Da drüben, das ist Afrika. So nah? Fast ehrfürchtig schaut die Wandergruppe über den Meerstreifen. Nur 14 Kilometer trennen hier Spanien von Marokko. Man erkennt im Dunst die Küstenlinie, aus den Wolken ragt eine Bergkuppe heraus: Jebel Musa. Die höchste Erhebung des Rif-Gebirges – und eine der Säulen des Herakles. Die andere Säule stellte der antike Superheld auf der europäischen Seite auf: den Felsen von Gibraltar, nur wenige Autominuten von unserem Aussichtspunkt entfernt.

Mit den beiden Säulen markierte Herakles das Ende der Welt. Und ließ hier, wo das Mittelmeer in den Atlantik fließt, ein Stoppschild anbringen: „Non plus ultra“, hier geht es nicht weiter.

Gehalten hat sich außer den Göttern des Olymp freilich niemand dran, weder Meer noch Wind, weder Fische noch Zugvögel und auch nicht die Menschen. An dieser mythischen Meerenge, der Straße von Gibraltar, ist alles in Bewegung. Ein unaufhaltsames Hin und Her zwischen Nord und Süd, Ost und West. Weshalb es schade wäre, den Urlaub an der andalusischen Atlantikküste nur auf dem Badetuch zu verbringen. Wer es schafft, auf ein, zwei Strandtage zu verzichten und sich in Gang zu setzen, kann vieles entdecken.

Zugegeben, es fällt nicht leicht, sich vom Strand zu trennen. Die Costa de la Luz heißt nicht nur so, diese Küste sieht tatsächlich aus, als ob sie aus Licht bestünde. Am Strand des früheren Fischer- und heutigen Badeorts Conil de la Frontera kann man den Himmel auf Erden finden, im Wortsinn: An der schier endlosen Uferlinie laufen die Wellen weit aus, der nasse Sand reflektiert das gleißende Licht, die Grenzen verschwimmen. Himmel, Wasser, Erde, alles leuchtet. Ausgerechnet im Frühling, Frühsommer und Herbst, zur besten Wanderzeit, ist die Brandung besonders herrlich.

Wer sich also gar nicht vom Strand lösen mag, kann auch hier laufen. Elf Kilometer geht es Richtung Osten immer am Wasser entlang bis zum Leuchtturm am berüchtigten Kap von Trafalgar – berüchtigt jedenfalls aus Sicht der Spanier. Bescherten doch die Briten 1805 der französisch-spanischen Seeflotte dort eine verheerende Niederlage. Und die Spanier, die einst aus dem Stopp des Herakles das „non“ gestrichen und unter dem Schlachtruf „plus ultra – immer weiter“ nichts weniger als eine neue Welt erobert hatten, büßten für immer ihren Ruf als Seemacht ein.

Überall erstaunliches Blühen

Weniger beschwerlich als durch weichen Ufersand zu stapfen ist es, von Los Caños de Meca aus zu wandern. Auf der bis zu 100 Meter hohen Steilküste mit gutem Blick auf den Trafalgar-Leuchtturm führt ein markierter Weg zur Playa Hierbabuena, dem Minze-Strand in Barbate. Pinien, Zwergpalmen, Wacholderbüsche und überall dazwischen ein erstaunliches Blühen – Blau, Gelb und Violett in allen Schattierungen. Schon auf der Fahrt hierher haben die grünen Felder und Blumenwiesen überrascht. Ist das noch das von Versteppung bedrohte Andalusien?

Wer die Einheimischen fragt, hört vor allem Erleichterung: Die Stauseen in den Bergen seien endlich wieder voller, „die sieben Wochen Regen im Frühjahr haben sich ausgezahlt“. Wasserrationierungen, wie sie im vergangenen Jahr (am Ende des Sommers, als die Touristen weg waren) mancherorts verhängt wurden, müsse man nun wohl nicht befürchten.

In Los Caños de Meca allerdings versiegen die Quellen fast nie. An vielen Stellen in den Kalksteinklippen, eben den Caños, tritt Süßwasser aus. Zwar nur in dünnen Rinnsalen, doch schon die Araber, die 711 die Straße von Gibraltar von Afrika aus überquerten und in wenigen Jahren die iberische Halbinsel eroberten, wussten dieses Wasserwunder zu schätzen. Vielleicht nannten sie den Mini-Ort deshalb nach ihrer heiligen Stadt Mekka.

Der Süden Andalusiens stand am längsten unter maurischer Herrschaft. Erst 1492 fiel das Königreich von Granada an die katholischen Könige. Der Beiname „de la Frontera“, den Conil und einige andere der verwinkelten Dörfer hier tragen, stammt aus jener Zeit: Sie lagen in dem von Arabern und Christen umkämpften Grenzgebiet.

Noch weiter zurück in die Vergangenheit reicht die „Almadraba“. So heißt hier die uralte Methode des Thunfischfangs, die bereits die Phönizier vor rund drei Jahrtausenden in der Straße von Gibraltar praktiziert haben. Die Tradition hat sich bis heute gehalten, in Form eines merkwürdigen Gevierts aus Holzkähnen und Bojen auf dem Meer – auf den ersten Blick sieht es so aus, als solle ein Schwimmbecken abgesperrt werden. Doch hier geht es nicht um Sport, sondern um die Jagd auf den begehrten Fisch.

Frühe Methode nachhaltigen Fischfangs

Jedes Frühjahr ziehen Schwärme des Roten Thuns zum Laichen vom Atlantik ins wärmere Mittelmeer. Und im Herbst kehren sie mit den Jungtieren zurück in den Atlantik. Weshalb die Fischer von Conil, Barbate und anderen Orten von April bis Juni und dann wieder im Herbst mit ihren Netzen ausrücken. Es sind keine herkömmlichen Fischernetze.

Was die Fischer mit Ankern auf dem Meeresgrund befestigen, sieht aus wie eine gigantische Makramee-Arbeit. An einem Modell im schönen Thunfisch-Museum in Conil kann man es in Ruhe studieren: ein ausgeklügeltes System mit mehreren Eingängen und Abzweigungen, aus dem die dicken Thunfische nicht mehr herausfinden – während kleinere Fische durch die Maschen entkommen. Eine frühe Methode nachhaltigen Fischfangs, der die Araber den Namen „Almadraba“ gaben, „der Ort, an dem geschlagen wird“.

Was das bedeutete, sieht man auf den Bildern, die in manchen Restaurants in Conil hängen: Fischer, die auf die sich im Netz aufbäumenden Fische einschlagen, während das Meer sich blutrot färbt. Heute erledigen das Taucher mit einem Bolzenschuss – die japanischen Abnehmer, die 90 Prozent des Fangs aufkaufen, wollen den Fisch so unbeschädigt wie möglich.

Auch in Tarifa, der südlichsten Stadt Europas, kann man sich entscheiden: Meer oder Berge. Am Hafen legen Fähren nach Marokko ab und Boote zum Whalewatching – sieben verschiedene Wal- und Delfinarten leben in der Straße von Gibraltar. Und das trotz der 300 Handelsschiffe, die sie täglich passieren. Plus der Boote, mit denen Schmuggler, Flüchtlinge und die beide verfolgenden Küstenwachen unterwegs sind.

Was Herkules einst für das Ende der Welt hielt, ist heute eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Erde. Und eine beliebte Route für Langstreckenkrauler, die „Straits of Gibraltar“ gehört zu den Ocean’s Seven, der weltweiten Herausforderung für Freiwasserschwimmer. Dass es im kleinen Tarifa neben Fischrestaurants auch hippe Bars gibt, liegt an der internationalen Surferszene, die sich an den windumtosten Stränden trifft.

Stiller wird es, wenn man ins Hinterland hinauffährt und sich auf einen der grünen Wege im Naturpark Los Alcornocales begibt. Weit kann man hier wandern, tagelang, bis nach Ronda und in die einsame Sierra de Grazalema mit ihren wie auf Felsen klebenden weißen Dörfern. Diesmal geht es nur bis zum Río Guadalmesí, einem von Korkeichen und Lorbeerbäumen umstandenen Flüsschen. Sein Wasser sammelt sich in ausgewaschenen Felsen zu verlockenden Planschbecken.

Massenstarts bei günstigen Winden

Die Winde aus Ost und West, die an der Schwelle von Mittelmeer und Atlantik zusammentreffen, sorgen für ein eigenes Mikroklima, es ist feuchter und kühler als anderswo an der Küste, sagt Wanderführer Victor Porras. Der es übrigens gar nicht so still hier findet. Immer wieder hält er inne und hört dem Wald zu, beziehungsweise seinen Bewohnern: Da trällert eine Nachtigall, dort ertönt der Warnruf eines Sommergoldhähnchens – „der kleinste Vogel Europas“, setzt Porras nach. Allein am Flussufer leben rund hundert Vogelarten.

Porras kennt sie alle, er ist Ornithologe, organisiert Exkursionen für Birdwatcher und hat gerade einen übervollen Terminkalender. Denn im Frühjahr und Frühsommer sowie im Herbst wird die Meeresenge von der mit Abstand größten Migrantengruppe überwunden: 30 Millionen Zugvögel wechseln hier den Kontinent.

Immer wieder lenkt Porras die Blicke seiner Gruppe gen Himmel: „Da, ein Adler. Und da hinten kreist ein Geier, der sucht Futter.“ Auf dem marokkanischen Musa-Berg gibt es eine Beobachtungsstation, die meldet nach Tarifa, wenn sich eine größere Gruppe in Bewegung setzt. Gerade Greifvögel brauchen bestimmte thermische Bedingungen, um im Segelflug die 14 Kilometer übers Wasser zu schaffen. Weshalb es bei günstigen Winden zu Massenstarts komme, erzählt Porras: „Einmal haben sich 25.000 Wespenbussarde gleichzeitig auf den Weg gemacht.“

Das unablässige Wehen dient auch den Windrädern, die oberhalb von Tarifa Spalier stehen. Dass ausgerechnet in der Einflugschneise von Millionen von Zugvögeln der größte Windpark der Provinz Cádiz errichtet wurde, lässt Porras nur den Kopf schütteln. Immerhin sind die Anlagenbetreiber mittlerweile verpflichtet, jede Turbine abzustellen, der sich ein Vogelschwarm nähert.

Die Firma, für die Porras arbeitet, bildet für die Windparks Vogelbeobachter aus, die in der Lage sind zu erkennen, wann es für die Tiere gefährlich wird – und für den Windpark teuer. Ein durch Rotoren geschredderter Greifvogel kann leicht bis zu 150.000 Euro Strafe kosten. Das Monitoringsystem scheint sich zu bewähren, die Kollisionsfälle sollen um 80 Prozent zurückgegangen sein.

Auf dem Rückweg nach Conil geht der Blick durch die Wagenfenster abermals zum Himmel. Ist das da oben nicht ein Falke? Oder ein Milan? Die Windräder auf den Hügeln ringsum scheinen in Zahl und Größe irgendwie zugenommen zu haben. Auf einem Feld fliegt ein Storchenpaar auf. Seid bloß vorsichtig.

Am Abend zurück am Strand, in einem der wassernahen Restaurants. Auf dem Teller Tatar vom Roten Thunfisch, auf dem Meer die letzten Sonnenstrahlen. Als es dunkel wird, leuchtet im Osten ein Licht auf. Der Leuchtturm von Trafalgar hat seine Arbeit begonnen.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Von allen größeren deutschen Flughäfen gibt es Direktflüge nach Málaga (200 Kilometer von Conil entfernt). Nur 60 Kilometer entfernt liegt Jerez de la Frontera, das aber nur von wenigen deutschen Flughäfen direkt angeflogen wird. Es empfiehlt sich, vor Ort ein Mietauto zu nehmen, Conil de la Frontera ist an das öffentliche Verkehrsnetz schlecht angebunden.

Wo wohnt man gut? „Cortijo Fontanilla“ in Conil de la Frontera, Studios und Apartments in der strandnahen Anlage mit Pool und Parkplatz kosten ab 114 Euro pro Nacht, je nach Jahreszeit müssen drei Nächte Mindestaufenthalt gebucht werden (cortijofontanilla.com/de/). Im selben Ort wohnt man schön im „Hotel Almadraba Conil“, ehemaliges Herrenhaus in der Altstadt im andalusischen Stil mit blumengeschmückten Innenhöfen und Dachterrasse, DZ ab 99 Euro (hotelalmadrabaconil.com).

Wandertipps: Der Rundweg bei Caños de Meca (rund 13 Kilometer) beginnt dort am Parkplatz und ist gut ausgeschildert. Der Weg führt durch den Naturpark La Breña y Marismas del Barbate und ist Teil des noch im Entstehen begriffenen europäischen Wanderwegs GR 145 „Arco Atlántico“. Der Wanderweg zum Río Guadalmesí bei Tarifa (SL-A 30) ist knapp sieben Kilometer lang und verlangt am Flussufer Trittsicherheit. Durch den Naturpark Los Alcornocales führen zahlreiche Routen. Im Sommer werden einige aus Brandschutzgründen gesperrt. Schöne Wandervorschläge für die Provinz Cádiz auch unter alltrails.com/de/spain/cadiz.

Weitere Infos: spain.info; turismoconil.es/de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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