„Michael Jordan ist der Größte aller Zeiten. Mit weitem Abstand!“
Mit Michael Jordan, Scottie Pippen und Dennis Rodman gehörte der Kroate Toni Kukoc zum besten Basketball-Team aller Zeiten. Zusammen gewannen sie 1996, 1997 und 1998 mit den Chicago Bulls drei NBA-Meisterschaften in Folge. Heute ist Kukoc 56 Jahre alt und Berater der Bulls.
WELT: Herr Kukoc, 2020 schaute die gesamte Sportwelt die Netflix-Dokumentation „The Last Dance“ über die Chicago Bulls 1997/98. Wie fiel Ihr Fazit aus?
Toni Kukoc: Wir wussten alle, dass die Kameras damals mitliefen und sie bei allem dabei sein werden. Ich dachte, dass es mehr darum gehen würde, wie wir damals Basketball gespielt haben. Doch stattdessen ging es nur um das Drama und die Streitigkeiten hinter den Kulissen. Aber es hat alle unterhalten.
WELT: Wie war das Zusammenspiel mit Jordan?
Kukoc: Wie er und Scottie Pippen mir bei Olympia 1992 in Barcelona den Hintern versohlten, motivierte mich umso mehr. Aber als ich dann zu den Bulls kam, und Michael 1995 wieder zurückkehrte, habe ich jeden Tag gesehen, warum er der beste Spieler aller Zeiten ist. In jedem Training sah ich seine Motivation. Ich fragte mich: Wie ist es möglich, dass er immer noch mehr als 100 Prozent in jeder Einheit gibt? Er wartete nur darauf, dass irgendjemand etwas gegen ihn sagt oder tut, das er dann als Motivationsschub für sich nutzen könnte. Michael sagte oft, dass er nie von anderen verlangt habe, was er nicht tun würde. Aber er war auch ein Tier, ein körperliches Wunder.
WELT: Ist Jordan der Größte aller Zeiten?
Kukoc: Auf jeden Fall! Mit weitem Abstand! Ich respektiere alle anderen, liebe LeBron und wie er Basketball spielt. Kevin Durant hat die gefühlvollsten Hände, die ich je gesehen habe. Er kann von überall punkten. Aber Michael hatte all diese Eigenschaften, plus Ehrgeiz, Wut und Hartnäckigkeit.
WELT: Jordan konnte nicht verlieren, ob als Basketballer, Golfer oder beim Kartenspielen. Haben Sie mal etwas anderes gegen ihn gespielt?
Kukoc: Ich habe ihn im Golf geschlagen, bin dort viel besser als er, auch wenn Michael das nie zugeben würde. Diese Einstellung steckt einfach in ihm. Wenn wir Fünf-gegen-fünf spielen, will er lieber allein gegen neun antreten und alle fertigmachen. Solche Spieler brauchst du. Sie wollen in den Endspielen den Ball, wenn es darauf ankommt. Er schaut dir in die Augen und sagt: Gib mir den Ball und geh aus dem Weg!
WELT: Sie waren ein Superstar in Europa, ordneten sich bei den Bulls unter. Wie gut wären Sie als Nummer-eins-Option eines NBA-Teams gewesen?
Kukoc: Ich wäre wie ein Luka Doncic heute und würde 25, 27 Punkte pro Spiel erzielen, wenn ich das grüne Licht zum Schießen hätte und jedes Spiel zwölf Dreier werfen dürfte. Das Spiel hat sich so sehr verändert: Heute versuchen die Teams bei 95 Ballbesitzen 45 bis 50 Dreier. Als wir mit den Bulls unsere Meisterschaften gewannen, nahmen wir als gesamtes Team 16 Dreier pro Partie. Das macht Stephen Curry heute allein.
WELT: Sie waren als Profi Ihrer Zeit voraus: Bei 2,08 Meter Größe waren Sie ein starker Distanzschütze und Passgeber. Welche Position würden Sie heute spielen?
Kukoc: Die Leute nennen es Point Forward, eine Mischung aus Point Guard (Spielmacher) und Forward (Flügelspieler). Mit Jokic gibt es jetzt schon Point Center. Früher hätte man keinem Center erlaubt, den Ball nach vorn zu dribbeln. Das war komplett absurd. Aber Jokic hat allen gezeigt, dass er Denvers bester Spielmacher ist. Warum sollte er also erst dem Point Guard den Ball geben? Ich habe es einmal bei einer Mannschaft erlebt, dass der Spielmacher zu mir kam und sagte: „Du klaust mir mein Brot, stiehlst mir meinen Lohnzettel!“ Da hatte ich nach dem Rebound den Ball selbst nach vorn gebracht und musste mich fast dafür entschuldigen. Jetzt spielt jede Mannschaft so. Der Basketball hat sich so entwickelt, alle spielen schneller nach vorn. Die Spieler sind alle vielseitiger. Damit waren wir als Chicago Bulls die Ersten.
WELT: Wie sah das aus?
Kukoc: Mit Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman, Ron Harper und mir hatten wir Spieler, die fast alle gleich groß waren und auf mehreren Positionen einsetzbar waren. Da war es komplett egal, wer den Ball beim Angriff nach vorn brachte. Wir suchten immer nach dem Duell, wo wir den Vorteil hatten. Michael oder Scottie positionierte sich in Korbnähe im Post. Darum verteilten sich die anderen in der „Triangle Offense“ (Aufstellung im Dreieck; d. Red.). In so einem System wissen alle unsere Spieler, was sie tun müssen, aber der Gegner wird überrascht. Andere Teams sagen bestimmte Spielzüge an, die aber auch der Gegner durch sein Scouting schon kennt. Unser Bulls-Team war im Angriff perfekt!
WELT: Wie hat das die NBA verändert?
Kukoc: Damals versuchten es einige andere Teams, aber die Spieler waren es einfach nicht gewohnt, ständig in Bewegung zu sein. Sie glaubten, dass das System nur ihre eigenen Stärken unterdrücken würde. Das ist aber falsch! Unter Steve Kerr setzte Golden State erfolgreich viel von der Triangle Offense ein. Genauso die Lakers zu Zeiten von Phil Jackson mit Kobe Bryant, Shaquille O’Neal und dann Pau Gasol. Noch heute sehe ich viele Teams, die dieses System spielen. Es war damals schon die fortschrittlichste Taktik, die es jemals gab. Alle passen viel und dribbeln wenig. Das zu verteidigen ist extrem schwer.
WELT: In der NBA werden immer mehr Dreier geworfen. Wie gefällt Ihnen das?
Kukoc: Nennen Sie mich altmodisch, aber die Mannschaften, die weit in den Play-offs kommen, sind meist nicht die, die sich nur auf die Dreier verlassen. Das ist riskant. Wenn du mal 35, 37 Prozent davon triffst, gewinnst du, aber falls nur es nur 25 Prozent sind, verlierst du mit 20 Punkten Unterschied. Ich finde es traurig, wenn Teams so viele Dreier nehmen. Mir gefällt da ein Jalen Brunson von New York. Er ist zwar meist der Kleinste, aber sucht immer den Weg zum Korb. Genauso Indianas Tyrese Haliburton oder Oklahoma Citys Shai Gilgeous-Alexander. Also all die Spieler, die es weit in den Play-offs geschafft haben. Wenn du darüber hinaus dann noch die Dreier triffst, hast du leichtes Spiel.
WELT: Wer steht in Ihrer Starting Five der besten Europäer in der Basketball-Geschichte?
Kukoc: Es gibt so viel Auswahl! Als Center nehme ich Arvydas Sabonis. Tony Parker als Spielmacher, Drazen Petrovic als Shooting Guard. Als Power Forward ist es Dirk Nowitzki oder Pau Gasol, je nachdem, was man braucht. Small Forward ist Peja Stojakovic, einer der besten Schützen überhaupt. Mit Luka Doncic an dieser Stelle oder als Point Forward liegt man auch richtig.
WELT: Wir haben Giannis Antetokounmpo noch nicht einmal erwähnt …
Kukoc: Stimmt! Die Vielseitigkeit ist das Besondere der Europäer. Stellen Sie sich vor: Parker als Point Guard kann das Spiel machen. Luka Doncic daneben auch. Giannis als Power Forward ebenfalls, genauso wie Jokic als Point Center. Wenn ich mich als Point Forward aufstelle, können alle fünf den Ball verteilen. Das wäre nicht zu verteidigen!
WELT: Wie hat sich das Ansehen der Europäer in der NBA verändert?
Kukoc: Als ich und ein paar andere loslegten, wurden wir ständig infrage gestellt, ob wir in der Liga überhaupt Erfolg haben könnten – die Zeiten sind längst vorbei. Jetzt sind die Europäer reihenweise All-Stars und MVPs. Diesmal ist es mit Shai Gilgeous-Alexander ein Kanadier, aber mit Nikola Jokic hätten sie auch nicht falschgelegen.
WELT: Bei Orlando spielt der Berliner Franz Wagner. Hat er All-Star-Potenzial?
Kukoc: Er ist ein gutes Beispiel für die neue europäische Generation. Nichts gegen die Amerikaner, aber die Europäer haben die Basketball-Grundlagen besser drauf. Sie können auf mehreren Positionen eingesetzt werden. Das gilt alles für Franz, was mir gefällt.
WELT: Die NBA startet am Donnerstag ins Finale. Für den Schocker der Saison sorgte aber der Trade von Luka Doncic von Dallas zu den Los Angeles Lakers. Wie überrascht waren Sie?
Kukoc: Wie rechtfertigt man so einen Transfer? Alle spuckten auf Dallas-Manager Nico Harrison. Jetzt hatte er Glück und bekam den ersten Draft-Pick (um Super-Talent Cooper Flagg zu holen; d. Red.). Plötzlich sieht alles rosig aus. In der Endabrechnung sparte sich Harrison so 350 Millionen Dollar, die er Doncic bei der Vertragsverlängerung hätte zahlen müssen. Bei allem Respekt für Luka. Er ist ein toller Spieler und war die Zukunft des Teams. Aber in den Play-offs flog er in der ersten Runde raus.
WELT: Wie passt er für die Zukunft nach Los Angeles?
Kukoc: Luka wird davon profitieren und sein Geld machen. Für die Zukunft kann ich mir vorstellen, dass Giannis Antetokounmpo oder Nikola Jokic zu ihm zu den Lakers wechseln werden. Das halte ich wirklich für möglich. Jokic hat langsam genug davon, Denver allein auf seinen Schultern tragen zu müssen.
WELT: Wie ist das Verhältnis von Doncic und Jokic?
Kukoc: Ich kenne beide und weiß, dass sie befreundet sind. Sie wären die Garantie für starke Play-offs und gute Titelchancen. Falls LeBron James aufhören sollte, könnte es mit der Gehaltsobergrenze klappen. Wenn sie dann noch Giannis holen, heißt das „Game over“ für alle anderen. Giannis hat genug von der Situation in Milwaukee.
WELT: Wer ist jetzt Ihr Titelfavorit?
Kukoc: Oklahoma City ist so jung und so gut. Sie haben ihre Zukunft noch vor sich. Am glücklichsten wäre ich natürlich, wenn alle Stars nach Chicago wechseln würden (lacht).
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