Ohne Fleiß kein preisgekrönter Wein. Die ersten zehn Kilometer am Dordogne-Fluss sind eine Spazierfahrt, bis die Route vom Ufer abzweigt und durch Weinberge führt. Es geht nie steil nach oben, dafür stetig rauf und runter, gut 30 Kilometer lang. Ganz schön sportlich, nach jeder Kuppe komme ich ins Schwitzen, Durst habe ich auch. Während ich von einem eiskalten Getränk fantasiere, taucht plötzlich ein Schild mit dem Namen Château de Fayolle auf. Voilà, endlich da.  Das Château ist eines von vielen Anwesen, die sich entlang der Dordogne über den Weinparzellen erheben, weshalb die Region Dordogne-Périgord im Südwesten Frankreichs auch „Land der 1000 Schlösser“ genannt wird. Für mich ist es die erste Station einer Tour, auf der ich nach Antworten suche. Wie gut passen Frankreich, Wein und Fahrrad zusammen? Welche Landschaften verbergen sich hinter wohlklingenden Weinen wie Sancerre oder Chablis?

Bei der Weinprobe gilt: Ein Gläschen in Ehren, sonst das Rad schieben. Noch bis in die 1960er-Jahre genehmigten sich die Fahrer der Tour de France ein paar Gläser Wein und fuhren danach viele Kilometer weiter. Heute gilt in Frankreich auch für Radler die 0,5-Promillegrenze.

Von den Kampfradlern, die unter 120 Kilometer Tagespensum gar nicht erst in die Klickpedale treten, bin ich weit entfernt. Im Gegensatz zu den Rennmaschinen der Profis ist mein Rad ein mit Satteltaschen beladener Packesel, geritten von einem Fahrer, der tausend Höhenmeter pro Tag scheut.

Meine Tour de Vin soll mich quer durch Frankreich führen, von der Dordogne über die Loire bis in die Bourgogne im Osten. Der Plan: etappenweise durch die Weinregionen, auch mal abgekürzt durch Zugfahrten. 

Auf Schlössertour im Périgord bei Bergerac

Auf der Etappe zwischen Saint-Terre östlich von Bordeaux und Bergerac finde ich im Château de Fayolle alles, was einen Abstecher ins Périgord reizvoll macht: eine herrschaftliche Anlage mit Wehrturm, Kapelle, Weinkeller und einen offenherzigen amerikanischen Gastgeber, der das Gut vor sieben Jahren mit seiner Frau übernahm.

„Es ist bis heute ein Abenteuer“, sagt Frank Campbell, „du fragst dich jedes Mal: ‚Wie wird das Wetter in diesem Jahr?‘“ Zuletzt kann es nicht so schlecht gewesen sein, denn der trockene Sauvignon Blanc („Bergerac Blanc Sec“) schmeckt ausgewogen und hat eine angenehme Frucht. Ein paar Häppchen Käse und Pastete, dann geht es weiter.

Von einer belebenden Wirkung des Weins spüre ich – nichts. Liegt es vielleicht an der schwachen Dosis? Mit hängender Zunge erreiche ich am frühen Abend die Kleinstadt Bergerac, die sich auf beiden Ufern der Dordogne verteilt. Bekannt wurde sie durch die Romanfigur Cyrano, die sich für ihre lange Nase schämte und der Angebeteten unter anderem Namen Liebesbriefe schrieb. Heute bildet die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern eine ideale Kulisse für seine lebensgroße Statue. 

Doppelte Dosis bis nach Sarlat-la-Canéda

Am Hafen liegt der „Quai Cyrano“, eine ehemalige Klosteranlage, in der man mehr als 120 Weine aus der Region kennenlernen kann. Besonders beliebt ist der vollmundige Rotwein Pécharment. Damit stärke ich mich vor der zweiten Etappe – und erhöhe die Dosis auf zwei Gläser. Auf den ersten Kilometern lässt mich der Wein von einer entspannten Etappe träumen, doch der Kater macht sich schon auf halber Strecke bemerkbar.

War das Ganze vielleicht doch eine Schnapsidee? Oder brauche ich mehr?

Leider findet sich keine geöffnete Bar auf dem Weg nach Sarlat-la-Canéda im östlichen Teil der Region, die man wegen der schwarzen Trüffel Périgord Noir nennt. Trüffel gibt es nur im Winter, dafür stapeln sich in den Schaufenstern reihenweise Dosen mit Entenconfit und Gänsestopfleber. 

Vezère: Höhlenmalereien, Dinos und ein guter Wein 

Tags darauf führt die Route über Les Eyzies durch das idyllische Tal des Flusses Vézère, vorbei an mächtigen Felswänden und Schildern, die auf nahegelegene Höhlen und einen Dinosaurierpark hinweisen. Mein Blick streift die steilen Wände von La Roque Saint-Christophe, der mit 100 Einheiten angeblich größte Höhlenwohnungskomplex Europas.

Auch den Wegweiser in Richtung Lascaux mit den berühmten Höhlenmalereien und Fossilien lasse ich rechts liegen und folge im stoischen Tretrhythmus einer Landstraße. In Saint-Leon-du-Vézère, eines der schönsten Dörfer Frankreichs, stärke ich mich mit einem Salade niçoise mit Thunfisch und einigen Gläschen Sauvignon Blanc vom Château des Miadoux. Der schmeckt so frisch und fruchtig, dass mein Konsum bald in Richtung Druckbetankung tendiert.

Ziemlich beschwipst bilde ich mir ein, leichter als sonst ans Ziel zu kommen. Mein Verstand weiß zwar: Berauscht darf man nicht mehr fahren, also bitte nicht nachmachen. Doch mein Alter Ego beruft sich auf eine Ausnahme – den Selbsttest. 

Wo der Sancerre wächst: von Bourges bis Auxerre

Die Hälfte der Tour ist geschafft, heute mache ich bein- und weinfrei. Mit dem Zug geht es nördlich bis nach Bourges, wo ich am Tag darauf mit dem Rad Richtung Loire starte. In Sancerre möchte ich den nach dem Ort benannten Sauvignon Blanc probieren.

Beim zweiten Glas des spritzigen Weißweins spüre ich unter dem Baldachin eines Bistros, wie die Nachmittagssonne eine ordentliche Schippe drauflegt. Die Lust aufs Weiterfahren sinkt mit jedem Schluck. Als ich Cosne-Cours-sur-Loire erreiche, will ich nur noch Wasser trinken. 

Die frische Morgenluft macht gute Laune. Im Ort richten Händler gerade ihre Marktstände ein. Überall lachen einen Ziegenkäsetaler an, aufgereiht nach allen Reifestufen. Dazu ein Baguette – mehr braucht es nicht. Bis nach Auxerre in der Bourgogne sind es 85 Kilometer mit 900 Höhenmetern.

Um dem Verkehr auszuweichen, wechsle ich auf Nebenstraßen, die über die Dörfer führen. Wie ruhig es auf einmal ist. Ich spüre, wie ich in diesen meditativen Modus komme, den ich am Radfahren so liebe. Trete stoisch in die Pedale, überwinde Meter für Meter und denke nichts.

Statt Rebstock-Parzellen sieht man überall Wiesen und Kornfelder. Mit jedem Dorf wächst die Hoffnung, mich erfrischen zu können. Aber nichts hat auf, nur verblichene Schriftzüge, die an längst verschlossene Läden erinnern. Wie sehr hat sich das ländliche Frankreich in den vergangenen Jahren verändert! Bis Auxerre bleibe ich zwangsläufig „trocken“.

Die kleine Stadt mit viel Fachwerk ist bezaubernd. Schon die Römer bauten hier Wein an, später kelterten Mönche in und um Auxerre Chablis und Pinot Noir, den sie bis nach Paris verschifften. Am Abend genieße ich im „Le Maison Fort“ eine Pastete mit kandiertem Lammfleisch, dazu einen Pinot Noir aus Irancy, Jahrgang 2018. Ein Gedicht.

Am nächsten Tag nehme ich auf dem Weg nach Semur-en-Auxois eine Abzweigung – nach Irancy, also in das Weindorf, aus dem mein gestriger wunderbarer Wein stammt. Der Schlenker lohnt sich: Winzer Felix Rochoux hat noch einige 2018er Pinot Noir im Weinkeller, zum Schnäppchenpreis von 20 Euro kaufe ich eine Flasche als Souvenir. Vor der Weiterfahrt genehmige ich mir einen Crémant.

Vielleicht ist Prickelndes das beste Doping? Doch der Tropfen erweist sich als Blender, der schon an der nächsten Hügelkette seine Wirkung verliert. Mich überfällt eine starke Müdigkeit, doch mit stoischem Kilometerfressen schaffe ich es bis Semur-en-Auxois. Der Winzerort wirkt hübsch authentisch, doch ich will nur noch in ein Hotel. Tipp für Radfahrer: Finger weg vom Schaumwein. 

Dijon – ein letztes Glas Wein im Burgund

Die Fahrt nach Dijon lege ich zur Hälfte mit dem Zug zurück, denn ich möchte mir das Zentrum der Bourgogne ausgeruht anschauen. Die Stadt vereint viele Facetten, die ich in den Orten zuvor gesehen habe – aber in einem größeren Maßstab. Das denkmalgeschützte alte Quartier ist verbunden mit einem Antiquitätenviertel, Gassen zum Bummeln und weitläufigen Plätzen.

Auf der anderen Seite das moderne Dijon in Form der „Cité Internationale de la Gastronomie et Vin“. Von außen wirkt sie wie eine Shopping-Mall, im Inneren vereint sie Kunsträume und Gastronomie. In einer Vinothek trinke ich das letzte Glas auf meiner Tour de Vin: einen Spätburgunder aus der Region Côte de Nuits, der besten für Pinot Noir, wie Kellermeister Martin Truchot versichert. Ich bin kurz davor, in seine Bewunderung einzustimmen, da fällt mir das Preisschild auf: 210 Euro die Flasche. Oh là là, es wird wohl bei einem Glas bleiben.

Nach einer Woche habe ich wunderbare Orte kennengelernt – und Weine probiert, deren Herkunft ich nur von den Etiketten her kannte. Die Erkundung per Rad war eine gute Idee; weder zu Fuß noch per Auto hätte ich so viel gesehen und erlebt. Allerdings muss ich zugeben, dass Wein und sportliches Radfahren nur bedingt eine gute Kombination sind.

Ein Glas zwischendurch kann zwar kurzfristig beflügeln, doch die Quittung folgt auf dem Tritt. Man kann sich vieles schöntrinken, nur leider nicht Höhenmeter und Streckenkilometer. Lieber nur entspannte 40 Kilometer in eine Tagesetappe packen und erst am Abend Wein genießen. Dann kommen einem weder die müden Beine in die Quere noch das schlechte Schwips-Gewissen.  

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Von Paris aus erreicht man Dijon mit der Bahn in etwa zwei Stunden, Bergerac in gut vier Stunden (sncf-connect.com).

Tipps für Radfahrer: Frankreich hat ein dichtes Netz an Radwegen, Tipps gibt es unter de.francevelotourisme.com. Infos zu Radtouren in der Region Dordogne-Périgord bietet aquitainebike.com. Routenvorschläge für das Burgund unter burgund-tourismus.com. Fahrradmitnahme in französischen Zügen: im Regionalverkehr oft kostenlos und ohne Reservierung möglich, in den Fernverkehrszügen wie dem TGV meist nur mit Reservierung und 10 Euro Gebühr.

Weinproben: Bergerac: Der „Quai Cyrano“ in einer Klosteranlage aus dem 17. Jahrhundert bietet rund 120 Weine aus der gesamten Region an (quai-cyrano.com). Dijon: Ob Chablis oder Pinot Noir – die „Cité Internationale de la Gastronomie et Vin“ hat einige der besten Weine aus dem Burgund im Ausschank (citedelagastronomie-dijon.fr).

Weitere Infos: Satout-france.fr, perigord.com, burgund-tourismus.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Atout France. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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