Otto Rehhagels verhängnisvoller Abschied von Werder Bremen
Nach vierzehn Jahren verließ Otto Rehhagel im Sommer 1995 seinen Klub Werder Bremen, um in München bei den Bayern einen Neuanfang zu wagen. Doch schon bevor er beim Rekordmeister überhaupt startete, ging alles schief, was schieflaufen konnte.
"Ich hoffe nicht, dass er sich gedemütigt vorkommt. Ich habe es vermieden bei den Toren in die Fankurve zu rennen. Man braucht niemanden unnötig wild machen." Bayerns Nationalspieler Mehmet Scholl machte sich nach dem letzten Spiel der Saison 1994/95 echte Sorgen um seinen zukünftigen Trainer Otto Rehhagel. Gerade eben hatten die Bayern zu Hause Werder Bremen mit 3:1 besiegt - und so indirekt Borussia Dortmund zum neuen Deutschen Meister gemacht. Mit ein wenig Glück hätte Werder sogar ein Punkt beim Rekordmeister für den Titelgewinn gereicht, doch mit der Niederlage hatten die Bayern-Profis ihrem neuen Coach einen schönen Ausstand bei seinem langjährigen Klub vermiest.
Die Partie war damals deshalb so besonders pikant und ein mediales Großereignis, da Rehhagel Bremen nach unglaublichen 14 Jahren verließ, um in München anzuheuern. Für Werders ewigen Trainer ein echter Neuanfang - und den hatte er sich persönlich eigentlich mit einem schönen und erfolgreichen Abschied gewünscht. Auch Mario Basler hatte für die Momente nach dem Schlusspfiff am 34. Spieltag schon einen festen Plan: "Dann drehen wir mit Otto Rehhagel eine Ehrenrunde und setzen ihn anschließend auf die Bayern-Bank." Das fiel nun ins Wasser und Bayerns Kapitän Thomas Helmer machte sich ähnlich wie Scholl so seine Gedanken um Rehhagels Gemütsverfassung: "Hoffentlich ist er nicht so sauer, dass der Start bei uns nicht optimal verläuft."
"Sie haben nach dem Schlusspfiff zwei Spieler entlassen"
Nur eine Woche zuvor war die Welt des Trainers noch in Ordnung gewesen. Unter Tränen und mit vielen netten Worten - "Otto Rehhagel, Mr. Werder Bremen persönlich, wechselt zu Bayern München, nachdem er hier alles erreicht hat", Stadionsprecher Christian Günther - hatten sie ihren beliebten Coach nach einem Sieg im letzten Heimspiel gen München verabschiedet. Allerdings nicht, ohne dem Trainer klar und deutlich zu verstehen zu geben, dass er jederzeit gerne wieder zurückkehren könne: "Kommst Du in Bayern nicht klar, sind wir Bremer für Dich da!" Rehhagels emotionaler Abschied war vom Trainer selbst mit einem Wunsch begleitet worden. Er bat die Fans, keine "Hassgefühle" gegenüber den Münchenern aufkommen zu lassen, denn, so Rehhagel wörtlich: "Die Bayern sind auch Menschen!"
Dass er bei Werder geradezu paradiesische Verhältnisse zurücklassen würde, wusste Rehhagel genau: "In Bremen habe ich mir im Laufe der letzten Jahre meine Machtposition erarbeitet. Hier quatscht mir niemand rein, und keiner kann sich hinter meinem Rücken bei irgendeinem ausheulen. Nach schlechten Spielen werde ich schon mal sehr laut und schreie was heraus. Am nächsten Tag frage ich dann meinen Assistenten Kalli Kamp: 'War ich wieder so laut? Was habe ich Samstag nach dem Spiel gesagt?' Kalli antwortet dann: 'Trainer, Sie haben nach dem Schlusspfiff zwei Spieler entlassen.' Ich antworte: 'Sag den Jungs, sie sind wieder eingestellt!'"
Dass er aber in München genau das Gegenteil erleben würde, ahnte der Coach des SV Werder zwar vielleicht, ging aber dennoch relativ naiv an die ganze Geschichte heran. Und so sollte der Schritt des mehrfachen Meistertrainers - raus aus dem beschaulichen Bremen, hinein in die Weltstadt mit Herz - am Ende doch viel größer sein, als er es sich in seinen kühnsten (Alb-)Träumen vorher ausgemalt hatte. Denn all das, was in Bremen über so viele Jahre als "König Otto" funktioniert hatte, sorgte in München für viel Irritation. Tatsächlich hier und da allerdings auch absolut nachvollziehbar.
Harald Schmidt lästert über Otto Rehhagel
Denn allen Ernstes hatte Rehhagel im Sommer vor dreißig Jahren angeregt, dass man seine Frau Beate zur bayrischen Kultusministerin ernennen könne. Ein Vorschlag, der vor allem im Ministerium selbst ein großes Echo erzeugte. Man fertigte eigens eine Presseantwort an, in der es hieß, dass man im Moment leider keinerlei Bedarf habe (man sei mit Hans Zehetmaier sehr gut besetzt auf dieser Position) und man sich "angesichts der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte" fast sicher sei, die "Ablösesumme für Frau Rehhagel" nicht stemmen zu können. In einem Gegenvorschlag empfahlen sie aber die Neubesetzung der Bayern-Bank noch einmal zu überdenken: Ihr Wunschkandidat wäre die Theaterpersönlichkeit August Everding auf der Trainerposition. Eine (ironische) Spitze, die saß!
Nach dem sportlich missglückten Start am 34. Spieltag der Vorsaison war dies nun auch öffentlich ein eher suboptimaler Beginn der Zeit in München. Und dann schoss sich auch noch die Presse direkt auf Rehhagel ein. Als enttarnt wurde, dass an seinem Klingelschild in der Schwabinger "Casa Schellissima" nicht Rehhagel, sondern "Rubens" stand, titelten die Boulevardblätter spöttisch: "Vom Malermeister zum Meistermaler". Natürlich lasen auch die Bayern-Profis hier und da Zeitungen und nannten ihren Übungsleiter ab sofort nur noch "Rubens". Die Kratzer an Rehhagels Autorität hätte fortan selbst ein Meistermaler wie der flämische Barockkünstler nicht mehr übertünchen können.
Dass das Abenteuer des ehemaligen Werder-Coachs an der Isar dann tatsächlich relativ schnell wieder vorbei sein würde, deutete sich spätestens Mitte Februar 1996 an. TV-Komiker Harald Schmidt lästerte in seiner Sendung über den gelernten Anstreicher und Lackierer Rehhagel: "Eines Tages Uli Hoeneß: 'Otto, das Training macht jetzt der Augenthaler. Du kannst schon mal die Wand streichen.'" Es war die Zeit des missglückten Starts in die Rückrunde. Als es zu Hause eine deutliche 1:4-Klatsche gegen den KSC gab und Markus Babbel das, was alle sahen, mit einer mathematisch interessanten Feststellung auf den Punkt brachte: "In der Truppe stimmt es überhaupt nicht. Im Vergleich zur Vorrunde fehlen uns 100 Prozent!"
In München gefeuert, mit dem FCK obenauf
Und so überraschte es am Ende niemanden mehr, als der FC Bayern, punktgleich mit dem Tabellenführer BVB, der allerdings noch ein Spiel ausstehend hatte, nach einer 0:1-Niederlage am 30. Spieltag gegen Hansa Rostock Otto Rehhagel schließlich entließ. Karl-Heinz Rummenigge meinte damals: "Der Zeitpunkt war gekommen, da wir reagieren mussten." Für Otto Rehhagel endete das Abenteuer München so schon nach wenigen Monaten. Und seine Worte beim Abschied aus Bremen hatten ihn schneller eingeholt, als er selbst und viele Experten es erwartet hatten: "Seit meiner Vertragsunterschrift vor 14 Jahren führte der Weg von Werder steil nach oben. Was ich in Bremen geleistet habe, wird man erst richtig einschätzen, wenn ich weg bin. Und ich werde sehen, wie gut ich es bei Werder hatte."
Nur zwei Jahre später war Otto Rehhagel allerdings endgültig wieder obenauf. Nach einem sensationellen Aufstieg mit dem 1. FC Kaiserslautern aus der zweiten in die erste Bundesliga, sollten die Pfälzer auch fulminant in die folgende Saison starten - und zwar mit einem Sieg ausgerechnet bei Bayern München. Was damals noch niemand ahnen konnte: Es war nur der Auftakt zu einer Wunder-Spielzeit. Am Ende holte Otto Rehhagel mit den Roten Teufeln die deutsche Meisterschaft und verwies den FC Bayern München auf den zweiten Tabellenplatz. Auch wenn es Otto Rehhagel selbst nie laut sagte: Mehr Genugtuung konnte es für den gedemütigten mehrfachen Meistertrainer nicht geben.
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