Warum Odense es gerade jetzt mit Kopenhagen aufnehmen kann
Natürlich, da ist Kopenhagen. Die Mondäne, die Aparte und doch so Behagliche. Die Königin unter Dänemarks Städten, da gibt es keine zwei Meinungen.
Und da ist Aarhus, Skandinaviens neues Kulturjuwel, das auch noch von herrlichen Landschaften umgeben ist, von jenen breiten Buchten und sanften Hügeln, die in der Nationalhymne besungen werden.
Nicht zu vergessen Aalborg, die Stadt mit ihren Studenten und feuchtfröhlichen Bars, die überdies auf dem Weg zu den elysischen dänischen Nordseedörfern liegt. Aber Odense?
Odense wird oft übersehen für eine Reise zu unseren nordischen Nachbarn, dabei ist die Stadt mit ihren rund 180.000 Einwohnern die drittgrößte in Dänemark und von Deutschland aus nur einen guten Steinwurf entfernt. Obendrein ist Odense quasi Dänemark en miniature – und hat auch noch einen berühmten Sohn zu bieten, der zugleich der prominenteste Emporkömmling des ganzen Landes ist. Doch der Reihe nach.
Urkundlich erwähnt wurde Odense erstmals im Jahr 988. Der Stadtname rührt wohl aus der vorangegangenen Eisenzeit her, als der Ort eine Kultstätte für Göttervater Odin war. Anfang des elften Jahrhunderts entstand die Wikingerburg Nonnebakken, deren Überreste seit 2023 Teil des Unesco-Weltkulturerbes „Ringburgen des Wikingerzeitalters“ sind.
Einstmals Hauptstadt von Dänemark
Wenig später, 1060, wurde Odense Bischofssitz, viel später, Mitte des 17. Jahrhunderts, sogar kurz dänische Hauptstadt. Noch wichtiger war das Jahr 1804, als ein Kanal zum Odense-Fjord und damit zum Meer vollendet wurde; auch ein Hafen entstand, der heute ein modisches Wohn- und Büroviertel beheimatet. Bemerkenswerter ist allerdings die Odins Bro, eine der größten Drehbrücken der Welt, die nördlich der Stadt über den Kanal führt.
Odense, das ist jedoch vor allem Hans Christian Andersen – besonders in diesem Jahr. Dänemarks bekanntester Dichter und Schriftsteller, der sich zeitlebens H. C. Andersen abzukürzen pflegte, wurde am 2. April 1805 in Odense geboren und starb vor 150 Jahren, am 4. August 1875.
Zur Welt kam er in ärmlichen Verhältnissen: Seinen Vater, der Schuster war, verlor er im Alter von elf Jahren, seine Mutter, eine Wäscherin, war dem Alkohol verfallen. Tante und Halbschwester betätigten sich im horizontalen Gewerbe. All dies trieb seine Flucht in Poesie und Prosa früh voran, und schon zu Lebzeiten gelangte er zu Ruhm und Ansehen, wobei er nie auf einen Märchenerzähler für Kinder reduziert werden wollte.
Allein am privaten Glück mangelte es: Keine Frau erwiderte je seine Liebe, dazu war er Hypochonder und ein Angsthase vor dem Herrn, der auf Reisen stets ein Seil im Gepäck hatte, um sich im Bedarfsfall vor Bränden retten zu können.
Auf Andersen treffen kann man in Odense an jeder Ecke, vornehmlich aber in H. C. Andersens Hus, dem 2021 eröffneten Museum zu seinen Ehren. Fast 5600 Quadratmeter Fläche misst das Museumsareal, das aus einem fantasievollen Garten und mehreren wellenförmigen Gebäuden besteht. Die Ausstellung ist überwiegend unterirdisch angelegt, wo Andersens Geschichten auf verschiedenste Weise in Szene gesetzt werden: durch Lichteffekte, Farbenspiele, Geräusche oder Interaktion.
Bei „Der standhafte Zinnsoldat“ nimmt man etwa die Perspektive des Protagonisten auf seiner beschwerlichen Reise ein, „Die kleine Meerjungfrau“ verzaubert mit Projektionen schemenhafter Gestalten halb Mensch, halb Meereswesen. Eindeutiger Höhepunkt ist das mit 20 Matratzen bestückte Bett aus „Die Prinzessin auf der Erbse“, das ohne Seil allerdings unerklimmbar erscheint.
Ampelmännchen im Andersen-Look
Aus dem Leben des Dichters zeigt das Museum nur wenig, weil es sonst ja auch über dessen Unzulänglichkeiten sprechen müsste. Angeschlossen ist dafür das mutmaßliche, recht spärliche Geburtshaus Andersens, in dem sich früher das Museum für ihn befand, und nur einen kurzen Fußweg entfernt steht H. C. Andersens Barndomshjem, wo er aufwuchs – ein bescheidenes Fachwerkhäuschen, heute Sinnbild skandinavischer Wohligkeit.
Im Stadtzentrum findet man hier und da Ampelmännchen mit der Silhouette Andersens, „begegnen“ kann man ihm wiederum am Eingang des Stadtgartens, wo er in Form einer Bronzestatue wie der Pförtner zum Eventyrhaven wirkt, einem Park auf einer kleinen Insel inmitten des Flusses Odense Å. Jeden Sommer werden hier seine bekanntesten Stücke aufgeführt, während sich auf dem Flüsschen – an dem Andersens Mutter einst gearbeitet haben soll – liebliche Bootstouren unternehmen lassen.
Doch Odense ist nicht nur H. C. Andersen. Im Konzerthaus der Stadt ist ein kleines Museum dem Komponisten Carl Nielsen gewidmet, sicherlich der zweitberühmteste Odenseaner. Ein Pflichtbesuch ist der um die Ecke gelegene Møntergården, der alte Münzhof, Herzstück des historischen Stadt- und Regionalmuseums.
Der prachtvolle Fachwerkbau mit Renaissanceelementen aus dem Jahr 1646 und eine Reihe weiterer Gebäude zeigen das Leben in Odense durch die letzten Jahrhunderte hinweg. Museal ist zudem der unweit ansässige Laden „Kramboden“, eine Institution für Antiquitäten und Nippes; Kitsch sucht man dort unterdessen vergebens, man ist schließlich im stilbewussten Dänemark.
Die größte Augenweide der Stadt ist ihr Rathaus im Stil italienischer Gotik von 1883, das anmutet wie ein Palazzo. Gegenüber liegt mit der Sankt Knuds Kirke, dem Dom, Odenses vielleicht wichtigstes Bauwerk. Namensgeber für die Backsteinkirche war König Knud IV., dessen Schicksal wie aus der Sage anmutet – oder einer schlechten TV-Serie: Für die einen gottestreuer Anführer, für die anderen ein Despot, plante der König 1085/86 die Eroberung Englands.
Gegen die Mobilmachung formierte sich ein Aufstand, der darin mündete, dass der übermotivierte Knud vor der nahegelegenen, heute jedoch nicht mehr mit dem Original identischen Sankt Albani Kirke von Bauern erschlagen wurde. Nach seiner Beisetzung in der Krypta des Doms gab es dort angeblich Wunderheilungen, sodass Knud heiliggesprochen und Odense zum Wallfahrtsort wurde.
Das Alter seiner sterblichen Überreste wurde vor einigen Jahren durch eine radiometrische Messung bestätigt – und obendrein bewiesen, dass jene Person einst mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde. Insgesamt vier dänische Könige sind in der Domkirche begraben, dessen vergoldeter Flügelaltar, ein Werk des Lübecker Holzschnitzers Claus Berg aus dem 16. Jahrhundert, alles überstrahlt.
Interieur wie vor 200 Jahren
Wenige Kilometer südlich des Stadtkerns entfaltet sich ein gänzlich anderes Panorama – im Freilichtmuseum „Den Fynske Landsby“, dem „Fünischen Dorf“. Hier wurde das bäuerliche Leben des 19. Jahrhunderts auf der Insel wieder zum Leben erweckt, also die Zeit von H. C. Andersen – man wird ihn einfach nicht los.
Fachwerkhäuser mit Reetdächern, ein Bauernhof, eine Mühle und eine Schmiede wurden rekonstruiert, im Sommer kann in Werkstätten gewebt und getöpfert werden. Hauptgrund für einen Besuch sollte indes das Restaurant „Sortebro Kro“ sein, das seit 1805 besteht und später ins Dorf gezogen ist.
Sein Interieur wirkt immer noch wie vor 200 Jahren, serviert wird aber neue skandinavische Küche – eine himmlische Kombination. Zum Beweis: Aktuelle Highlights auf der Karte sind etwa Seeteufel mit Artischocken oder frittierte Jakobsmuschel mit Stachelbeeren.
Wenn der Durst plagt, führen zurück in der Stadt alle Wege in die Brandts Klædefabrik, früher ein riesiger Textilbetrieb, heute Treffpunkt der Kunst- und Kulturszene mit hippen Bars und Cafés; das „CCC“ kombiniert zum Beispiel Cocktails mit Tanzpartys, im „Seaweed“ gibt es Sushi-Wraps im australischen Streetfood-Stil. Ein Arthouse-Kino, ein Museum für Fotografie und ein Konzertsaal ergänzen den Komplex, abgerundet wird er von kleinen Boutiquen, die Hochwertiges aus Skandinavien anbieten – genau dafür macht man ja eine Städtereise nach Dänemark.
Unterm Strich ist Odense zwar nicht Kopenhagen, aber mindestens so reizvoll – bietet es neben der illusionsfreien nordischen Eleganz doch reichlich Rückzugsmöglichkeiten in Märchen, Mythen und Historie.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Von Flensburg aus dauert die Fahrt mit dem Auto rund zwei Stunden, es gibt aber auch bis zu sieben tägliche direkte Zugverbindungen per Eurocity ab Hamburg (Fahrtdauer gut dreieinhalb Stunden; bahn.de). Vor Ort kommt man gut mit dem Leihrad voran, Odense hat etwa 560 Kilometer Radwege.
Wo wohnt man gut? „Millings Hotel Plaza“, Traditionshaus in Bahnhofsnähe, Doppelzimmer mit Frühstück ab umgerechnet 140 Euro (millinghotels.dk); „Comwell H. C. Andersen“, modernes Haus, ruhig gelegen in fußläufiger Nähe zu allen Sehenswürdigkeiten, Doppelzimmer ab 111 Euro (comwell.com).
Weitere Infos: H.C. Andersens Hus, im Sommer täglich geöffnet, hcandersenshus.dk; allgemeine Tipps: visitodense.com; visitdenmark.de
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