Der 11. März 2011 machte Fukushima weltbekannt. An dem Tag löste um 14.46 Uhr Ortszeit ein Unterwasserbeben der Stärke 9 vor der Nordostküste Japans einen Tsunami aus. 50 Minuten später prallte die 15 bis 40 Meter hohe Monsterwelle auf Japans Hauptinsel Honshu, zerstörte 125.000 Häuser, forderte knapp 19.000 Tote und überspülte das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi.

Es kam zur Kernschmelze und zu Wasserstoffexplosionen, eine radioaktive Wolke zog über das Umland. Zum Glück waren die Auswirkungen geringer als bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Trotzdem waren die Folgen erheblich.

Hunderttausende wurden evakuiert, es wurde eine Sperrzone von rund 30 Kilometern um das Kernkraftwerk errichtet, ganze Ortschaften wurden zeitweise zu Geisterstädten. Das deutsche Auswärtige Amt hält für Teile der Präfektur Fukushima bis heute eine Teilreisewarnung aufrecht.

Doch es gibt gute Nachrichten: Fast überall in der Region herrscht wieder normaler Alltag. Inzwischen umfasst die Sperrzone nur noch einen kleinen Teil von rund 330 Quadratkilometern direkt am Unglücksort, der Rest der 14.000 Quadratkilometer großen Präfektur einschließlich der Hauptstadt Fukushima ist bewohnbar. Wir haben uns vor Ort umgesehen, um zu prüfen, ob und wie Tourismus in diesem Teil Japans wieder möglich ist und warum sich eine Reise dorthin lohnt. Sechs Fragen und sechs Antworten.

Gibt es wieder Tourismus in Fukushima?

Die Schäden des Tsunamis sind beseitigt. Besucher können gefahrlos und frei durch die Präfektur Fukushima reisen – mit Ausnahme besagter Sperrzone. Und sie können laut Aussagen japanischer Behörden bedenkenlos lokale Produkte und Fisch essen.

Seit Jahren sind nicht nur wieder Hunderttausende japanische Touristen hier unterwegs, sondern auch ausländische Urlauber: 2024 waren es gut 291.000. Der zeitweise unterbrochene Zugverkehr entlang der Küste bis Tokio läuft wieder, seit 2020 liegt der Bahnhof von Futaba, dem Ort vier Kilometer vom Kraftwerk entfernt, nicht mehr im Sperrgebiet.

Wie hoch ist die Strahlenbelastung?

Die Strahlenlast außerhalb der Sperrzone liegt nach jahrelanger Dekontaminierung im Normalbereich. Aktuell sind das in Futaba unter 0,6 Millisievert pro Jahr. Direkt nach dem Desaster waren es über 50.

Zur Einordnung hilft ein Blick auf die natürliche externe Strahlendosis in Deutschland: Sie beträgt laut deutschem Bundesamt für Strahlenschutz im Schnitt ein Millisievert pro Jahr – in der Präfektur Fukushima außerhalb des Sperrgebiets liegt sie also unter den deutschen Werten. Innerhalb der Sperrzone liegt die Strahlung allerdings bei über 20 Millisievert pro Jahr.

Werden AKW-Touren wie in Tschernobyl angeboten?

Verschiedene Veranstalter vor Ort bieten spezielle Touren ins Sperrgebiet an, die als gefahrlos gelten und bei abenteuerlustigen Besuchern sehr gefragt sind. Sie reichen von ein paar Stunden auf dem Kraftwerksgelände bis zu zwei Tagen in der Region rund um den Unglücksort (siehe Infokasten).

Auf dem Kraftwerksgelände tragen die Besucher vor dem Betreten stärker verstrahlter Bereiche Schutzkleidung. Dosimeter messen die aktuelle Strahlenlast. Man sieht, anders als in Tschernobyl, aber kaum Lost Places, weil viel weniger Land verseucht und weil flächendeckend dekontaminiert wurde.

Kann man Lebensmittel aus Fukushima gefahrlos essen?

Längst werden wieder Reis, Gemüse, Obst, Fisch und Meeresfrüchte aus Fukushima in Japan verkauft und gegessen – sie haben wieder den guten Ruf, den sie vor der Katastrophe hatten. Grund dafür ist das verlässliche, engmaschige Netz von Lebensmittelkontrollen in Japan. Seit dem Unfall werden in Japan Lebensmittel im Handel streng überwacht.

Produkte würden aus dem Verkehr gezogen, wenn die zulässigen Höchstwerte überschritten werden, lobt das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Tatsächlich sind die Auflagen in Japan strenger als hierzulande: Gilt dort ein Grenzwert von 100 Becquerel Cäsium 137 pro Kilogramm, sind es in Deutschland laut BfS 600 Becquerel.

Fukushimas Reisbauern setzen ihre Hoffnung auf den neu gezüchteten Edelreis Fukuwarai, was übersetzt „Glückslachen“ heißt. Die Reissorte soll das neue agrarische Aushängeschild Fukushimas werden: „Der Fukuwarai ist süßer, klebriger und weicher als andere Sorten, ideal für Sushi“, sagt Reisbauer Sato Susumu aus Nihonmatsu.

Was Fisch und Meeresfrüchte betrifft, gibt Georg Steinhauser, Professor für physikalische Radioökologie an der TU Wien, Entwarnung. Gut 80 Prozent der 2011 freigesetzten Radionuklide wurden aufs offene Meer hinausgetragen und verteilten sich schnell. Das sei „mit Abstand das Beste, was der Menschheit passieren konnte“, sagte der Experte 2021 im Deutschlandfunk – sprich: Der Pazifik hat das radioaktive Problem durch Verdünnung beseitigt.

Laut BfS weisen nur Fische, die für Proben im Hafenbecken des Kernkraftwerks gefangen werden, erhöhte Radioaktivität auf. Durch Netze werde aber verhindert, dass diese Fische ins offene Meer gelangten. Und in den Handel kommen sie natürlich auch nicht.

Wie sieht es direkt an der Sperrzone aus?

Futaba liegt in Sichtweite vom havarierten AKW, der Ort lag elf Jahre lang komplett innerhalb der Sperrzone. Bis heute ist Futaba überwiegend ein Lost Place mit vielen leer stehenden Häusern, mit großen Brachflächen, wo die Erde dekontaminiert wurde – entsprechend gespenstisch ist die Atmosphäre.

Unbewohnt ist Futaba aber nicht: 2022 kehrten die ersten Bewohner zurück, zehn Prozent der Stadtfläche sind inzwischen wieder freigegeben, auch der Bahnhof. Heute leben hier wieder 170 von einst 7000 Einwohnern. Überall zeigen Messgeräte die aktuellen Strahlenwerte.

Sehenswert ist der Futaba Art District mit elf Wandmalereien des Tokioter Street-Art-Kollektivs Overalls zwischen Bahnhof und dem 2020 eröffneten Great East Japan Earthquake and Nuclear Disaster Memorial Museum. Die Ausstellung zeigt Hunderte Objekte und Dokumente, die die Dreifachkatastrophe Erdbeben/Tsunami/Atomunfall plastisch vor Augen führen, vom zerquetschten Feuerwehrauto über Notunterkünfte bis zu Videos von geschockten Überlebenden.

Der Besuch ist ein Gänsehautmoment. Wer will, wirft danach einen Blick auf das Reaktorgelände von der Dachterrasse des frei zugänglichen Futaba Business Incubation & Community Center gleich neben dem Museum.

Welche touristischen Highlights bietet die Region?

Die Präfektur Fukushima ist ideal für Reisende, die authentisches Japan suchen: Mehrere Thermalorte versprechen Wellness mit Stil, es gibt über 15 Burgen aus der Ära der Samurai, historische Tempel und Dörfer. Reizvoll sind die landschaftlichen Kontraste: hier die Bergzüge mit einem Dutzend Zweitausendern, dort die flache Hochebene von Aizu mit ausgedehnten Reisfeldern, und natürlich die Küste.

Eine Rundreise könnte so aussehen: Start in der Stadt Shirakawa, 100 Shinkansen-Minuten von Tokio. Der hölzerne Bergfried der Samurai-Burg Komine-jo ist ebenso sehenswert wie die durch das Beben stark beschädigten Außenmauern, die akribisch wiederaufgebaut wurden.

50 Kilometer weiter in den Bergen säumen im Dorf Ouchi-juku alte Reetdachhäuser die Straße. Eines davon, das Gasthaus „Misawaya“, ist bekannt für seine Negi Soba, bei dem die Nudeln mit einer Lauchzwiebel statt mit Stäbchen gegessen werden.

Sechs Kilometer entfernt steht Japans einziger Bahnhof mit Reetdach und Fußbadebecken, Yunokami Onsen Station. Tipp: Übernachtung im Ryokan „Ookawaso“ über dem Fluss Aga mit exzellenter Kaiseki-Küche und privatem Onsen. 15 Kilometer weiter, in Aizu-Wakamatsu, steht der Sazae-do, Japans einziger hölzerner Tempel mit einer doppelläufigen Wendeltreppe – die zwei spiralförmigen Holzrampen sind so ineinander verschlungen, dass Besucher, die hinaufsteigen, den Herabsteigenden nicht begegnen.

Nächste Station ist Kitakata, Japans Hauptstadt der Ramen-Nudeln mit dem einzigen Ramen-Schrein des Landes. Hinter der Stadt ragt der Bandai empor. Seit dem Ausbruch 1888 ähnelt die Silhouette des Vulkans auf verblüffende Art der des heiligen Bergs Fuji. Den Gipfel erreicht man in gut zwei Stunden auf dem Happodai Trail, er startet bei der Liftstation auf 1100 Metern.

Ein Instagram-tauglicher Fotostopp ist Nakano Fudoson, schönster Tempel der Region, gebaut um einen Wasserfall unter mächtigen Zedern. Zum Entschleunigen bietet sich der Thermalort Iizaka Onsen an, hier entspannen sich die Japaner schon seit mehr als 1000 Jahren im bis zu 47 Grad warmen Wasser.

Am schönsten ist das historische Holzbadehaus Sabako-yu. Nach der Kasse, wo vier Euro fällig werden, steht man nach fünf Schritten im Umkleidebereich, lässt Hemd und Hose fallen und geht nackt weitere zehn Schritte zur Waschstelle, wo man sich gründlich reinigt, bevor man unter dem offenen Dachstuhl im milchigen Thermalwasser stundenlang relaxen kann.

Zum Abschluss bietet sich eine Wanderung auf dem Michinoku Coastal Trail an. Der Fernwanderweg zieht sich über 1200 Kilometer den Pazifik entlang zwischen Soma und Hachinohe, er ist garniert mit wilden Kliffs und rauen Steilküsten. Wanderer stoßen bis heute immer wieder auf Zerstörungen durch den Tsunami und auf Gedenkstätten – weshalb die Japaner diesen Weg auch „das längste Denkmal der Welt“ nennen.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Flug nach Tokio, weiter per Zug von Tokio Ueno nach Futaba (Dauer drei Stunden).

Wo wohnt man gut? „Hot Spring Resort Hotel Ookawaso“ im Ort Ashinomaki Onsen mit Onsenbecken im Freien; elegante Zimmer im japanischen Stil und exzellente Küche, Doppelzimmer/Halbpension ab 110 Euro (ookawaso.co.jp). „JR-East Hotel Mets Fukushima“ am Bahnhof von Fukushima-Stadt, Doppelzimmer/Frühstück ab 55 Euro (hotelmets.jp).

Touren in die Sperrzone: Auf das Reaktorgelände kommt man nur mit geführten Touren (auch englischsprachig): Japan Wonder Travel bietet eine zweitägige Tour durch das Sperrgebiet ab 470 Euro an, laut Veranstalter liegt die Strahlenbelastung unter der eines Langstreckenflugs New York–Tokio (japanwondertravel.com). Eine sechsstündige Tour durch die Nachbarschaft der Reaktoren kann man bei Real Fukushima ab 60 Euro buchen. Einmal im Monat bringt der Veranstalter Touristen in Schutzanzügen für zwei Stunden auf das Gelände des Kernkraftwerks, ab 60 Euro (real-fukushima.com).

Weitere Infos: fukushima.travel; www.japan.travel/de; michinokutrail.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Fukushima Travel. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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