Es war wahrscheinlich so: Steinzeitliche Jäger erbeuteten ein junges Rehkitz. In dessen Magen fanden sie weißen Glibber – gegorene Milch. Hungrig und unerschrocken schoben sie sich die Klumpen in den Mund.

Die erste Käseverkostung der Welt war zwar purer Zufall, ist aber gut ausgegangen. Später, mit der Sesshaftwerdung des Menschen und der Viehzucht, war Milch reichlich verfügbar. Doch sie wurde schnell schlecht. Bauern nahmen Milch deshalb gern als Verpflegung mit aufs Feld, in einem Beutel, gefertigt aus einem Kälbermagen. Wieder klumpte die Milch wegen des Labs im Magen, wurde haltbar – und gegessen.

Zum Glück blieb es nicht bei den ersten Zufallsprodukten in Sachen Käse. Frühe Feinschmecker verfeinerten das Erzeugnis, im Laufe der Jahrhunderte entstand europaweit eine immense regionale Vielfalt. Zahlreiche Sorten wurden zu Delikatessen, die zu begehrten Handelsprodukten avancierten, oft benannt nach dem Herkunftsort, man denke an Gouda oder Camembert.

Dieser kulinarische Reichtum (auf dem alten Kontinent gibt es mehr als 2000 Sorten) hat längst auch touristisches Gewicht: Inzwischen finden Urlauber immer mehr Käseführungen, Käsestraßen, (Schau-)Sennereien, wo man lokale Spezialitäten genießen kann.

Die älteste Käsesorte der Welt

Allein Frankreich, „das Käseland schlechthin“, wie es sich auf seiner Tourismus-Website nennt, bietet sieben Käsestraßen und an die 1000 Fromage-Sorten, darunter Roquefort, der einer der ältesten Käse weltweit ist: Forscher fanden im prähistorischen Salzbergwerk Hallstatt den weltweit frühesten Nachweis für den Konsum von Blauschimmelkäse – 3000 Jahre alte Reste von Penicillium roqueforti, so heißt der zuständige Pilz.

Auch die Niederlande sind Käseland, man denke an Frau Antje. Zwar wird Gouda in anderen Ländern ebenfalls produziert, Gouda Holland aber ist eine geschützte Marke. Die alte Stadt, die dem Käse seinen Namen gab, bietet viele Käsefreuden, etwa den wöchentlichen Käsemarkt (jeden Donnerstag, noch bis Ende August) oder die Erlebniswelt Gouda Cheese Experience. Der Edamer stammt aus Edam, der Leerdamer kommt aus einer Teilgemeinde Leerdams und der Maasdamer – genau.

Reiseveranstalter bieten Rad- oder Hausboottouren entlang von Käserouten an. Dabei erfährt man auch, wie die Löcher in den Käse kommen: Die Milchsäurebakterien produzieren während der Reifung Kohlensäure. Da diese durch die Rinde nicht entweichen kann, bilden sich Hohlräume.

Die Schweiz lockt wegen ihrer Käsekultur viele Gourmets an. Die Produktionsstätten bekannter Sorten wie Appenzeller, Emmentaler, Gruyère betreiben eigene Schaukäsereien, wo man die Produktion live verfolgen kann. Das Emmental hat seinem Hauptprodukt sogar einen eigenen Radweg gewidmet, den Käsefans auf zwei Routen entlangradeln und wo sie sich an diversen Stationen informieren können.

Lokaler Käse, nur vor Ort zu haben

Die Käsevielfalt der Schweiz erklärt sich auch dadurch, dass fast jedes Tal seinen eigenen Mutschli produziert – lokalen Käse, der oft nur direkt vor Ort oder im Dorfladen zu bekommen ist. Der Geschmack des kleinen Halbhartkäses variiert erheblich, zumal manche mit Kräutern oder Gewürzen versetzt sind. Verlässlich pur daher kommt hingegen der Sbrinz aus der Innerschweiz. Der Hartkäse, einer der ältesten Europas, wird allein aus Rohmilch, Lab, Käsekulturen und viel Salz hergestellt.

Darin ähnelt er dem italienischen Parmesan, der aus der Gegend von Parma stammt. Der Montasio wiederum stammt von der gleichnamigen Hochebene in der Region Friaul–Julisch Venetien, wird aber auch in den Provinzen Treviso und Belluno hergestellt. Italienische Käsenamen klingen meist nach Belcanto, man lasse sich nur Ragusano, Scamorza, Taleggio auf der Zunge zergehen.

Oder gleich den Bel Paese, 1906 vom Firmengründer Egidio Galbani ersonnen: Der milde Käse wurde nach der poetischen Bezeichnung für ganz Italien benannt, dem „schönen Land“ (Bel Paese). Wer es lieber würzig mag: Im Trentino bietet die Käsestraße der Dolomiten kräftige lokale Spezialitäten wie Nostrano, geräucherten Ricotta oder Tosèla, einen Molke-Käse.

Weiter geht die Reise nach Anatolien. In der Provinz Kars überrascht der Gravyer, der an einen würzigen Emmentaler erinnert. Tatsächlich ist er das Erbe eines Schweizers aus dem Greyezerland im Kanton Freiburg, Heimat des Gruyère. Aber wie kam der nach Anatolien? Von 1878 bis 1918 gehörte die Region um Kars zum russischen Zarenreich. Zur Modernisierung der Landwirtschaft holte der Zar Fachkräfte aus Europa dorthin, die die Milchwirtschaft aufbauten, darunter Schweizer Käsemeister.

Auch andere Länder haben schöne Käse, etwa England mit seinem Cheddar aus dem gleichnamigen Dorf im Südwesten. Oder Spaniens Queso Manchego. Er stammt aus La Mancha in Zentralspanien, der Heimat Don Quijotes. Tschechien hat seinen Olmützer Quargel aus Olmütz in Mähren. Wohingegen der Liptauer, ein in Österreich beliebter Streichkäse mit Paprika und Kümmel, Wurzeln in der Slowakei, Ungarn und Österreich hat. Benannt ist die Spezialität nach der Liptau (Liptov) in der heutigen Slowakei, die neben Käse für die Burgruine Liptau bekannt ist.

Käsestraßen zwischen Nordsee und Alpen

Eine Reise nach Tilsit ist hingegen schwierig. Die ostpreußische Stadt an der Memel heißt seit 1946 Sowetsk und liegt in dem zu Russland gehörenden Gebiet Kaliningrad. Der nach der Stadt benannte Tilsiter wurde dort schon unter der Herrschaft des Deutschen Ordens hergestellt. Wegen des Ukrainekriegs rät das Auswärtige Amt jedoch dringend von Russlandreisen ab. Erfreulicherweise lässt sich eine Tilsiter-Reise auch in Schleswig-Holstein erleben, wo er seit gut 100 Jahren nach Originalrezept hergestellt wird.

Überhaupt zählt das Küstenland zu den wichtigsten deutschen Käseregionen. Auf der Käsestraße Schleswig-Holstein laden 30 Käsereien zum Verkosten von über 100 Sorten ein, darunter Holsteiner Tilsiter, Blauschimmelspezialitäten sowie Alter Friese. Im Süden lockt die Allgäuer Käsestraße mit 13 Heumilch-Sennereien und fünf Hofkäsereien, die Bergkäse und Huigartekäs produzieren.

Ein paar Täler weiter in Österreich lohnt sich die Käsestraße Bregenzerwald mit zwölf Tal- und 38 Bergsennereien. Man kann sie einzeln abklappern oder probiert sich durch den Bregenzerwälder Käsekeller in Lingenau, Europas größtes Reifezentrum für Alp- und Bergkäse, wo gut 50.000 Laibe lagern.

Vergeblich bleibt jedoch die Suche nach dem Dorf Obazd, so bayerisch das auch klingt. Der Biergartensnack Obazda besteht nämlich aus Käseresten, meist vom Camembert (aus dem Dorf in Frankreich), die man mit Butter, Zwiebeln und Paprika in einer Schüssel zusammenstampft. Eben obazd.

Tipps und Informationen:

Käsestraßen in Frankreich: france.fr/de/artikel/kaesestrassen-frankreich

Gouda-Erlebniswelt in den Niederlanden: goudacheese-experience.com/de

Italiens Käsestraße der Dolomiten im Trentino: sanmartino.com/DE/stradadeiformaggiDE

Schaukäsereien in der Schweiz: schweizerkaese.ch/storyroom/herstellung/schaukaesereien

Radweg Emmentaler Käseroute: kaeseroute.ch

Käsestraße Bregenzerwald: kaesestrasse.at

Käsestraße Schleswig-Holstein: kaesestrasse.sh

Allgäuer Käsestraße: allgäuer-käsestrasse.de

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