Die Weltmeisterschaft ist das große Ziel von Marathon-Läufer Hendrik Pfeiffer. Ein Traum, der plötzlich platzt. Denn der Deutsche Leichtathletik-Verband nominiert ihn nicht. Pfeiffer wittert Inkompetenz und gebrochene Versprechen.

Top-Läufer Hendrik Pfeiffer fühlt sich vom eigenen Verband betrogen. Denn der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat ihn nicht für den Marathon bei der Weltmeisterschaft in Tokio (13. bis 21. September) nominiert. Der DLV lässt einen von drei möglichen Plätzen für Deutschland frei, schickt mit Amanal Petros und Richard Ringer nur zwei Läufer auf die 42,195 Kilometer.

Das sorgt für Fassungslosigkeit bei Pfeiffer, der seinen Ärger in einer ausführlichen Stellungnahme bei Instagram kundtut. Er sei davon ausgegangen, dass er zum ersten Mal bei einer WM starten wird. Doch "leider habe ich die Rechnung ohne den DLV gemacht. Die Hürde, sich international für die WM zu qualifizieren - wie es mir locker gelungen ist - scheint wesentlich leichter zu sein, als seinen eigenen Verband auf seiner Seite zu haben."

Weil mit Samuel Fitwi und Sebastian Hendel zwei Deutsche bereits ihren Verzicht erklärt hatten, ist Pfeiffer der drittbeste einsatzbereite Deutsche und hatte laut eigener Aussage von Bundestrainer Alexander Fromm die mündliche Zusage erhalten, dass dieser "uneingeschränkt" hinter seinem WM-Start stehe. Die Qualifikation erfolgt entweder über eine sehr hoch angesetzte Normzeit des Leichtathletik-Weltverbandes World Athletics von 2:06,30 Stunden oder über das World Ranking und zusätzlich eine interne Norm des DLV von 2:07,50 Stunden. Diese sollte zwischen September 2024 und Mai 2025 erbracht werden - wurde aber erst im Dezember 2024 rückwirkend festgelegt.

Pfeiffer lief im September beim Berlin-Marathon 2:08,20 Stunden und scheiterte damit um 30 Sekunden an der Leistungsbestätigungsnorm - von der er noch gar nichts wissen konnte. Zuvor war er im Januar 2024 mit 2:07,14 Stunden unter der später geforderten Norm geblieben, für den DLV aber vor dem relevanten Zeitraum. Er wäre also zwar über das World Ranking qualifiziert, doch der DLV pocht auf die eigene Norm. Diese ist sehr streng gewählt, liegt im Marathon nur 1,1 Prozent über der Norm des Weltverbands, während sie etwa über die 10.000 Meter lockerer gefasst ist (3,8 Prozent).

Der 32-Jährige konkretisiert dazu gegenüber ntv.de: "Die Norm ist auf jeden Fall gut so geschneidert, dass ich sie beim Berlin-Marathon genau verpasst habe. Das kann man schon so sehen, wenn man sich zum Beispiel die prozentuale Abweichung der Bestätigungsnorm anschaut." Ferner sagt er: "Unabhängig davon machen rückwirkende Normen keinen Sinn und greifen in die Dynamik eines Qualifikationsprozesses ein."

Schon bei Olympia gab es Ärger

Schon im vergangenen Jahr war Pfeiffer leer ausgegangen. Er war als Ersatzläufer für die Olympischen Spiele in Paris benannt worden, sollte sich fit halten, falls ein Deutscher ausfällt. In der Tat war Petros dann kurz vorher erkrankt und musste zehn Kilometer vor dem Ziel aussteigen. Bereits damals richtete Pfeiffer seine Kritik an den Verband, denn er wusste gar nichts von der Krankheit seines Teamkollegen, sagte er in seinem Podcast "Eine rennt, Einer hinterher": "Es wäre für mich ja wichtig gewesen, diese Information zu haben, weil es Einfluss gehabt hätte, wie ich die letzte Woche vor dem Rennen gestalte. Dass du nicht noch einen Long Run kurz vor dem Marathon einbaust, sondern alles darauf ausgerichtet ist, dass du spontan einspringen kannst."

Pfeiffer würde den neuerlichen Ärger gern mit den Verbandsverantwortlichen, vor allem mit dem DLV-Vorstand Leistungssport, Jörg Bügner, den er schon 2024 mitverantwortlich machte, besprechen. Aber: "Bis jetzt war kein direktes Gespräch möglich. Da drängt sich mir der Eindruck auf, dass da der eigene Vorstand Angst vorm Austausch mit dem Athleten hat." Zumal sich Bügner ihm zufolge aus der Verantwortung zieht: "Dem Athletensprecher hat er mitgeteilt, dass er eigentlich gar nicht zuständig für das alles ist. Dabei steht in den Nominierungsrichtlinien, dass der Vorstand nominiert, dann will ich doch mal behaupten, dass da jemand durchaus zuständig ist. Aber das zeigt ja auch, dass sich da jemand gerade verstecken möchte."

Auf eine Anfrage von ntv.de reagiert der DLV mit dem Verweis auf ein nach der Kritik von Pfeiffer veröffentlichtes Statement, konkrete Nachfragen und die Bitte um eine Reaktion auf die Vorwürfe bleiben unbeantwortet. In dem Statement wird Bügner zitiert: "Das Verfahren ist transparent und bietet den Athlet:innen Planungssicherheit", heißt es dort. Und weiter: "Wir haben großes Verständnis dafür, dass Athletinnen und Athleten enttäuscht sind, wenn sie nicht nominiert werden und am Ende nicht alle Startplätze vergeben werden. Solche Entscheidungen sind nie einfach. Gleichzeitig sind wir verpflichtet, die festgelegten Kriterien fair und einheitlich anzuwenden - und unserem eigenen Leistungsanspruch treu zu bleiben."

Vorwurf: Operation statt Normerfüllung

De facto hält sich der Verband an seine eigene Normzeit, die Umstände bei Pfeiffer lassen allerdings Fragen offen. Vor allem, weil auch dies im Statement steht: "Um als weiterer Athlet zum Kreis der Normerfüller dazuzustoßen, boten sich bei den Frühjahrsmarathons zahlreiche Gelegenheiten." Es ist offensichtlich, dass damit Pfeiffer gemeint ist, erwähnt wird sein Name im gesamten Statement nicht.

Allerdings hat sich der bei der Bundeswehr als Sportsoldat angestellte Pfeiffer nach Absprache mit den zuständigen Personen im März am Fuß operieren lassen. Er hat dafür auf die Europameisterschaft verzichtet, für die er qualifiziert war und die für ihn laut eigener Aussage einen hohen Stellenwert gehabt hätte. Weil aber Bügner "bei jedem Austausch, den wir innerhalb der Nationalmannschaft hatten, betont hat, dass die Weltmeisterschaft das einzige Event in diesem Jahr ist, was für den DLV eine Relevanz hat, weil dort die Fördergelder über die Nationenpunkte vergeben werden", habe er sich für die Operation entschieden. "Und diese Operation habe ich ja in Absprache mit dem Bundestrainer und der Bundeswehr gemacht, um im Herbst für die WM fit zu sein. Da kann man mir nicht vorwerfen, dass ich die Operation gemacht habe und im April oder Mai nicht mehr die Bestätigungsnorm gelaufen bin."

Am 4. Mai hat Pfeiffer am Wings for Life World Run in München teilgenommen und diesen mit der zurückgelegten Distanz von 66 Kilometern gewonnen - gelaufen wird, bis ein Auto in einer zuvor festgelegten, sich steigernden Geschwindigkeit den Läufer einholt. Die verbandseigene Website leichathletik.de berichtet über Hendrik Pfeiffer und seine Frau Esther - die das Frauen-Rennen gewann - mit einem eigenen Artikel unter der Überschrift: "Ehepaar Pfeiffer & Co. begeistern bei rekordverdächtigem 'Wings for Life World Run'" Doch im Nachhinein wird Pfeiffer die Teilnahme vom Verband zum Vorwurf gemacht, wie er sagt, weil er ihn der Möglichkeit der Normerfüllung vorzog.

"... ob da der sportliche Sachverstand überhaupt vorhanden ist"

"Ich stelle mir die Frage, ob da jemand seinem Amt nicht gewachsen ist", holt Pfeiffer seinerseits aus: "Da muss ich mir die Frage stellen, ob da der sportliche Sachverstand überhaupt vorhanden ist. Ein Start bei so einem Charity-Event ist für mich ein paar Wochen nach der Operation machbar, auch es zu gewinnen. Das ist für mich ein Dauerlauf in Zone 2 gewesen. Aber eine Weltklassezeit von 2:07 Stunden renne ich halt nicht so kurz nach einer Operation. Dass ein Entscheidungsträger in solch einer Position dies offenbar nicht reflektieren kann, ist haarsträubend." Und weiter: "Ich finde es ziemlich fahrlässig, dass solche Leute nicht nur über Nominierungen entscheiden, sondern auch über die Zugehörigkeit zur Sportfördergruppe und andere Dinge mit ähnlicher Tragweite."

Pfeiffer geht noch weiter und sieht seine Arbeit infrage gestellt: "Ich bin Sportsoldat und mein Auftrag als Sportsoldat ist - von Steuergeldern finanziert - für Deutschland zu starten. Das kann nicht sein, dass ein anderer von Steuergeldern finanzierter Verband das ohne Not aushebelt. Die Möglichkeit, mich zu nominieren, war und ist nach wie vor gegeben." Etwa in den USA und vielen weiteren Nationen ist es undenkbar, dass ein Startplatz freibleibt. Dort gilt das Motto, dass so viele Sportler wie möglich das Land vertreten sollen. Beim DLV sieht man das offenbar seit Jahren etwas anders; ohne Aussicht auf eine Topplatzierung scheint der Verband nicht immer von einer Nominierung überzeugt.

Läuferinnen berichten von ähnlichen Erlebnissen

Bei Instagram ist das Mitgefühl groß - und zahlreich sind die Berichte von (Ex)-Athletinnen, die Ähnliches erfahren haben. "Unfassbar. Geschichte wiederholt sich. Genauso war es 2004 bei mir", schreibt Sonja Oberem, EM-Bronzemedaillengewinnerin von 2002 im Marathon. "Einen Platz unbesetzt zu lassen, obwohl es einen qualifizierten Athleten gibt, ist reine Willkür. Es gibt keinen Grund dafür." Lauf-Kollegin Anja Scherl kommentiert: "Das tut mir leid ... Leider passt es voll ins Bild zu den Erfahrungen, die ich mit dem DLV gemacht habe." Und die 40-fache Deutsche Meisterin Sabrina Mockenhaupt schreibt: "Ich habe das leider schon irgendwie kommen sehen und ganz vieles kommt mir bekannt vor. Und am meisten tut es weh, wenn man wirklich alles dafür geben würde, für Deutschland an der Startlinie zu stehen."

Richard Ringer, der für Deutschland bei der WM dabei sein wird, meldet sich ebenfalls zu Wort: "Das tut mir leid, Hendrik. Du bist sogar Platz 39 von 100 Startplätzen und damit vier Plätze besser als ich bei der Road-to-Paris-Liste im letzten Jahr, wo ich Zwölfter geworden bin. Man sieht also, was möglich ist", so der Europameister von 2022. "Einen Platz leer zu lassen bei den vielen Top-Läufern, die es in Deutschland gibt, ist wirklich nicht verständlich."

Bundeswehrstatus wird gern als Druckmittel verwendet

Pfeiffer erwägt rechtliche Schritte gegen den Verband. "Einmal könnte ich mit einer einstweiligen Verfügung dagegen vorgehen. Denn wenn der DLV jetzt nur zwei Plätze in Anspruch nimmt, wird der freie Platz an eine andere Nation weitergegeben. Das wird dann ziemlich schwer zurückzudrehen", macht Pfeiffer die Dringlichkeit deutlich. "Eine andere Möglichkeit wäre, grundsätzlich feststellen zu lassen, ob solche rückwirkenden Normen überhaupt rechtens sind. Denn der DLV erlässt jedes Jahr irgendwann Mitte des Jahres die Kadernormen, da ist für uns im Marathon aber schon die Hälfte der Saison vorbei. Wir laufen also Rennen und wissen gar nicht, welche Zeit wir erreichen müssen, um in den Kader zu kommen. Wenn festgestellt würde, dass das nicht in Ordnung ist, könnte man vielleicht eine Verbesserung für alle Athleten erreichen."

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Athlet sich juristisch gegen den DLV zur Wehr setzt. So hatte sich Charles Friedek jahrelang ein Gefecht erst mit dem DLV, dann mit dem für die Olympia-Nominierungen zuständigen DOSB geleistet. Der Dreisprung-Weltmeister von 1999 war 2008 nicht für die Olympischen Spiele nominiert worden. 2015 bekam er schließlich vom Bundesgerichtshof Schadenersatz zugesprochen. Ex-Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch dagegen war 2019 mit einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sportschiedsgericht in Köln auf eine nachträgliche EM-Nominierung gescheitert. Auch Läufer Philipp Pflieger hatte es 2018 versucht, wollte einen EM-Doppelstart über den Marathon und die 10.000 Meter erreichen. Ebenfalls erfolglos.

Pfeiffer sagt: "Als einzelner Athlet gegen einen riesigen Verband zu agieren, ist immer ein Risiko. Der Bundeswehrstatus wird gern als Druckmittel verwendet." Mit dem Rechtsweg könnte also nicht nur die WM-Teilnahme, sondern sogar die berufliche Zukunft auf dem Spiel stehen, fürchtet Pfeiffer. Ähnliches schwant auch Scherl, die bei Instagram schreibt: "Hoffentlich kostet dich deine Kritik am DLV nicht deinen Kaderplatz für das Jahr 2026." Und so wägt der Marathonläufer ab, ob er sich juristisch wehrt. Er hofft auf ein Umdenken beim DLV, so Pfeiffer: "Ich möchte ganz klar erwähnen, dass Jörg Bügner noch immer die Möglichkeit hat, einzulenken und vielleicht einfach zu sagen: 'Okay, du hast recht gehabt, vielleicht habe ich einen Fehler gemacht.' Und dann reicht man sich die Hand. Das ist für mich Führungsverhalten, auch zugeben zu können, einen Fehler einzusehen und zu korrigieren."

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