Die Landung auf dem Manas International Airport der kirgisischen Hauptstadt Bischkek ist ruckelig. Beim Aussteigen strömt einem frische Bergluft entgegen, kyrillische Schriftzeichen prangen am kleinen Flughafengebäude, dahinter die Millionenstadt mit ihren rustikalen, sowjetisch angehauchten Wohnhäusern, am Horizont die schneebedeckten Gipfel des Tien-Shan-Gebirgszugs, der höchste Berg dort misst über 7400 Meter.

Auf den ersten Blick wirkt Kirgisistan, seit 1991 unabhängig, rau und unmodern. Doch das Gestrige hat seinen Charme, die Natur ist überwältigend, und die Kirgisen sind neugierig auf fremde Besucher, ihre Herzlichkeit ist allgegenwärtig. Ein Land, wunderbar für Entdecker, die ihren Horizont erweitern wollen.

Der Blick schweift weit über den zweitgrößten Bergsee der Welt – das dunkelblaue Wasser im Yssyk-Köl wiegt friedlich hin und her. Hier an der östlichen Seite des Sees nahe der Stadt Karakol sind das Nord- und das Südufer gleichzeitig zu erahnen. Hinter beiden Seiten türmen sich mächtige, schneebedeckte Gipfel der Gebirge auf: im Norden der Transili-Alatau, der Kirgisistan von der kasachischen Millionenstadt Almaty trennt und im Süden der Terskey-Alatau.

Ein Kleinod der Berge lohnt es zu Fuß zu erobern: den Ala-Kul-See auf über 3500 Meter Höhe. Frühmorgens brechen wir mit dem Buchanka auf, einem alten russischen Geländewagen – vorbei an unendlich vielen Pferden, die überall in Kirgisistan zu finden sind, und an einigen der schäumenden Gebirgsflüsse reisen wir bis zu einem Jurtencamp als Ausgangspunkt der achtstündigen Wanderung.

Tosende Wasserfälle, asiatische Murmeltiere

Allgegenwärtig sind die kirgisischen Jurten – traditionell werden sie von Nomaden genutzt, inzwischen dienen sie auch als Quartier für Touristen, die in den Alltag des Landes eintauchen wollen. In den Bergen sind sie die beste Möglichkeit, warm und trocken zu übernachten. Wir lassen sie allerdings auf dieser Bergtour unbetreten hinter uns und wandern mehr als vier Stunden und über tausend Höhenmeter hoch zum Ala-Kul.

Unser Bergführer taucht lachend in Laufschuhen auf und sagt, die Wanderung sei für ihn wie Urlaub – in seinem Hauptjob im Hochgebirge würde er schließlich Seile für Bergsteiger befestigen und deren 16-Kilo-Rucksäcke tragen. Für ihn war es in der Tat ein Spaziergang, für uns deutsche Touristen war es die größte Wanderherausforderung unseres bisherigen Lebens.

Die kirgisische Natur ist spektakulär: das türkisblaue Wasser des Ala-Kul, der Gletscher auf Passhöhe, die tosenden Wasserfälle, die kargen Stein- und Schotterfelder auf der einen Seite, die grünen Wiesen auf der anderen Seite. Asiatische Murmeltiere, Pferde, Eichhörnchen und Greifvögel stehen für die tierische Vielfalt in den kirgisischen Bergen.

Zurück auf Höhe des Yssyk-Köl – 1700 Meter über Normalnull – liegen an der Südseite neben den steppenartig anmutenden, beigen Trockenlandschaften auch Naturwunder wie Jeti-Öguz: eine Landschaft, die aussieht, wie man sich den Mars vorstellt – rote, zerklüftete Bergriegel, wohin das Auge schaut, gespickt mit Schluchten und Wasserfällen. Auf der Nordseite des Sees dagegen wird es grüner: weite Ackerflächen, viel Grünland und jede Menge Pferde, Schafe, Ziegen und einige Rinder, die beweisen, dass die Nomadenkultur noch immer lebendig ist.

Schlafen in der Jurte

Für die nächste Nacht sind tatsächlich Jurten als Unterkunft gebucht. Die traditionellen Rundzelte dienen den Nomaden im Sommer und Herbst als Dach über dem Kopf, das nach Bedarf schnell auf- und abgebaut werden kann – vor allem dort, wo es genug Gras für das Vieh und Wasser gibt.

Unter dem kuppelartigen Dach sind sie ausgestattet mit Teppichen, Decken, Matratzen und Kissen, dazu niedrige Tische, ein Ofen zum Heizen und Kochen. Es gibt auch Touristenjurten mit richtigen Betten und sanitären Anlagen. Man schläft hervorragend – nachts ist es ungewohnt still, und wenn sich morgens beim Aufwachen die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Jurtenkrone (Tündük genannt) bahnen, kommt man sich fast wie in einem Himmelbett vor.

Die Sonne, die durch die Dachöffnung einer Jurte scheint, findet sich auf der kirgisischen Flagge wieder; die nomadische Nationalkultur wird eben hochgehalten. Der Blick nach dem Aufstehen aus der offenen Tür über die weiten Graslandschaften mit den hohen Bergen im Hintergrund ist majestätisch. Dagegen ist die Morgentoilette im eiskalten Flusswasser allerdings genauso gewöhnungsbedürftig wie die gegorene Stutenmilch zum Frühstück. Aber da ihr eine heilende Wirkung zugesprochen wird, trinkt man das Glas natürlich aus.

Etwa zwei Drittel der sieben Millionen Einwohner sind muslimische Kirgisen. Zur Sowjetzeiten war ihr Bevölkerungsanteil kleiner – viele der Russen von damals sind in den 1990er-Jahren weggezogen, nur wenige sind geblieben. Die kirgisische Kultur, auf die man allerorts stolz ist, ist heute im besten Sinne Tradition in der Moderne.

Das gilt auch für Essen und Trinken: In Bischkek, politischer und wirtschaftlicher Mittelpunkt des Landes, steht an nahezu jeder Ecke ein kleiner Sonnenschirm mit zwei großen Fässern, dahinter meist eine ältere Frau, die Maksym und Chalap verkauft, manchmal auch Kwas, den russischen Brottrunk.

Das grau-braune und etwas dickflüssige Maksym schmeckt säuerlich, es wird aus fermentierten Getreidesorten wie Gerste, Mais oder Weizen hergestellt. Chalap – fermentierte Kuhmilch oder abgetropfter Joghurt mit Wasser und Salz – kommt ebenfalls säuerlich daher, ist allerdings deutlich erfrischender. Wer als Besucher mutig ist, macht es wie die Einheimischen und mischt die beiden Getränke.

Kulinarisches Neuland

In den Lokalen, vor allem außerhalb von Bischkek, ist traditionelles Essen Standard, auch für Touristen. Aufgetischt wird stets kirgisisches Brot, Lepjoschka, populär sind zudem Gerichte der Nomaden: allen voran Beschbarmak (längliche Nudeln in einer Fleischbrühe und obenauf gezupftes Pferdefleisch), Kirgisistans Nationalgericht. Der Name bedeutet übersetzt „Fünf Finger“, üblicherweise wird es mit bloßen Händen gegessen. Beliebt ist auch der herzhafte Innereien-Eintopf Kuurdak aus Kartoffeln, Paprika, Kohl sowie Herz, Niere und Leber. Kulinarisches Neuland!

An diesem Abend wird ein neues Stadion in Bischkek eröffnet. Althergebrachte Sportarten wie Bogenschießen, Ringen, Reitsport oder das kirgisische Ziegenpolo, Kok-Boru genannt, dominieren – die knapp 4000 Plätze sind fast alle besetzt. Von außen sind etwa 200 junge Menschen in kirgisischer Tracht am Rand des Spielfeldes zu sehen.

Vor dem Stadion stehen in langen Schlangen Zuschauer an. Viele der älteren kirgisischen Männer tragen ihren Kalpak, den kirgisischen Hut aus Filz. Auf unsere Frage, ob es noch Tickets zu kaufen gäbe, antwortet ein Sicherheitsbeamter lachend mit einem „Njet“. Eine schick gekleidete Mitarbeiterin am Haupteingang hat uns gehört und zeigt die großartige Gastfreundschaft der Kirgisen: „Ihr seid aus Deutschland? Ihr dürft ohne Ticket rein.“ Bei der knapp einstündigen Show vor der Eröffnung treten zwei Popkünstler auf dem Rasen auf, gefolgt von einer Trachtenaufführung mit dem Komuz, der kirgisischen Gitarre.

Die Freundlichkeit der Kirgisen zeigt sich auch auf dem Land, bei einer Tour im Ala-Artscha-Nationalpark südlich von Bischkek. Während unsere Gruppe einen tosenden Gebirgsfluss entlangwandert, sprechen uns zwei junge Kirgisen an, knapp 20 Jahre alt – sie wollen wissen, was uns nach Kirgisistan führt, und sie freuen sich, dass wir ihr Heimatland kennenlernen wollen.

Spontane Party im Zug

„Ihr seid die ersten Europäer, mit denen wir uns unterhalten“, sagt einer in gutem Englisch. Englisch sprechen fast nur die Jüngeren. Kirgisisch, eine Turksprache, ist die Amtssprache und weitverbreitet, ebenso Russisch. Eine immer mal wieder diskutierte Umstellung vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet hat bis heute nicht stattgefunden.

Den beiden Kirgisen ist die Freude über das zufällige Zusammentreffen in den Augen anzusehen, und da sie in der Nähe wohnen, laden sie uns zum Essen ein, um mehr über Deutschland zu erfahren. Manty, Plov, Shakarap, etwas Laghman und viel Maksym und Chalap werden aufgetischt. Dazu wird grüner und schwarzer Tee mit sehr viel Kandis gereicht.

Unsere Reisegruppe ist angetan von der spontanen Gastfreundschaft der Einheimischen, die aus purer Freude und aus ehrlichem Interesse an den Gedanken über ihr Land gehandelt haben; eine Großzügigkeit, die in Deutschland nur schwer vorstellbar ist. Übrigens haben die beiden Kirgisen auch nicht versucht, ihren ausländischen Gästen Teppiche oder irgendwelche Souvenirs anzudrehen, womit man in ähnlichen Situationen zum Beispiel in der Türkei durchaus rechnen muss.

Positive Erfahrungen machen wir auch in dem alten Zug aus Sowjetzeiten, mit dem wir von Bischkek nach Balyktschy ruckeln, einer Stadt am Westufer des Yssyk-Köl. Unser Waggon ist mit gemütlichen Sofas ausgestattet und bietet etwa 20 Plätze, die knapp vierstündige Fahrt kostet umgerechnet gerade mal sechs Euro pro Kopf. Das Landschaftskino beeindruckt immer wieder, der Blick hängt an den Flüssen, Seen, roten, grünen und grauen Bergen links und rechts der Strecke.

Und doch ist das eigentliche Highlight abermals die unschlagbare Gastfreundschaft der Kirgisen. Schon nach wenigen Minuten steht vor uns im Zug ein großer Teller voll Obst und Kuchen. Einfach so – zwei Gruppen kirgisischer Frauen sind auf dem Weg in den Urlaub und teilen ihren Proviant mit uns.

Nach etwa einer Stunde Fahrt bringt die Zugbegleiterin einen großen, tragbaren Lautsprecher vorbei – es werden einige Worte auf Kirgisisch gewechselt und schon wird unser Waggon zum Partyabteil umfunktioniert. Zu kirgisischer Musik werden wir aufgefordert, mit allen gemeinsam im Gang zu tanzen, die Zugbegleiterin mittendrin, alle sind dabei. Einen Moment lang vergessen wir, dass es 11.30 Uhr vormittags an einem Wochentag ist. Was für ein Erlebnis!

Auch wenn die Kirgisen nicht das reichste Volk sind, nicht das international bekannteste oder gar das wirtschaftlich erfolgreichste: Sie tragen so viel Lebenslust, Aufbruchsstimmung und positiven Nationalstolz in sich, den sie nach außen tragen und allen mitgeben wollen, dass es eine Freude ist. Ich weiß, ich komme wieder.

Tipps und Informationen:

Anreise: Von Deutschland fliegen Turkish Airlines und Pegasus mit Zwischenstopp in Istanbul oder Ankara in knapp acht Flugstunden nach Bischkek.

Einreise: Die Einreise ist für deutsche Staatsbürger bis zu 30 Tage visumfrei.

Rundreisen: Arrangements bieten Veranstalter wie Wikinger Reisen (19-tägige Wanderreise inklusive Flüge ab 3375 Euro), Diamir Erlebnisreisen (14 Tage ab 2290 Euro zuzüglich Flug) oder Lernidee Erlebnisreisen (11 Tage ab 1980 Euro inklusive Flüge).

Auskunft: visitkyrgyz.com

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