„Max ist eine Maschine. Er liefert. So einen Fahrer gab es in jeder Generation“
Jahrelang dominierte Red Bull die Formel 1, gewann seit 2021 sechs von acht möglichen Weltmeisterschaften (vier Fahrer-, zwei Konstrukteurs-Titel). Doch mittlerweile hat McLaren den Rennstall vom Thron der Königsklasse des Motorsports gestoßen. Die Piloten Oscar Piastri (24 Jahre alt) und Lando Norris (25) stehen vor RB-Star Max Verstappen (27) in der WM-Wertung. Die Formel 1 erlebt plötzlich einen explosiven Dreikampf um den Titel. Was sagt David Coulthard dazu? Ein Gespräch mit der 54 Jahre alten Formel-1-Legende, die 246 Rennen absolvierte.
Frage: Herr Coulthard, wer ist Ihr Favorit?
David Coulthard: Oscar Piastri.
Frage: Warum?
Coulthard: Da reicht einfache Mathematik. Oscar führt die WM an und hat damit die besten Chancen auf den Titel. Er scheint alles für den Erfolg mitzubringen. Vier Siege in acht Rennen sprechen eine deutliche Sprache. Aber es ist erst ein Drittel der Saison gefahren. Der Druck auf ihn wird mit jedem Grand Prix steigen. Die Medien und Fans haben von Woche zu Woche höhere Erwartungen – und er natürlich selbst auch an sich.
Frage: Kann er dem standhalten?
Coulthard: Das wird sich zeigen. Und Oscar weiß, dass er mit Max Verstappen einen Konkurrenten hat, der unter Druck gefühlt noch besser wird. Mit Lando hat er einen Konkurrenten in den eigenen Reihen.
Frage: Ist das ein Vor- oder Nachteil? Bei Red Bull gilt der volle Fokus Verstappen. Er muss nicht fürchten, dass ihm sein Teamkollege Punkte klaut.
Coulthard: Es ist beides. Lando und Oscar pushen sich bis zum Maximum, aber natürlich ist es gut für Max, dass er einen Konkurrenten weniger im Vergleich zu den beiden hat. Wobei er das gar nicht braucht.
Frage: Wie meinen Sie das?
Coulthard: Max ist eine Maschine. Er hat das komplette Paket und die Erfahrung von vier WM-Titeln. Er macht Dinge möglich, die man nicht für möglich hält. In Japan hat er die McLarens bezwungen, obwohl die die haushohen Favoriten waren. Das erinnert mich an meine Kindheit, als ich Ayrton Senna oder Nigel Mansell zugesehen habe. Da sind Dinge passiert, die waren unglaublich, einfach der Hammer. Immer wenn das der Fall war, bin ich von der Couch aufgesprungen und habe im Wohnzimmer rumgeschrien. Das löst auch Max bei mir aus.
Frage: Was macht Verstappen so speziell?
Coulthard: Er holt immer das Maximum raus. Egal, wie die Bedingungen sind – Max liefert. So einen Fahrer gab es in jeder Generation. Senna, Mansell, Michael Schumacher waren das in der Vergangenheit. Bei Michael hat 1994 hier in Barcelona die Gangschaltung geklemmt. Er konnte nicht höher als in den Vierten schalten und wurde trotzdem Zweiter. Sensationell.
Frage: Piastri scheint aus demselben Holz wie Verstappen geschnitzt. Ist Norris zu nett für den Titelkampf?
Coulthard: Lando hat aus dem WM-Kampf letztes Jahr seine Lehren gezogen. Ich denke, dass er mental stärker geworden ist. Dass er schnell ist, daran besteht kein Zweifel. Die Stoppuhr lügt nicht. Trotzdem ist der mentale Aspekt ein Dauerthema bei ihm, denn er ist da im Umgang offener mit. Und wer viel teilt, wird auch viel gefragt. Oscar macht es wie Kimi Räikkönen und Mika Häkkinen: Er schweigt.
Frage: Also bleibt es beim Dreikampf?
Coulthard: Ich habe keine Glaskugel, aber ich glaube, dass Max es ohnehin seit der ersten Kurve in Saudi-Arabien als Zweikampf sieht. Als er an Oscar – wie so oft letztes Jahr an Lando – außen vorbeiziehen wollte, hat der eiskalt dagegengehalten. Oscar hat ihm gezeigt: ,Ich bin nicht Lando.‘ Ab diesem Moment wusste Max, dass das ein Fifty-Fifty-Duell wird.
Frage: Teil des Titelrennens wollte auch Lewis Hamilton sein. Er wechselte vor der Saison zu Ferrari, um nach drei Frust-Jahren mit Mercedes endlich wieder um die WM zu fahren. Bisher stand er nicht einmal auf dem Podium.
Coulthard: Das hat er sich sicherlich anders vorgestellt.
Frage: Hat er sich verzockt?
Coulthard: Ich hatte immer das Gefühl, dass Lewis eine besondere Beziehung und Loyalität zu Mercedes aufgebaut hatte. Deswegen war ich total verwirrt, als ich von seinem Wechsel erfahren habe. Das war ein bisschen so, wie Michaels Rückkehr in die Formel 1 zu Mercedes, obwohl er sich doch bei Ferrari so ein Vermächtnis aufgebaut hatte. Aber letztendlich ist es Lewis‘ Weg, seine Geschichte, sein Buch, das er schreibt. Vielleicht gewinnt er einen Grand Prix, vielleicht gewinnt er eine Meisterschaft – vielleicht aber auch nicht.
Frage: Glauben Sie, dass er noch seinen achten WM-Titel bei Ferrari gewinnen kann?
Coulthard: Nein, es sieht nicht danach aus.
Das Gespräch wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) geführt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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