groß“, erklärte der Coach und breitete die Arme aus, als wolle er den Wahnsinn, der damals um den in Yaoundé in Kamerun geborenen Moukoko herrschte, optisch dokumentieren. „Das ist doch unglaublich“, sagte Favre mit unverkennbarer Verachtung für all die, die im Moukoko-Fieber waren.
Moukoko flog nur so durch die Jugendligen
Die Bundesliga hat schon viele Talente gesehen, doch selten gab es eines, dass als vielversprechender beschrieben worden war. Der junge Stürmer war im Juli 2016 vom FC St. Pauli ins Nachwuchsleitungszentrum des BVB gewechselt. In seiner ersten Saison erzielte Moukoko in 21 Spielen 33 Tore für die U15. In seinem zweiten Jahr spielte er als 13-Jähriger bereits für die U17, also mit und gegen Spieler, die in der Regel drei Jahre älter waren.
Seine Ausbeute: 40 Tore in 28 Spielen. Es schien wie in einem Märchen: Er flog nur so durch die Jugendligen, stellte einen Torrekord nach dem anderen auf. Sein Weg schien vorgezeichnet, auch wenn es Gerüchte gab: Moukoko, der seinen Alterskollegen gegenüber körperlich deutlich reifer wirkte, sei in Wahrheit viel älter, hieß es. Gegnerische Trainer beklagten sich über Wettbewerbszerrung. Joseph Moukoko, der damals noch als sein leiblicher Vater galt, bestritt dies vehement. Der BVB ebenfalls. Moukokos tatsächliches Alter ist bis heute Anlass für Kontroversen.
Wie es ihm selbst in dieser Gemengelage ging, kann nur erahnt werden. Er äußerte sich nicht zu den Gerüchten und Halbwahrheiten, die kursierten. Lediglich einmal nahm er Stellung. Vor fünf Jahren, nach seiner ersten Saison als Bundesligaprofi, sagte im Interview mit WAZ: „Am Anfang haben mich die Berichte noch sehr belastet, vor allem, als über mein Alter diskutiert wurde. Ich wollte mir das nicht mehr antun, ich wollte aufhören.“ Das ließ tief blicken.
In der Karriere von Moukoko ist so einiges schiefgelaufen. Was genau die Gründe sind, warum er den hohen Erwartungen nicht entsprechen konnte, ist schwer zu ergründen. Hing es damit zusammen, dass der BVB zu früh zu viel wollte? Dass er der Verein, im Bestreben, nach Mario Götze endlich wieder ein Toptalent aus den eigenen Reihen durchzubringen, sogar eine aufsehenerregende Statutenänderung durchsetze? Der damalige Dortmunder Sportdirektor Michael Zorc erreichte bei der Deutschen Fußballliga (DFB), dass junge Spieler bereits ab 16 in der Bundesliga spielen dürfen – die „Lex Moukoko“.
Marktwert deutlich über dem Leistungsvermögen
Doch auch andere waren zu ungeduldig. Im November 2022 berief der damalige Bundestrainer Hansi Flick Moukoko völlig überraschend ins WM-Aufgebot. Da war der 18 Jahre alt – und es hatte sich mehr als nur abgezeichnet, dass er deutlich größere Schwierigkeiten als erwartet hat, sich in der Erwachsenenwelt des Profifußballs zu etablieren. Sein Marktwert lag deutlich über seinem Leistungsvermögen.
Wirtschaftlich hatte dies für ihn und seine Berater nicht unerhebliche Vorteile. Zwar hatte Moukoko kurz vor der WM nur eine Halbzeit im Vorbereitungsspiel gegen den Oman und dann während des Turniers in Katar nur eine Minute gegen Japan gespielt, doch allein die Nominierung rief angeblich internationales Interesse hervor. Liverpool und Chelsea sollen die Fühler ausgestreckt haben – was Sebastian Kehl, den Nachfolger von Zorc, gehörig unter Druck setzte. Sollte er etwa zusehen, wie das vermeintliche Toptalent ablösefrei geht? Also gab er Moukoko einen Monat nach der WM einen bis 2026 dotierten Vertrag. Angebliches Jahressalär: über acht Millionen Euro.
Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Moukoko hielt nicht, was er versprach – erst recht nicht mit seinem neuen, teuren Kontrakt. Unter dem Strich stehen für ihn gerade 99 Pflichtspiele, davon nur 24 in der Startelf, und 18 Tore in insgesamt dreieinhalb Profijahren beim BVB zu Buche.
Das hat sicher auch mit der starken Konkurrenz zu tun, gegen die sich Moukoko im Sturmzentrum erwehren musste. Es gelang ihm nicht, sich gegen Erling Haaland, Sébastian Haller oder Niclas Füllkrug durchzusetzen. Es lag sicher auch daran, dass er von der Veranlagung her nicht der ideale Stoßstürmer ist und auch an Verletzungen.
Nizza wollte Moukoko nicht kaufen
Im vergangenen Sommer wurde er dann an OGC Nizza verliehen, wo er nach gutem Start in den vergangenen Monaten aber überhaupt keine Rolle mehr spielte. Die Franzosen zogen die vereinbarte Kaufoption nicht, ein Wechsel zu Olympique Marseille kam nicht zustande. Moukoko war am Nullpunkt angekommen und musste die Notbremse ziehen: Nun wurde sein Transfer zum FC Kopenhagen bekannt gegeben. Es ist eine Flucht und zugleich ein Neustart.
„Youssoufa ist für uns ein ganz besonderer Spieler“, sagte Lars Ricken, als das Geschäft, das dem BVB rund fünf Millionen Euro Ablöse bringt, im Rahmen der Klub-WM in den USA bestätigt wurde. Der Sport-Geschäftsführer hat ein sehr persönliches Verhältnis zu Moukoko. Er hatte ihn als Nachwuchskoordinator damals geholt, hat seine Entwicklung gefördert und sich auch um dessen private Belange gekümmert. Es ist Ricken abzunehmen, wenn er erklärt, er wünsche Moukoko in Kopenhagen „ein sportliches Umfeld, dass es ihm ermöglicht, sein ohne Zweifel großes Potenzial voll auszuschöpfen.“
In der dänischen Hauptstadt wird Moukoko aus dem Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit verschwinden. Zwar spielt Kopenhagen in der Champions League, doch die Spiele in der nationalen Liga finden international nur wenig Beachtung. Das kann ein Vorteil sein: Auch Mario Götze brachte seine Karriere durch seinen Wechsel zur PSV Eindhoven in die Niederlande 2020 wieder in Schwung.
Moukoko wird in Dänemark nur noch einen Bruchteil dessen verdienen, was er in Dortmund bekommen hat. Die Rede ist von 1,75 Millionen Euro pro Saison. Wenn er gewollt hätte, hätte er mit dem BVB wegen der großen Gehaltsdifferenz um eine Abfindung feilschen können. Darauf, so heißt es, habe der mittlerweile 20-Jährige verzichtet. Sollte dies so stimmen: Es wäre eine respektable wie erwachsene Entscheidung.
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