In der Sonne glitzerndes Meereis, gigantische Gletscher und während der Eiszeiten geglättete Gebirge: Die Polarregionen und ihr eiskaltes Klima faszinieren mich ungemein. Regelmäßig bin ich dort, wo der Nordpol nicht mehr weit ist: in der Arktis. Als Medienmeteorologe von wetter.com analysiere ich täglich auf dem gesamten Globus gesammelte Wetterdaten und erstelle daraus Vorhersagen, auch für den Nachrichtensender WELT.

Um selbst spannendes Wetter zu erleben, muss ich unser klimatisiertes Fernsehstudio verlassen. Besonders gern und regelmäßig bin ich mit Expeditionsschiffen auf den Weltmeeren unterwegs, weit weg vom warmgemäßigten Mitteleuropa, um interessierten Kreuzfahrern Wetterphänomene vor Ort in anderen Klimazonen zu vermitteln.

Diesmal geht es von Hamburg aus mit der „Hanseatic Spirit“ von Hapag-Lloyd Cruises in die Arktis, an Bord 199 Gäste und 175 Crewmitglieder. Als Experte im Expeditionsteam begleite ich die Gäste vor, während und nach den Landgängen, denn die Vermittlung von Wissen, die fachkundige Vorbereitung und der respektvolle Aufenthalt in sensiblen Destinationen mit gefährdeter Natur sind unverzichtbar auf einer solchen Reise.

Die ersten Tage in Norwegen, wir besuchen das regenreiche Bergen und fahren durch den malerischen Geirangerfjord, haben eher touristischen als Expeditionscharakter. Doch das ändert sich schnell.

Bereits in den norwegischen Bergen wandere ich mit 20 sportlichen Gästen vom Schneeklima auf Meereshöhe in höher gelegene Regionen, in denen wir das Eisklima der polaren Tundra erleben. Sogar der wärmste Monat des Jahres hat hier oben eine Durchschnittstemperatur von unter zehn Grad.

Durch Klimazonen wandern

Die Tundra ist nach ihrem finnischen Wortursprung eine baumlose Hochfläche, die monatelang mit Schnee bedeckt ist. Die schneearme Vegetationsperiode in den Sommermonaten ist so kurz, dass die Pflanzen klein bleiben. So führt die Wanderung erst durch krüppelig wachsende Birken. Oben wächst nur noch die Zwergbirke, die gerade mal ein paar Zentimeter groß wird und sich nur kriechend, also bodennah, entfaltet. Zwei nordeuropäische Klimazonen auf einer Wanderung zu erleben, das lässt mein Meteorologen-Herz höher schlagen.

Expertise über Wetter und Klima ist vor allem auf Expeditionsschiffen gefragt. Während auf den größeren Schiffen oft nur oberflächlich über Land und Leute informiert wird, sind Expeditionskreuzfahrten intensive Erlebnis- und Bildungsreisen. Deshalb sind auf dieser Reise neben mir noch ein Geologe, zwei Biologen und eine Expertin für Polargeschichte an Bord – und wir haben gut zu tun, das Publikum ist erfreulich offen für Horizonterweiterung.

Die zweite Hälfte der Reise ist der Expeditionsteil, es geht zum nördlichsten Archipel Europas. „Als wir von Norwegen Richtung Spitzbergen aufgebrochen sind, war auch bei der Crew deutlich zu spüren, wie die Vorfreude wuchs – endlich wieder zurück in unser eigentliches Element“, sagt Anke Ulisch, General Expedition Manager. Über Geografie und Landschaft an den vorgesehenen Anlandestellen – oft nur ein einsamer Kiesstrand oder ein Fjord mit Gletscher am Ende – informiert Expeditionsleiter Thorsten Prietz im Voraus.

Ich habe gut zu tun: Eine Erklärung für linsenförmige Föhnwolken, die Entstehung von unterschiedlichen Windrichtungen auf dem Meer und an Land sowie die Wettervorhersage für den nächsten Tag – Fragen, die ich wissbegierigen Gästen am Abend mithilfe von Fotos und Karten auf der Bühne beantworte, beziehen sich auf deren unterschiedlichste Beobachtungen des Tages.

Unsere Arktisreise findet unter Beachtung der strengen Richtlinien der AECO statt, einem Verband von Kreuzfahrtunternehmen, die regelmäßig in eiskalte Breiten fahren. Mein Einsatz als Experte ist hier nur möglich, weil ich einen kniffligen AECO-Onlinetest bestanden habe, in dem ich unter anderem nachweise, dass mir klar ist, dass von Walrossen am Strand 30 Meter Abstand zu halten ist.

Auch kenne ich die Regeln, dass maximal 100 Gäste gleichzeitig an Land dürfen und nur der Besuch von ausgewiesenen Buchten, Gletschern und historischen Sehenswürdigkeiten erlaubt ist. Wir erklären den Gästen ausführlich, dass sie nur Erinnerungen und Fotos mitnehmen sollen. Schöne Steinchen und hübsch geformtes Schwemmholz müssen liegen bleiben.

Gern gesehen ist dagegen, wenn Reiseteilnehmer Plastikmüll bei den Anlandungen aufsammeln, den das Meer angespült hat. „Spitzbergen säubern“ ist seit Jahren eine offizielle Aktion, bei der sich viele unserer Gäste und die Crew an Land engagieren. Täglich gehört es zu meinen Aufgaben, von Expeditionsgästen aufgesammelte Ölbehälter, benutzte Fischernetze und angeschwemmte Trinkflaschen an Bord zu bringen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz in der Arktis.

Meteorologen leben inzwischen in einer Zeit des Datenglücks. Um die Erwärmung der Polarregion zu dokumentieren und an Bord genau wie im TV-Studio zu erklären, stehen mir viele professionell erhobene Datensätze zur Verfügung. Klimaleugner haben bei mir keine Chancen, viel zu viele sogar frei verfügbare Daten zeigen das Offensichtliche: Die Arktis erwärmt sich schneller als die meisten anderen Regionen der Erde.

Die in der russischen Siedlung Barentsburg auf Spitzbergen erhobenen Daten, auf einer Website der US-Raumfahrtagentur Nasa veröffentlicht, belegen es: Die Region hat sich seit den 1960er-Jahren bereits um 2,6 Grad erwärmt. Die Veränderung bei der globalen Durchschnittstemperatur wird vom EU-Klimawandeldienst Copernicus mit 1,5 Grad seit Beginn der Industrialisierung angegeben, also sogar für einen längeren Zeitraum.

Die schnelle Erwärmung in der Arktis lässt das helle Meereis schmelzen, dadurch gelangt mehr Wärmeenergie in das dunkle Polarmeer. Eine Rückkopplung entsteht, das Fieber der Arktis steigt und steigt.

Eisbrecher und Eisbären

Barentsburg sehen wir nur aus der Ferne, aber dem Packeis kommen wir ganz nah. Unser Expeditionsschiff hat die höchste Eisklasse für Passagierschiffe, PC6. „Wir können Eisschollen bis drei Meter Stärke mit bedachter Geschwindigkeit wegschieben. Wir sind aber kein Eisbrecher“, sagt Kapitän Axel Engeldrum.

Er steuert die „Hanseatic Spirit“ bis auf 81 Grad 22 Minuten nördlicher Breite, wo die Eiskarten des Norwegischen Wetterdienstes und aktuelle Satellitenbilder anzeigen, dass das Meer zugefroren ist. Dann stoppt er die Maschinen. Zum Nordpol sind es nun weniger als 1000 Kilometer. Für mehrere Stunden genießen wir die Ruhe und das funkelnde, eisbedeckte Polarmeer.

Endlich zeigt sich der König der Arktis: Ein Eisbär nähert sich unserem Schiff bis auf 300 Meter. Wir beobachten das gut genährte Prachtexemplar, das größte Landraubtier der Arktis. Eisbären sind auf das Zufrieren des Meeres angewiesen, denn nur so können sie weit laufen und viele Robben erbeuten. Ihr Lebensraum verkleinert sich durch die Erwärmung des nördlichen Ozeans allerdings zusehends.

Kunstvoll türmt sich der Schnee auf den Eisschollen rund um das Schiff zu Skulpturen auf. Nur durch die Transpolardrift, die wichtigste, weil großräumigste Meeresströmung der Arktis, verändern Eisschollen und Schiff während unserer stundenlangen Eisbärsichtung unmerklich und langsam ihre Position.

Während die Maschinen stoppen, spüren wir die Positionsänderung nicht. Aber Kapitän Engeldrum erklärt abends, dass wir uns mehrere Kilometer fortbewegt haben. Genau wie die klimatisch wichtigen Eisschollen, die als kühlender Deckel auf dem Polarmeer liegen. Viele Gäste staunen, als ich ihnen erkläre, dass diese Transporlardrift an vielen Stränden in Spitzbergen auch die meterlangen Holzstämme aus Sibirien anschwemmt – in der Arktis hängt eben alles mit allem zusammen.

Für Smeerenburg ist der Beginn des Walfangs auf das Jahr 1619 datiert, nur 20 Jahre nach der offiziellen Entdeckung des Archipels durch den niederländischen Seefahrer Willem Barents. Heute ist dort ein Landgang geplant. Die „Stadt des Blubbers“, benannt nach der begehrten Fettschicht von Walen, besteht nur noch aus Ruinen. Einst lebten dort 200 Menschen, heute wollen wir 199 Expeditionsgäste in zwei Gruppen an Land bringen. Aber Eisbären durchkreuzen unsere Pläne. Ein Weibchen mit einem Jungtier geht in eineinhalb Kilometern Entfernung gleichzeitig mit uns an Land.

Es ist Vorschrift für Expeditionsreisen in die Arktis, dass professionelle Eisbärenwächter, meist ausgebildete Jäger, die Reisen an Bord begleiten. Ihre Aufgabe ist die Sicherheit von Mensch und Tier. Sie geben eine Landestelle erst dann für den Besuch frei, wenn sie umfassend erst vom Schiff und dann von Land aus geprüft haben, dass keine Eisbären da sind.

Sollte sich im Verlauf einer Anlandung ein Tier nähern, sorgen die Eisbärenwächter dafür, dass alle die Landestelle sicher und zügig verlassen. Unsere sechs Eisbärenwächter erkennen die beiden Eisbären aus großer Entfernung. Kurz nach der Anlandung der ersten Gäste wird der Besuch von Smeerenburg abgebrochen. Stattdessen wird der nächste Landgang vorgezogen – Expeditionen in Spitzbergen erfordern Flexibilität.

Grundsatzfrage Tourismus in der Arktis

Das Anlanden auf der Insel Prins Karls Forland, sechsmal so groß wie Sylt, gelingt. Neue Regeln erlauben uns nur am Sandstrand Poolepynten, einer flachen Halbinsel, das Betreten des von Menschen unbewohnten Eilands. Es lohnt sich: Wir sehen 29 Walrosse, die eine Ruhepause am Strand eingelegt haben.

Stoßzähne bis zu einem Meter Länge und viel Fett, das zu Öl verarbeitet wurde und ein wichtiger Rohstoff war, machten Walrosse ab dem 17. Jahrhundert zu einer attraktiven Jagdbeute. Erst 1950 wurden sie unter Schutz gestellt. Der Großteil der verbliebenen Population war da bereits in östliche Richtung abgewandert, zur russischen Inselgruppe Franz-Josef-Land. Inzwischen sind einige Exemplare nach Spitzbergen zurückgekehrt. Die Männchen präsentieren sich mit eindrücklicher Leibesfülle bei über einer Tonne Gewicht.

Es gibt Umweltaktivisten, die fordern, Tourismus in der Arktis einzuschränken oder zu verbieten. Meines Erachtens ein falscher Ansatz: Wäre die Arktis nicht zugänglich für Reisende, würde ein weiterer weißer Fleck auf der Landkarte entstehen, den kaum jemand kennt.

Tatsächlich hat Spitzbergen gerade in letzter Zeit einen immer stärkeren Schutzstatus erhalten. Große Teile des Archipels dürfen seit Beginn des Jahres gar nicht mehr von Touristen betreten werden. Nur noch rund 40 Anlandestellen sind erlaubt, Drohnen sind verboten, und die Expeditionsschiffe, die maximal 200 Gäste transportieren dürfen, müssen ihr Tempo in Landnähe auf maximal fünf Knoten drosseln.

Umso beglückender ist es, das Eisklima, die kilometerlangen Gletscher und die arktische Tierwelt dort zu erleben, von wo es zum Nordpol fast nur ein Katzensprung ist.

Tipps und Informationen:

Arktis-Besucherregeln: Die Association of Arctic Expedition Cruise Operators (AECO) sorgt dafür, dass Kreuzfahrten in die Arktis mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf Natur und lokale Kultur durchgeführt werden. Für Besucher sind klare Regeln definiert: keine Spuren hinterlassen, Müll vermeiden, keine Tiere stören, Lärm vermeiden, keine Blumen pflücken, weder Steine oder Knochen noch Geweihe oder Treibholz sammeln, kulturelle Hinterlassenschaften nicht verändern, nicht von der Gruppe entfernen.

Arktiskreuzfahrten: Expeditionstouren in die Arktis von Spitzbergen bis Kanada bieten etwa HX Hurtigruten Expeditions (travelhx.com), Hapag-Lloyd Cruises (hl-cruises.de), Silversea (silversea.com), Hurtigruten (hurtigruten.com).

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