Ein Fünftel hinter ihr: Kann man die AfD noch verbieten?
Inhalt des Artikels:
- Unterschiedliche Ansichten zum AfD-Verbot
- Spitzenpolitik gespalten
- Der AfD-Protestwähler ist längst ein Mythos
- Brandmauern funktionieren oft nicht
- Pro und Contra eines AfD-Verbots
- "Masterplan Remigration" – eine brisante Enthüllung
Unterschiedliche Ansichten zum AfD-Verbot
Seit der – inzwischen ruhenden – Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ebbt die Debatte über deren Verbot nicht ab. Die Angelegenheit spaltet die Deutschen. Einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts Ipsos zufolge befürworten 46 Prozent ein solches Verfahren – 44 Prozent lehnen es dagegen ab.
Dabei variieren die Ergebnisse je nach Region, Geschlecht und Alter der Befragten. So sind in Westdeutschland 50 Prozent der Befragten dafür, in Ostdeutschland dagegen nur 32 Prozent. Frauen plädieren etwas häufiger für ein Verbotsverfahren (50 Prozent) als Männer (42 Prozent). Auch jüngere Befragte bis 39 Jahre würden einen solchen Schritt häufiger begrüßen (54 Prozent) als Menschen mittleren und höheren Alters (41 bzw. 44 Prozent).

Spitzenpolitik gespalten
Genauso gespalten wie bei den Bürgern zeigt sich das Meinungsspektrum der deutschen Spitzenpolitiker. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) äußerte sich in einem Interview mit der "Zeit" skeptisch: "Das riecht mir zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung".
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, "man muss die AfD nicht wegverbieten, man muss sie wegregieren.“ Ähnlich äußerte sich Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU). Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zeigte sich dagegen offen für ein AfD-Verbotsverfahren, während die Grünen im Bundestag auf einem Verbotsverfahren beharren.
Der AfD-Protestwähler ist längst ein Mythos
Doch kann man eine Partei, die bundesweit rund ein Fünftel der Wähler hinter sich weiß, überhaupt noch verbieten? Zumal Rechtsextremismusforscher wie Matthias Quent seit Langem darauf verweisen, dass die AfD-Erfolge nicht allein auf Protest oder den wirtschaftlichen Niedergang von Gemeinden und Regionen zurückzuführen sind, sondern die politischen Einstellungen vieler Wähler widerspiegeln. Mehrere sozialwissenschaftliche Studien zeigten, dass die Partei weit über klassische rechtsradikale Milieus hinaus in der Gesellschaft etabliert sei, so Quent. Es gebe einen durchaus größeren Teil der Bevölkerung, der rassistisch eingestellt sei, auf männliche Privilegien bestehe und sich von Emanzipation und Gleichberechtigung bedroht fühle.
Brandmauern funktionieren oft nicht
In den vergangenen Jahren habe zudem eine Normalisierung der AfD stattgefunden, eine Gewöhnung an rechtsextreme Strukturen und Narrative. Das belegt laut Quent auch die Brüchigkeit der so genannten Brandmauer auf kommunaler Ebene. "Eine Brandmauer gibt es vielerorts schlicht und einfach nicht", sagte der Soziologe MDR SACHSEN-ANHALT nach den Kommunalwahlen in dem Bundesland im vergangenen Jahr. Es werde gemeinsam abgestimmt, gemeinsame Ziele, abseits der rechtsextremen Ziele, würden gemeinsam verfolgt. Die Vertreterinnen und Vertreter der AfD seien Nachbarn, Bekannte, in der Zivilgesellschaft aktive und geschätzte Personen, gegen die man persönlich oft nicht sagen könne. "Das ist so eine Normalisierung von unten", so der Soziologe.

Befördert wird diese Normalisierung Quent zufolge auch dadurch, dass andere Parteien rechte Positionen, Narrative und Themen übernehmen in dem Bestreben, der AfD das Wasser abzugraben und Wähler zurückgewinnen. Daten und Fakten aus Deutschland und anderen Ländern zeigten aber, dass dies in aller Regel nicht funktioniere. Stattdessen stärke und legitimiere dieses Vorgehen die AfD, weil es bei den Wählern den Eindruck erwecke, dass die Partei eigentlich Recht habe.
Pro und Contra eines AfD-Verbots
Diese breite Verankerung in weiten Teilen der Gesellschaft wird oft als Argument gegen ein AfD-Verbotsverfahren genannt – die Partei sei zu groß, ihre Anhänger würden nach einem Verbot nicht verschwinden, die von der Partei vertretenen Anschauungen wären nicht aus der Welt. Ehemaligen AfD-Mitgliedern und Unterstützern stünde es frei, neue politische Gruppierungen zu gründen, die ähnliche Ziele verfolgen. Ein Verbot würde der deutschen Demokratie demnach nur eine kurze Verschnaufpause im Kampf gegen Rechtsextremismus gewähren – solange, wie die neuen Strukturen noch nicht erstarkt und im öffentlichen Diskurs bundesweit noch präsent sind.
Außerdem könnte ein Parteiverbot als autoritäre Maßnahme wahrgenommen werden könnte, die den politischen Diskurs und die Meinungsfreiheit einschränkt. Es könnte das Gefühl vieler AfD-Wähler verstärken, dass ihre politischen Präferenzen nicht respektiert und sie politisch nicht angemessen repräsentiert würden. Zunehmende Demokratieverdrossenheit und eine weitere Entfremdung von Positionen der politischen Mitte wären die Folgen. Die AfD könnte das Verbot dann nutzen, um sich als Märtyrerin der Meinungsfreiheit zu inszenieren und ihre Unterstützer weiter zu mobilisieren.

Nicht zuletzt ist unklar, ob die Partei nach Abschluss eines mehrjährigen Parteiverbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht überhaupt verboten würde. Denn die verfassungsrechtlichen Hürden sind hoch: Trotz vieler eindeutig rechtsextremer Aussagen einzelner Mitglieder müsste dafür auch bewiesen werden, dass die Partei selbst gegen die Werte der Verfassung gerichtet sei.
Verbotsgegner plädieren daher für andere Lösungen – eine klare, politisch überzeugende Auseinandersetzung mit den Ursachen des AfD-Aufstiegs: sozialen Ängsten, Demokratieverdrossenheit, Vertrauensverlust in Institutionen, ungelösten Integrationsfragen. Darauf beziehen sich etwa Unions-Politiker wie Bundesinnenminister Dobrindt, der die AfD lieber "wegregieren" als verbieten möchte.
Befürworter eines AfD-Verbotsverfahrens argumentieren dagegen, dass ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus und für die Verteidigung der Demokratie nötig sei – und dies eine der letzten Gelegenheiten zur Gegenwehr sei, bevor es zu spät ist.
Die Rufe nach der Einleitung eines Verbotsverfahrens waren lauter geworden, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD Anfang Mai zur "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung" hochgestuft hatte. Dagegen setzt sich die Partei mit einem Eilantrag zur Wehr. Bis zu einer Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts Köln legt der Inlandsgeheimdienst seine neue Einstufung auf Eis und führt die AfD vorerst weiterhin nur als sogenannten Verdachtsfall.
"Masterplan Remigration" – eine brisante Enthüllung
Die Forderung, die AfD zu verbieten, ist allerdings nicht neu und wurde in der Vergangenheit immer wieder erhoben – unter anderem nach dem vielbeachteten Geheimtreffen rechter Vordenker, konservativer Politiker und Unternehmer im Landhaus Adlon in Potsdam, bei dem ein "Masterplan für die Remigration" vorgestellt wurde – die millionenfache Aussiedlung von Menschen mit Migrationshintergrund, auch solcher, die seit Jahren deutsche Staatsbürger sind.
Dieses Treffen wird auch im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes erwähnt, der Belege für die rechtsextremistischen Bestrebungen der AfD zusammenträgt. Aufgedeckt wurde es vom Medienhaus Correctiv. Die Enthüllung schlug im Winter 2024 große Wellen, Millionen Menschen gingen aus Protest auf die Straße – es wurden die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik. Deutschland diskutierte über ein Wort, das bis dahin kaum jemand kannte: "Remigration".
Der ARD-Dokumentarfilm "Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen" zeichnet die verdeckte Arbeit von Correctiv-Journalisten nach. Er rekonstruiert, was genau in Potsdam besprochen wurde, wer von der AfD und anderen Parteien am Treffen teilnahm – und wie eine radikale Idee in kurzer Zeit in zuvor bürgerlichen Milieus Anhänger finden konnte.
Der Dokumentarfilm "Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen" wird am Mittwoch, 28.05.2025, um 20.15 Uhr im MDR Fernsehen ausgestrahlt.
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