Auf den ersten Blick wirkt Umbrien, das stille Herz Italiens, wie ein nüchterner Landstrich. Zurückhaltend in seinen Farben, bescheiden im Temperament. Kein opulentes Image, keine überlaufenen Hotspots wie in der Toskana, keine überbordenden Tafelfreuden wie in der Emilia-Romagna.

Schon die beiden berühmtesten Söhne der Region mahnten zur Mäßigung – Franz von Assisi, der die Armut suchte, und Benedikt von Nursia, der seinen Mönchen empfahl: „In allem achte man auf Genügsamkeit!“

Doch Umbrien, rund zwei Autostunden nördlich von Rom gelegen, besitzt eine eigene, rustikale Sinnlichkeit und muss sich landschaftlich hinter der Toskana nicht verstecken. Es gibt mächtige, im Winter schneebedeckte Gipfel, von dichten Wäldern bewachsene Hügel, blühende Wiesen. Zypressen und Olivenbäume, wohin man nur schaut. Äcker und Felder in Ocker, Rot und Gelb. Darüber ein blassblauer Himmel. Wie ein Renaissance-Gemälde – was passt, denn Umbrien spielte eine wichtige Rolle in dieser Epoche.

Die Früchte des Landes sind schlicht, aber gut: Linsen aus Colfiorito, Lamm aus den Sibillinischen Bergen, Ziegen, Hühner, Kartoffeln, Bohnen, Kichererbsen. Alles perfekt für eine herzhafte Küche. Bis auf eine luxuriöse Ausnahme: Umbriens Erde birgt fast so viele Edelpilze wie Steine. Es handelt sich um schwarzen Trüffel. Die Sommervariante (Tuber aestivum) und die Wintervariante (Tuber melanosporum).

Da kann der Heilige Benedikt zur Genügsamkeit aufrufen, soviel er will: Kaum ein Landgasthof, der die edle Zutat nicht auf der Speisekarte hat. Zu Risotto mit Pecorino-Käse und Pfeffer, frisch am Tisch darüber gehobelt. Oder zu Tagliatelle mit Butter und Parmigiano Reggiano. Dazu ein frischer Weißer von einheimischen Winzern, etwa ein Grechetto Colli Martani, oder ein eleganter Roter aus Montefalco. Ein Genuss.

Berühmte Städte, nicht überlaufen

Umbrien hat berühmte Städte zu bieten: Assisi mit seinen Kirchen und Palästen, die stolze Universitäts- und Regionalhauptstadt Perugia. Sie sind ansehnlich und reich an Kultur wie Pisa oder Florenz, aber nicht überlaufen. Ohnehin liegt der besondere Reiz der Region, seit dem frühen ersten Jahrtausend vor Christi von den Umbrern besiedelt, auf dem Land, in den Dörfern, Kleinstädten und alten Adelssitzen, heute meist zu schicken Hotels umgebaut.

Ein gutes Beispiel dafür ist Norcia (im Deutschen auch Nursia genannt) im Nationalpark Monti Sibillini. In Italien kennt fast jeder den Ort, weil er der Feinkostbranche seinen Namen geliehen hat. Eine „Norcineria“ führt Wurstwaren aller Art, vor allem von Schwein und Wildschwein, dazu Käse, Olivenöl – und natürlich Trüffel.

Kein Wunder, dass sich die knapp 5000 Einwohner Norcias über eine weltweit einmalige Dichte an Fleisch- und Käsetheken freuen können. Auf 200 Metern reiht sich ein gutes Dutzend aneinander: die Norcineria Ulivucci, die Norcineria Felici, die Norcineria Mariotti, die Norcineria der Brüder Mastro und noch einige Tempel des Genusses mehr. Daran hat auch der Trend zu fleischloser oder veganer Kost wenig geändert.

Bevor man sich nun um Blutdruck und Leibesfülle der Bewohner sorgt: Den Großteil der Delikatessen tragen die Touristen davon. Sie reisen mit leeren Körben und Taschen an, die bei Abreise prall gefüllt sind, und schnabulieren sich vor Ort durch die reichhaltigen Auslagen, so wie man es in Lübeck mit Marzipan tut oder zur Weihnachtszeit in Dresden mit Butterstollen.

Für zwei weitere Besonderheiten ist Norcia bekannt: das verheerende Erdbeben von 2016, dessen Spuren bis heute stellenweise in Form von Baugerüsten und Kränen sichtbar sind. Und für den Heiligen Benedikt, der hier um das Jahr 480 geboren wurde und als Begründer des abendländischen Mönchtums gilt.

Die Benediktiner-Gemeinde in seinem Geburtsort musste allerdings in den vergangenen Jahrzehnten erst mühsam wiederbelebt werden, das alte Kloster war lange stillgelegt. Einer, der daran entscheidenden Anteil hatte, war Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt. Nicht zuletzt deshalb ist der deutsche Papst in Norcia bis heute hoch angesehen.

Trüffel-Pasta zum Schnäppchenpreis

Vincenzo Bianconi, der mit seinem Bruder Federico das Relais-&-Châteaux-Hotel „Palazzo Seneca“ mit angeschlossenem Sternerestaurant führt, erinnert sich gut an den Besuch des Kardinals. „Ein ernster Mann, ein schlichter Mann“, sagt er. Er nennt ihn „Papa Ratzinger“. Der hohe Gast blieb zum Abendessen. Jedoch nicht im sternenbekrönten „Vespasia“, dem Aushängeschild des Palazzos, der trotz seines pompösen Namens einst nur eine Poststation war, sondern gegenüber im 170 Jahre alten Landgasthof der Familie, dem „Granaro del Monte“.

Dort gibt es hausgemachte Tagliatelle mit frischem Sommertrüffel zum Preis einer gewöhnlichen Spaghetti Carbonara. Selbst die Variante mit dem teureren Wintertrüffel kostet weniger als hierzulande ein Wiener Schnitzel. Ob Ratzinger zum edlen Trüffel griff oder nur zu einer schlichten Pizza, will Vincenzo Bianconi nicht beantworten.

Das Hotel organisiert für seine Gäste Trüffelsuchen mit dem hauseigenen Lieferanten, Nicola Berardi. Man rumpelt mit ihm und seinen beiden Hunden, Otto und Lulu, in einem alten Fiat Panda hinaus auf die Hügel, nicht weit von der Grenze zu den Marken, und staunt, wie die beiden lebhaften Cocker-Mischungen binnen Minuten einen Trüffel von der Größe eines Tennisballs ausbuddeln.

150 Euro pro Kilo bekommt Berardi dafür. In einem Laden in Norcia müsste man für dieselbe Menge das Dreifache bezahlen, oben im Norden, in Mailand, wohl eher das Fünffache. So groß sind die Margen. Berardis Lieblingsgericht ist ein schlichtes Omelette mit frisch geraspeltem Trüffel. Zum Nachspülen ein Bier.

Bier von bärtigen Ordensmänner

Das bekäme er zum Beispiel in drei verschiedenen Sorten – blond, bernsteinfarben und dunkel – auf dem Berg vor der Stadt, im ehemaligen Kapuzinerkloster, wo heute die kleine, von Ratzinger wiederbelebte Benediktiner-Gemeinschaft siedelt. Die bärtigen Ordensmänner brauen es selbst, wie es der Tradition entspricht: obergärig und geschmacksintensiv. Den schönen Blick über Norcia und den Nationalpark gibt es gratis dazu.

So auf Natur und Ruhe eingestimmt, kann man am nächsten Tag weiterreisen in eines der bemerkenswertesten neuen Landhotels Italiens, das „Borgo dei Conti“ in der Nähe von Perugia. Der ehemalige Landsitz des Grafen Rossi Scotti, umgeben von einem 16 Hektar großen Park, wirkt wie die perfekte Kulisse für eine TV-Adelsserie, es ist eines der Highlights der Hotelvereinigung Relais & Châteaux: ein wuchtiges, steinernes Haus unter hohen Zedern mit Zinnen, Torbögen, Fallgittern, Innenhöfen, einer Orangerie und sogar einen unterirdisch angelegten Bachlauf, auf dem einst die Fürstin zum Vergnügen Bötchen fuhr.

Leider ist das Rinnsal derzeit stillgelegt, aber man prüft die Wiederinbetriebnahme. Die Gäste schlafen unter dunklen Holzbalken und seidenbestickten Betthäuptern, blicken durch große Fenster auf sattes Grün und einen blauen See (dahinter allerdings ein Kraftwerk – nichts ist perfekt in Umbrien).

Einfach in den Tag urlauben

Hoteldirektor Antonello Buono ist ein weitgereister Mann. Doch auch er schwärmt von Umbrien, wohin er vor zwei Jahren kam, als sei es die letzte Erinnerung an Gottes Paradies. Von einer Touristenschwemme könne keine Rede sein, sagt er. Keine verstopften Straßen wie in der Toskana, keine ausgebuchten Gaststätten, keine Schlangen vor den Museen – höchstens vor den Feinkostläden in Norcia. Man könne gelassen am Morgen entscheiden, was man mit dem Tag anfangen wolle, und müsse nirgendwo lange im Voraus reservieren.

Der umgebaute Aristokratensitz ist das jüngste Projekt einer Familie, der schon zwei Luxushotels in Venedig und Florenz gehören. Es zeigt, dass sie auf Umbrien als Touristenziel zählt. Direktor Buono schätzt dennoch, dass es mindestens noch ein Jahrzehnt dauern wird, bis die Region in Sachen Bekanntheit zur Toskana oder dem Piemont aufschließt.

Mit seinen gerade einmal 40 Zimmern und Suiten ist das Haus so abgelegen, dass man gar nicht anders kann als zu entschleunigen. Hauptaktivitäten: Sonnenbaden am Infinity-Pool, Radfahren, lange Spaziergänge durch den Wald.

Um den Gästen noch ein wenig zusätzliche Abwechslung zu bieten, zeigt Buono abends am Pool Kinofilme unter freiem Himmel. Oder er lädt zum Besuch bei den Bienen des Anwesens, die in 20 Stöcken auf einer Wiese wohnen. Bevor man ihnen beim Wabenbau zusehen darf, schlüpft man in einen sonnengelben Schutzanzug mit Schleier und Hut.

Die Tiere sind unermüdlich, wie es sich der Heilige Benedikt nicht besser wünschen könnte. Sie lassen sich vom Publikum nicht beirren, überlassen ihren Honig unaufgeregt dem Küchenchef und ihren Wachs den Gästen für selbst gedrehte Kerzen.

Genau hier, in der malerischen Kulisse einer umbrischen Wiese, zwischen Bienenflug und Blätterrauschen, spürt man: Mehr braucht es tatsächlich nicht für das kleine Urlaubsglück. Das dank der Aussicht auf einen Teller Pasta mit Trüffel schnell zum großen Glück wird.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Nächstgelegener internationaler Flughafen ist Rom. Bahnreisende kommen von München aus mit Umsteigen in Bologna und/oder Florenz nach Perugia.

Wo wohnt man gut? „Palazzo Seneca“ in Norcia, Doppelzimmer ab 180 Euro (palazzoseneca.com), „Borgo dei Conti“ nahe Perugia, Doppelzimmer ab 825 Euro (borgodeicontiresort.com), beide auch buchbar über relaischateaux.com/de. Schlicht, aber eindrucksvoll, ist eine Übernachtung im Gästehaus der Benediktiner-Abtei Abbazia di San Benedetto in Monte bei Norcia, Online-Anmeldung erforderlich: (en.nursia.org).

Weitere Infos: umbriatourism.it/de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Relais & Châteaux. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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