Die Briten feiern ihre Kulturhauptstadt 2025
Ein Regenschirm ist im Sommer schon mal eine gute Idee. Denn Bradfords Innenstadt ist für Überraschungen gut. Erst-Besucher sehen vor dem Rathaus eine gigantische Wasserfläche, in der sich die sandfarbene Fassade spiegelt: der Mirror Pool. Und das mitten in einer nordenglischen Metropole, darauf muss man erst einmal kommen. Der Weg führt zwischen 107 Springbrunnen hindurch, die auch mal unvermittelt losdüsen. Dann kommt man nur im Sprint relativ trocken über den Platz.
Der City Park im Herzen von Bradford ist das größte städtische Wasserspiel Großbritanniens und zugleich Party-Hotspot. Nachts verwandelt sich die Show in ein Licht- und Laserspektakel vor der viktorianischen Kulisse des Rathauses.
Weiter geht es durch die Gassen, vorbei an prächtigen neogotischen Gebäuden mit Erkern, Spitzbögen und kunstvollen Fassaden. Sie zeugen von Bradfords Blütezeit im 19. Jahrhundert, als der florierende Textilmarkt für Wohlstand sorgte.
Die nordenglische Stadt interpretiert ihre industrielle Vergangenheit heute kreativ neu: Das ehemalige Wollhandelszentrum in der Innenstadt – ein Bau mit hohen Gewölben und filigranen Verzierungen – beherbergt eine Buchhandlung. Die Salts Mill, eine ehemalige Textilfabrik in der viktorianischen Mustersiedlung Saltaire, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, ist eine zeitgenössische Galerie. In ehemaligen Handelshäusern eröffnen Kunst-Cafés, Museen und Clubs.
Bradford befindet sich in ständigem Wandel
„Bei uns liegt etwas in der Luft“, sagt Shanaz Gulzar, Kreativdirektorin des Bradforder Projekts „City of Culture“. Das stimmt: Man spürt an allen Ecken und Kanten die Energie der Stadt, ihre Geschichte, ihr Erbe, ihre Widersprüche. Bradford hat seit jeher ein unverwechselbares Flair, und das macht es zu einem spannenden Reiseziel im Norden Englands.
Schon die drei Brontë-Schwestern, Künstler wie David Hockney und die Dramatikerin Andrea Dunbar – alle in und um Bradford geboren – ließen sich von der Stadt im Wandel inspirieren. Beim Blick in die Geschichte kommt der Eindruck auf, dass sich die Metropolregion in West Yorkshire, mit gut 550.000 Einwohnern, eingebettet in Moor und Heidelandschaft, ständig neu erfindet.
Dieser lange Weg von der Industriehochburg zum Tummelplatz für Kreative wurde jetzt belohnt: Bradford ist 2025 zur britischen Kulturhauptstadt gekürt worden – und feiert das ein ganzes Jahr lang.
„Die Ernennung zur Kulturhauptstadt soll helfen, dass sich Besucher in Bradford verlieben – und wir Einheimischen uns neu vergucken“, sagt Shanaz Gulzar, die das Programm mit ihrem Team organisiert hat. Denn Bradford kennt eben nicht nur Glanz, sondern auch Verfall. Seit der Deindustrialisierung in den 1970er-Jahren kämpft die Stadt gegen den wirtschaftlichen Niedergang.
Ausstellungen und Konzerte im Festjahr
Das soll sich spätestens mit der Ehrung als Kulturhauptstadt ändern. Erwartet werden 2025 mehr als 15 Millionen Touristen in Bradford, die der lokalen Wirtschaft umgerechnet gut 480 Millionen Euro einbringen könnten. Bradford hat dafür ein spektakuläres Programm auf die Beine gestellt, das das ganze Jahr über läuft: Das National Science and Media Museum zeigt etwa bis zum 18. Mai die Ausstellung „Pieced Together“, in der David Hockneys visionärer malerischer Umgang mit Film und Fotografie zu sehen ist.
In der St. George’s Hall, einem prächtigen Gebäude im viktorianischen Stil, trifft am 9. Mai ein Symphonieorchester auf Bassline-DJs – ein Stil elektronischer Musik, der von der urbanen Rave-Szene der 2000er-Jahre inspiriert ist. Die Impressions Gallery widmet lokalen Fotografie-Talenten bis 26. April die Ausstellung „Nationhood: Memory and Hope“. Höhepunkt sind die Arbeiten der Äthiopierin Aïda Muluneh, die multikulturelle Identitäten in Bradford einfängt.
Von September an zeigt dann die Cartwright Hall Art Gallery, ein neobarockes, von Grünflächen umgebenes Gebäude im Norden der Stadt, die Finalisten des britischen Turner Prize für zeitgenössische Kunst. Von 3. Mai bis 2. November präsentiert die amerikanische Multimedia-Künstlerin Ann Hamilton in der Salts Mill ihr erstes großes Werk in Großbritannien seit mehr als 30 Jahren. Und in der zum Event-Space umgebauten ehemaligen Lagerhalle Loading Bay laufen das ganze Jahr über Konzerte, Performances und Comedy-Shows.
Allein die Filmkultur wäre eine Reise nach Bradford wert. Bereits in den 1920er-Jahren gab es hier mehr als 40 Kinos, noch heute gilt Bradford als Hotspot für Filmschaffende und -liebhaber. Das prächtige Pictureville Cinema ist sogar Teil des National Science and Media Museums, das die Geschichte von Film, Fotografie und Fernsehen zeigt. Obendrein entstand in der Stadt eines der ersten Filmbüros des Königreichs, das Bradford als Location fördert.
Viele Regisseure schätzen die abwechslungsreichen und authentischen Kulissen der Region. So dient etwa das sehr sehenswerte historische Viertel Little Germany, einst Heimat wohlhabender deutscher Textilkaufleute und Industrieller, als Drehort für Serien wie „Peaky Blinders“ und auch „Downton Abbey“. Für seinen internationalen Geist wurde Bradford 2009 zur ersten Unesco-Filmstadt der Welt gekürt.
Das Programm reicht weit über die Stadt hinaus
Die Vielfalt zeigt sich auch in der Küche, darauf verweisen die Tourismus-Verantwortlichen der Stadt vielfach. Wer durch Bradford spaziert, wird ziemlich sicher den Duft asiatischer Gewürze wahrnehmen. Man sollte ihm folgen – in eines der vielen Curry-Häuser der Stadt. Bradford ist in England berühmt dafür, die beste südasiatische Küche zu servieren – und wurde sechs Jahre in Folge zur britischen Curry-Hauptstadt erklärt.
Denn die Stadt beheimatet eine große pakistanische Diaspora, die gut ein Viertel der Bevölkerung ausmacht. Ihre Vorfahren kamen in den 1950er- und 1960er-Jahren während des Textilbooms in die Stadt. Heute prägen ihre Nachfahren die Gastronomie. Das familiengeführte „MyLahore“ zum Beispiel tischt butterweiches „Naan und Aloo Palak“ auf – ein traditionelles Gericht aus Kartoffeln und Spinat, dessen Schärfe nach Luft schnappen lässt. Dazu gibt es „Kashmiri Chai“, ein rosafarbener Aufguss, der in beliebten Teehäusern serviert wird.
Weil 2025 erstmals eine ganze Gemeinde zur Kulturhauptstadt ernannt wurde, reicht das Programm weit über die Stadt hinaus. Eine Veranstaltung führt zum Beispiel in das gut 15 Kilometer entfernte Keighley. Dort startet eine Dampfeisenbahn auf einer Strecke, die einst die Textilfabriken der Region mit Kohle und Rohstoffen versorgte. Heute ist sie beliebte Touristenattraktion. Von 16. Juli bis 7. September können Besucher am Bahnhof einsteigen und durch sanfte Weideflächen bis zur Endstation Oxenhope reisen.
An der Strecke liegt auch Haworth, ein Ort, an dem Literaturgeschichte geschrieben wurde. Inmitten einer vom Wind gepeitschten Moorlandschaft lebten Emily, Charlotte und Anne Brontë. Der Weg zu ihrem Haus, heute ein Museum, führt über die kopfsteingepflasterte Main Street, wo sich kleine Sandsteinhäuser mit Sprossenfenstern aneinander drängen.
Die Brontës lebten in diesem zweistöckigen Pfarrhaus, von dem aus der Blick auf die Moorlandschaft fällt – Inspiration für Emily Brontës 1847 veröffentlichten Klassiker „Sturmhöhe“ voller Melancholie. In Bradford aber, in der die drei Brontë-Schwestern ihre frühen Jahre verbrachten, sollen sie laut Aufzeichnungen ihre „glücklichsten Tage“ verlebt haben.
Tipps und Informationen:
Anreise: Die nächsten Flughäfen sind Leeds Bradford (elf Kilometer) und Manchester (62 Kilometer). Von Manchester aus geht es in gut einer Stunde mit dem Zug nach Bradford, und das im 30-Minuten-Takt. Von London fahren Züge von King’s Cross in zweieinhalb Stunden über Leeds nach Bradford.
Unterkunft: Etwa im „Midland Hotel Bradford“ im Stadtzentrum, Doppelzimmer ab 82 Euro, britanniahotels.com. Historisch: „The Abbey Lodge Hotel“ im nahen Shipley, Doppelzimmer mit Frühstück ab 95 Euro, abbeylodge.net.
Essen: Unbedingt probieren: Bradfords wohl bestes Curry im „Aagra“, scharf gewürzt mit Seeteufel, Minze und Kokosnuss. Weitere empfehlenswerte Restaurants mit der Küche Kaschmirs, Pakistans und Indiens: „Akbar’s“, „MyLahore“ oder „Mumtaz“.
Weitere Auskünfte: bradford2025.co.uk; visitbradford.com; visitbritain.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Britain. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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