Viele Südfrankreich-Liebhaber zieht es an die Côte d’Azur. Verständlich, ist diese Küste doch einer der schönsten Landstriche am Mittelmeer. Leider haben sich die Reize so sehr herumgesprochen, dass es dort oft zu voll und unverschämt teuer ist.

Trotzdem muss niemand auf Südfrankreich verzichten, denn es gibt eine naheliegende Lösung: die französische Mittelmeerküste westlich der Rhône! Jenseits des großen Flusses, in Okzitanien, geht es zwar nicht ganz so mondän zu wie in Cannes oder Nizza. Dafür aber ursprünglicher, unverfälschter. Die Franzosen nennen solche Regionen „la France profonde“, „das tiefe Frankreich“.

Sète ist dafür ein gutes Beispiel. Dort werden Geschäfte gemacht. Nicht so sehr mit der Sonne. Sondern vor allem mit dem Wasser. Will sagen: Die Stadt lebt viel weniger vom Tourismus als so viele bekanntere Orte im Süden Frankreichs. Sie lebt vom Meer und dessen Schätzen. Sète ist der größte Fischereihafen der französischen Mittelmeerküste. Er bietet, anders als viele Städte hier, keine römischen Reste.

Sète verdankt sein Entstehen vielmehr einem großen infrastrukturellen Projekt des Barock: dem Canal du Midi, der Mittelmeer und Atlantik verbindet. Die Idee dazu hatte der damalige Wirtschaftsminister Colbert. Das Geld kam vom Sonnenkönig. Und Ludwig XIV. war es auch, der 1666 das Städtchen gründete.

Heute ist Sète ein Schlemmerparadies für Meeresfrüchte. Mögen andere Regionen behaupten, sie hätten die besten Austern, in Sète weiß man: alles Lüge. Nirgends sind diese urfranzösischen Schalentiere fleischiger als hier, wo sie vor allem aus dem Bassin de Thau, einer Lagune zwischen Sète und dem Mittelmeer, geborgen werden.

Sète ist die Stadt des Oktopus

Damit nicht genug: Sète ist auch die Stadt des Oktopus, Pouffre genannt. Er ist so allgegenwärtig in der Stadt, dass ihr zentraler Platz, die Place Léon Blum, bei den Einheimischen nur Place du Pouffre heißt. Auf dem Platz steht passenderweise ein Springbrunnen mit einer gigantischen Tintenfischskulptur.

Wer sich einen Eindruck von der Vielfalt der lokalen Meerestiere verschaffen will, verliert sich am besten in der Markthalle von Sète. Dort biegen sich die Stände nicht nur unter Austern mit gewellter oder, besser noch, weil geschmacksintensiver, mit glatter Schale.

Hier lassen auch Tintenfische (Sèches) oder Seeigel (Oursin), deren Inneres man mit dem Löffel isst wie Kaviar, das Wasser im Munde zusammenlaufen. So wie natürlich jede Menge Muscheln, Crevetten, Fische. Lokale Spezialität: eine Tielle – eine runde Teigtasche, gefüllt mit Tomatenmark und, na was wohl, natürlich Pouffre.

Viele Marktstände bieten einen Imbiss von frischem Fang im Stehen an. Hier kann man sich Anregungen und Appetit für die Hauptmahlzeit holen, die man tunlichst abends in einem der vielen gemütlichen Restaurants am Hafen einnehmen sollte. Denn bevor man es sich so richtig gut gehen lässt, sollte man aus glücksökonomischen Gründen – Vorfreude ist ja die größte Freude – nun erst mal einen Rundgang machen.

In keinem Land der Welt sind kulinarische und kulturelle Genüsse so eng miteinander verwoben wie in Frankreich. Daher kommt es, dass selbst das Fischerstädtchen Sète selbstverständlich seine repräsentative Flaniermeile besitzt, die Avenue Victor Hugo, mit reich verzierten Häusern im Stil des Zweiten Kaiserreichs. Die Straße führt schnurgerade auf ein Opernhaus zu, dessen bauliche Eigenart, in verkleinertem Maßstab, an die imposante Opéra Garnier in Paris erinnert.

Sète ist ein Freiluftmuseum für Straßenkunst

So weit, so typisch für die französische Provinz. Ein Alleinstellungsmerkmal besitzt Sète allerdings in seiner Vorliebe für Straßenkunst. Sie erwachte vor 20 Jahren und hat mittlerweile den ganzen Ort mit einer Vielzahl von Wandmalereien versehen, dem MaCO (Musée à Ciel Ouvert): Regional bekannte Street-Art-Künstler schufen Bilder für dieses originelle Freiluftmuseum, die immer wieder um tierische Mitbewohner wie Pouffres oder Katzen kreisen, andererseits den beiden großen Söhnen der Stadt huldigen.

Da wäre einerseits der Schriftsteller Paul Valéry, dem sogar ein Museum oberhalb des Friedhofs am Meer errichtet wurde, dem er eines seiner bekanntesten Gedichte gewidmet hat. Andererseits Georges Brassens, jener „Anarchist mit der sanften Stimme“, dessen Chansons in Frankreich jedes Kind kennt. Der Sänger ruht auch auf dem Friedhof am Meer, in der Gruft der Familie seiner Frau bestattet, von wo man eine herrliche Aussicht auf das Meer hat.

Wer sich die Stadt tagsüber erwandert, darf es abends krachen lassen. Seinem Namen alle Ehre macht etwa das Lokal „Coquillages et Crustacés“ mit den wohl besten Muscheln und Krustentieren der Stadt. Beginnen Sie die Mahlzeit auf jeden Fall mit dem Doraden-Carpaccio, einer Spezialität des Hauses, gegrillt oder ungegrillt. Danach empfiehlt sich ein Gericht mit Pouffre, der in vielen Variationen aufgetischt wird, auch in einer asiatischen mit Geschmacksrichtung süßsauer.

Und verweigern Sie sich nicht den Sèches, einer anderen Bauart des Tintenfisches. Bekömmlich wird es alles sein – Knoblauch wird so gut wie nicht verwendet, stattdessen leichtes Olivenöl und viel Zitrone. Passende Weißweine aus der Region gibt es en masse. Etwa den Picpoul, berühmt für seine markante Säure.

Von hier kommt der Wermut von James Bond

Dieser Wein wird übrigens auch zur Herstellung des durch James Bond weltberühmt gewordenen Wermut Noilly-Prat verwendet, der in der Region hergestellt wird. Wer mag und einen kleinen Umweg nicht scheut, schaut sich den Firmensitz in Marseillan am Bassin de Thau an, einem pittoresken Städtchen südlich von Sète, und nimmt an einer Verkostung teil.

Dabei kann man feststellen, dass es nicht nur die in Deutschland hauptsächlich vertriebene Variante Original Dry gibt, sondern auch Extra Dry sowie Ambre und Rouge. Wer Letztere probiert, sollte ein Stück Pampelmusenschale dazugeben – schmeckt wie Weihnachten im Glas!

Nun aber ab nach Montpellier. Wenn man Glück hat, ist man mit Auto oder Zug von Sète kommend in einer halben Stunde da. Die 300.000-Einwohner-Stadt liegt rund zehn Kilometer vom Meer entfernt. Sie zählt mehr als 60.000 Studenten, hat drei Universitäten und mehrere Hochschulen. Das beschert Montpellier eine vergleichsweise junge Bevölkerung und ein quirliges Nachtleben mit vielen Bars und Clubs.

Eine der Universitäten in Montpellier ist fast so alt wie die Sorbonne in Paris. Die medizinische Fakultät wiederum soll die erste in Europa gewesen sein. Bereits um 1220 wurde Montpellier das Privileg dazu vom päpstlichen Legaten Konrad von Urach erteilt. Auch die Biomedizin hat einen erlauchten Ahnherrn: König Heinrich IV. ließ hier 1593 den ersten Botanischen Garten Frankreichs anlegen (Jardin des Plantes), um Heilkräuter im großen Stil anzubauen. Die bemerkenswerte großflächige Grünanlage zählt zu den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Vom Botanischen Garten ist es nur ein Katzensprung zum Universitätsviertel mit seinen mittelalterlichen Gässchen. Es gruppiert sich um die festungsartige Kirche St. Pierre mit ihren zwei markanten Portalsäulen. Von hier ist es nicht weit zur guten Stube der Stadt, der Place de la Canourgue. In der zurückhaltenden Noblesse dieser Oase hat sich vor drei Jahren in einem alten Herrenhaus das Nobelhotel „Richer de Belleval“ mit samt Sternerestaurant „Jardin des Sens“ angesiedelt.

Montpellier protzt mit Triumphbogen und breiten Avenuen

An diesem Platz sind wir mitten im Barock gelandet, unter Umgehung der Renaissance. Jawohl, in dieser Epoche, die in Südfrankreich von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken gekennzeichnet war, fand kaum Bautätigkeit statt.

Eher Abbautätigkeit: Mehrere Plätze in der Altstadt gehen auf den Abriss von Kirchen, der protestantischen Temples, zurück. Mit Ludwig XIV. und seiner Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes triumphierte schließlich der Katholizismus. Und wie immer, wenn es in Frankreich einen Sieg zu feiern gilt, wurde nun mächtig geklotzt.

Dem verdankt Montpellier seine breiten, zum Verweilen einladenden Avenuen. Durch einen eindrucksvollen Triumphbogen für den Sonnenkönig von der Altstadt getrennt, wäre hier einmal die mit vielen Bäumen bestandene Promenade du Peyrou zu nennen. Sie setzt sich in einem Aquädukt fort, der aus dem 19. Jahrhundert stammt. Am östlichen Ende des historischen Zentrums hat man mit der Place de la Comédie und der Esplanade ein Pendant dazu.

In diesem Planquadrat liegen auch die Musentempel der Stadt: die Oper, das Kulturzentrum Corum sowie das Musée Fabre, eine der bedeutendsten Gemäldegalerien Frankreichs. Hier trifft man auf viele Granden der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts wie den Realisten Courbet, den Historienmaler Cabanel und den Frühimpressionisten Bazille, der knapp dreißigjährig im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 fiel. All diese Häuser sind vor wenigen Jahren glanzvoll restauriert worden. Die Stadt lässt sich ihre Kulturstätten erfreulicherweise etwas kosten.

Trotz der vielen attraktiven Ecken spielt der Tourismus in Montpellier, anders als in den großen Städten an der Côte d‘Azur, nur eine untergeordnete Rolle, Auswüchse des Massentourismus findet man hier nicht, sondern ein weitgehend unverfälschtes Stück Frankreich. Weiterer Pluspunkt: Die Stadt bleibt nicht in der Vergangenheit stehen. Jahrzehnt für Jahrzehnt entstehen neue Stadtviertel an der Peripherie, mit denen Montpellier inzwischen auf Position 7 der größten Städte des Landes aufgerückt ist.

Das Schöne dabei: Umsichtige Stadtplaner geben den Vororten ein einheitliches Gepräge. Am berühmtesten ist das noch aus den 1980er-Jahren stammende Quartier Antigone. Hier hat man sich unter Mitwirkung renommierter Architekten wie Jean Nouvel oder Christian de Portzamparc, der auch die französische Botschaft in Berlin gebaut hat, auf ein postmodernes Spiel eingelassen: Sozialbauwohnungen und Verwaltungsbauten wurden aus ockerfarbenen Betonteilen errichtet, aber mit markanten neoklassizistischen Bauelementen aufgepeppt. Ein bisschen Forum Romanum, ein bisschen Akropolis.

Mit einem architektonischen Disneyland gegen die Gettobildung: So kann man offenbar erfolgreich die Spaltung der Gesellschaft bekämpfen, von der das heutige Frankreich bekanntlich stark betroffen ist. Von den Gewaltexzessen in den Vororten der großen Städte an der Côte d‘Azur wie Marseille und Cannes ist Montpellier bis jetzt jedenfalls verschont geblieben. Dass das so bleibt, da seien Säulen und Kapitelle vor – die originalen alten, aber auch die nachgemachten, modernen!

Tipps und Informationen:

Anreise: Nonstop-Flüge von deutschen Flughäfen gibt es kaum – ab Juni fliegt immerhin Discover Airlines von Frankfurt nach Montpellier; Easyjet ist mit Flügen ab Basel/Mulhouse für Reisende aus Südwestdeutschland eine Alternative. Ansonsten bieten sich Umsteigeflüge mit Air France via Paris an. Man kann aber auch mit dem Zug über Paris fahren, der Superschnellzug TGV fährt stündlich und erreicht Montpellier ohne Umsteigen in rund dreieinhalb Stunden. Zwischen Sète und Montpellier verkehren Regionalzüge und Intercitys.

Unterkunft: Direkt am Hafen von Sète liegt das charmante Boutiquehotel „L’Orque Bleue“, DZ ab 98 Euro, orquebleue.fr. Die Nummer eins in Montpellier ist das Fünf-Sterne-Hotel „Richer de Belleval“ in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, es gehört zur Luxus-Hotelkooperation Relais & Chateaux“, DZ ab 274 Euro, hotel-richerdebelleval.com.

Sehenswertes: Sète: Die gut bestückte Markthalle ist täglich von 7 bis 15 Uhr offen, auch sonntags (halles-sete.fr), zusätzlich gibt es rund um die Halle jeden Mittwoch einen Markt. Das Freiluftmuseum MaCO (Musée à Ciel Ouvert) bietet Street-Art, über die ganze Stadt verteilt. Geführte Touren zu diversen Themen bietet das Tourismusbüro (de.tourisme-sete.com/fuhrungen-nach-lust-und-laune-sete.html). Marseillan: Touren durch die Fabrikation von Noilly-Prat kosten ab zwölf Euro (noillyprat.com). Montpellier: Musée Fabre, eines der besten Kunstmuseen Frankreichs außerhalb von Paris, Ticket ab 9 Euro, geöffnet täglich außer Montag von 11 bis 18 Uhr (museefabre.fr).

Auskunft: Region Okzitanien/Tourisme Occitanie, visit-occitanie.com/de/; Stadt Sète: https://de.tourisme-sete.com/; Stadt Montpellier: montpellier-frankreich.de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Occitanie Tourisme. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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