Der für ihn bislang so perfekte Sommer lässt Nick Woltemade sehr emotional werden. Und zurückblicken. Bei der U21-EM in der Slowakei ist der Stürmer des VfB Stuttgart bisher der Spieler. Und dankt seinen Eltern: „Sie sind schon sehr stolz. Sie waren aber auch schon stolz auf mich, als ich noch kein Profi war. Sie sind glücklich und gucken sich jedes Spiel von mir an“, so der 23-Jährige. „Ich freue mich immer sehr, wenn ich sie auf der Tribüne sehe. Das gibt mir immer sehr viel Kraft.“

Die Familie Woltemade erlebt derzeit einen Höhepunkt nach dem anderen. Anfang Juni debütierte der Junior unter Bundestrainer Julian Nagelsmann in der A-Nationalelf. Nun erzielte er im ersten Gruppenspiel bei der U21-EM gegen Slowenien alle drei Treffer beim 3:0 – und wurde nach der zweiten Gruppenpartie am vergangenen Sonntag erneut als Spieler des Spiels ausgezeichnet. Beim 4:2 gegen Tschechien erzielte er ein Tor und bereitet zwei Treffer vor. Woltemade ist auf dem Weg zum Star des Turniers.

Kurios: Bei einem Schussversuch während des Spiels gegen Tschechien flog ihm der Schuh weg – und landete im Gesicht des Schiedsrichters Alexis Adrian Herrera aus Venezuela. Der Unparteiische reagierte cool, machte einfach weiter. Zuvor hatte Herrera die Partie wegen einer Taube unterbrochen, die offenbar schwer angeschlagen auf dem Rasen saß. Eine Ordnungskraft griff das Tier und brachte es weg. Der Weg für eine weitere Woltemade-Show war frei.

„Assists sind immer schön, Scorer sind immer cool für einen Stürmer“, sagte er. „Ich freue mich auch, dass die anderen Jungs ihre ersten Tore jetzt im Turnier geschossen haben.“ Nicolo Tresoldi (35. Spielminute), Paul Nebel (41.), Woltemade (54.) und Eric Martel (58.) trafen für die deutsche Mannschaft. Ein Eigentor von Bright Arrey-Mbi (60.) und ein Treffer von Karel Spáčil (66.) führten zum Endergebnis. Vor allem Dank Woltemade hat sich die U21 vorzeitig für das Viertelfinale qualifiziert. Seine Mannschaft ist seit 17 Spielen unbesiegt.

Mit seinen Leistungen bringt Woltemade Fans und Experten zum Schwärmen. In der vergangenen Saison erzielte er 17 Tore in 33 Pflichtspielen für den VfB. Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus traut dem Bundesliga-Shootingstar jetzt eine wichtige Rolle in der A-Auswahl zu. „Er hat das Zeug zur Stammkraft bei der WM – er kann vorn den Unterschied machen“, sagte Matthäus der „Stuttgarter Zeitung“ mit Blick auf das Weltturnier 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.

Matthäus habe schon während Woltemades Zeit bei Werder Bremen, als der Stürmer sich noch meist mit der Rolle des Einwechselspielers begnügen musste, „etwas Besonderes“ in dem Angreifer gesehen: „Wenn es mal nicht so gut läuft für die gesamte Mannschaft, würde ich mich als Trainer immer auf ihn verlassen.“

Lob für den Klub und Trainer Sebastian Hoeneß

Allerdings dürfe sich der Torjäger nicht ablenken lassen, so Matthäus weiter. „Deniz Undav war ja wie Nick Woltemade jetzt auch der Liebling der Massen – die vergangene Saison hat aber gezeigt, dass es in einer Entwicklung auch sehr schnell mal wieder in die andere Richtung gehen kann, wenn du mal nicht mehr so fokussiert und dabei bist“, zog der 64-Jährige einen Vergleich zu Woltemades VfB-Klubkollegen.

Woltemade fokussiert sich in jeder Hinsicht auf die kommenden Aufgaben. Er kann mit der U21 die Vorrunde als Gruppensieger abschließen. Am Mittwoch (21 Uhr, Sat.1) wird gegen Titelverteidiger England in Nitra entschieden, wer den ersten Platz belegt – und damit auch, wer in der K.-o.-Runde gegen Spanien und wer gegen Italien antritt. Deutschland reicht zum Gruppensieg ein Unentschieden. „Es ist ein Highlight-Spiel für jeden und das wollen wir logischerweise dann so gestalten, dass wir dann am Ende der drei Spiele auch die Nummer Eins sind“, sagte Nationaltrainer Antonio Di Salvo: „Taktiert wird nicht.“

Für die Spieler gab es nach dem umjubelten Erreichen des Etappenziels am vergangenen Sonntag noch im Stadion Burger und Salat. Montag gab der Trainer ihnen ein paar Stunden frei, damit Woltemade und seine Kollegen sowie der Trainerstab den Erfolg noch etwas auskosten konnten.

Woltemade erlebt den Sommer seiner bisherigen Karriere. Er gewann kürzlich mit dem VfB den DFB-Pokal. Und kommt bei der U21-EM bereits jetzt auf mehr Tore, als sie beim von der deutschen Auswahl vor zwei Jahren verpatzten Turnier für den Titel des Torschützenkönigs gereicht hätten.

„Das ist auf jeden Fall etwas Cooles, was ich gern mitnehmen würde“, sagte der 23-Jährige über die mögliche Auszeichnung, „aber das ist nicht mein primäres Ziel, ehrlicherweise.“ Er will mit der U21 am 28. Juni den Titel gewinnen. Dann steigt das Finale in Bratislava.

Dass er mit einem auf rund 30 Millionen Euro hochgeschnellten Marktwert in den Fokus von Topklubs wie dem FC Chelsea und Atlético Madrid gerückt ist, kommentierte der Profi wie gewohnt cool: „Ich glaube, das gehört dazu. Wäre, glaube ich, nicht optimales Scouting von dem Verein, wenn die das jetzt nicht auf dem Zettel hätten.“

Auch der FC Bayern beobachtet die Entwicklung von Woltemade, dessen Vertrag beim VfB Stuttgart bis zum 30. Juni 2028 gilt. Dieser enthält dem Vernehmen nach keine Ausstiegsklausel. Medienberichten zufolge würde der VfB ab einer Ablöse von über 40 Millionen Euro gesprächsbereit sein – das wäre ein Vereinsrekord.

Woltemade soll beim VfB rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr verdienen. Der Stuttgarter Klub plant das Gehalt wohl der jüngsten Entwicklung des Stürmers anzupassen, um ihn zu halten. Aber reicht das? „Das sind alles Dinge, mit denen ich mich ehrlicherweise gerade gar nicht beschäftige“, sagte Woltemade zuletzt über Zukunftsfragen und interessierte Topklubs. Mit dem VfB Stuttgart spielt er nach dem Triumph im DFB-Pokal „nur“ Europa League, keine Champions League.

Der Angreifer ist 1,98 Meter groß, wird ob seiner sehr guten Technik „Woltemessi“ oder „Zwei-Meter-Messi“ genannt. Oder „Langer.“ Letzteren Spitznamen mochte er nie, sagte Woltemade zuletzt etwas genervt.

Sein 3:0 gegen Tschechien erzielte er mit dem Kopf. Weil ihm für seine Größe mitunter ein ungenügendes Kopfballspiel nachgesagt wird, freute ihn der Treffer besonders. Woltemade sendete nach dem Spiel eine besondere Nachricht an seine Kritiker: „Langsam wird mir mein Kopfballspiel auch zu schwach gemacht.“

Derzeit ist er einer der treffsichersten Stürmer Europas. Und hat alle Argumente auf seiner Seite. Spielt Woltemade bei der U21-EM so weiter, dürfte es enorm schwierig für den VfB werden, ihn zu halten.

Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über weitere Fußball- und Fitness-Themen.

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