Vor einer Woche hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Treffen mit dem australischen Premierminister Anthony Albanese in Rom ein überraschendes Thema auf die Agenda gesetzt: Neben einer Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen könnte auch ein Verteidigungs- und Sicherheitsabkommen zwischen der Europäischen Union und Australien entstehen. Ein solches Abkommen wäre vergleichbar mit jenen, die Brüssel bereits mit Südkorea und Japan abgeschlossen hat oder aktuell mit dem Vereinigten Königreich.

Von der Leyen sprach angesichts der „massiv gestiegenen“ geopolitischen Spannungen von einer „neuen Ära“ in den Beziehungen zwischen Europa und Australien. Für Beobachter ist klar: Der zunehmende sicherheitspolitische Schulterschluss ist Teil einer breiteren Strategie beider Partner, in einer zunehmend konfrontativen Weltlage enger zusammenzuarbeiten – insbesondere mit Blick auf den Indopazifik.

Australien selbst ist seit Jahren darum bemüht, seine sicherheitspolitischen Beziehungen zu erweitern. Im vergangenen Jahr etwa hat Canberra die Zusammenarbeit mit Japan deutlich intensiviert. Tokio soll langfristig Teil des AUKUS-Pakts werden – eines sicherheitspolitischen Bündnisses zwischen Australien, Großbritannien und den USA, das unter anderem die Entwicklung von nuklear betriebenen U-Booten für Australien vorsieht. Ziel ist es, ein Gegengewicht zu autoritären Staaten wie China und Nordkorea im Indopazifik zu bilden.

Denn vor allem China agiert zunehmend aggressiv in der Region: Im Südchinesischen Meer hat die Volksrepublik künstliche Inseln mit Flugplätzen und Raketenstellungen errichtet und provoziert regelmäßig Zwischenfälle mit Schiffen und Flugzeugen anderer Staaten.

Chinas Marine ist mittlerweile die größte der Welt – und wächst weiter. Laut eines Pentagon-Berichts aus dem vergangenen Jahr wird sie bis 2030 rund 435 Schiffe und laut Expertenschätzungen 110 U-Boote umfassen. Zudem plant Peking offenbar, sein Arsenal an Atomsprengköpfen in den kommenden Jahren auf mehr als 1000 zu verdoppeln.

Auch Australien und sein Nachbar Neuseeland sehen sich zunehmend direkt mit Chinas Militärmacht konfrontiert. Anfang 2025 führte die chinesische Marine erstmals scharfe Manöver in den internationalen Gewässern zwischen den beiden Staaten durch – mit hochgerüsteten Schiffen. Das löste deutliche Irritationen aus. Ein Kommentator der Nachrichtenplattform News.com.au schrieb damals, von der Position der chinesischen Flottille aus hätte man „theoretisch Canberra und Sydney in weniger als einer Stunde zerstören können“.

Australien verfolgt daher das Ziel, einen „freien und offenen Indopazifik“ zu sichern – ein Begriff, den der frühere japanische Premier Shinzo Abe geprägt hat. Die australische Regierung hat diese Ausrichtung zuletzt in ihrer nationalen Verteidigungsstrategie vom April 2024 unterstrichen. Auch die EU bekennt sich zu diesem Konzept – sie veröffentlichte bereits 2021 ihre eigene „Indo-Pacific Strategy“ mit dem Ziel, Stabilität, Partnerschaften und die regelbasierte Ordnung in der Region zu stärken.

„Deutschland und die EU sehen Australien trotz der geografischen Distanz als strategisch wichtigen Wertepartner im Indopazifik“, sagt Beate Grzeski, die deutsche Botschafterin in Australien. Geopolitische Spannungen würden die regelbasierte Ordnung in der Region gefährden und globale Lieferketten unter Druck setzen. „Wir haben daher ein entscheidendes geopolitisches und wirtschaftliches Interesse an Stabilität und Sicherheit in der Region.“

Australien wird zum Frontstaat

„Geografie bedeutet heute keine strategische Isolation mehr“, betont auch Malcolm Davis, leitender Analyst für Verteidigungsstrategie beim australischen Thinktank ASPI. In vielerlei Hinsicht sei Australien ein „Frontstaat im Großmachtwettbewerb des 21. Jahrhunderts“. Es liege im europäischen Interesse, so Davis, diese Position anzuerkennen und durch stärkere Partnerschaften zur Abschreckung beizutragen – anstatt sich sicherheitspolitisch auf Europa zu beschränken.

Umgekehrt könne ein europäisch-australisches Sicherheitsabkommen aber auch Canberra neue Handlungsspielräume eröffnen – etwa bei der gemeinsamen Verteidigungsplanung, beim Austausch von Geheimdienstinformationen und bei der militärischen Fähigkeitsentwicklung.

„Tatsächlich wünscht sich Australien, dass Europa sich stärker für die Sicherheit im Pazifik engagiert“, sagt Robert Potter vom ANU Centre for European Studies in Canberra. Russland sei langfristig eine geringere Herausforderung als China. „Eine Situation, in der die USA Europa und Europa Asien im Stich ließe, hätte negative Sicherheitsfolgen für Australien.“

Ein neues Abkommen würde gut in bestehende Strukturen passen, findet Analyst Davis: etwa in Australiens Beteiligung an der Nato-IP4-Initiative (Nato plus Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea) sowie in bilaterale Verteidigungspartnerschaften mit europäischen Staaten. Italien und Spanien trainieren mit ihren Streitkräften regelmäßig im nordaustralischen Darwin, Frankreich und Deutschland unterhalten bereits strategische Beziehungen zu Australien und nehmen ebenfalls an gemeinsamen Militärübungen wie Talisman Sabre, Pitch Black oder Pacific Skies teil.

Die Achse der autoritären Staaten

„Ein Sicherheits- und Verteidigungsabkommen mit Australien wäre Ausdruck eines politischen Willens zur engeren Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie zur Absicherung globaler Lieferketten im Indopazifik“, so die deutsche Botschafterin Grzeski. Es liege aber natürlich an der EU und Australien, ein solches Abkommen weiter zu diskutieren und gegebenenfalls zu verhandeln.

„Wir stehen vor einem globalen strategischen Umfeld, das bedrohlicher ist als jemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, warnt Davis. Er spricht von einer „Achse autoritärer Staaten – China, Russland, Nordkorea, Iran – die westliche Demokratien herausfordert“. Für Europa bestehe dabei nicht nur eine direkte Bedrohung durch Russland, sondern auch eine indirekte durch Chinas Aufstieg. Eine engere Kooperation mit Australien könne dabei helfen, Letztere besser einzuhegen.

Die ideologische Nähe Australiens zu Europa zeigt sich auch darin, wie eng das Land militärisch schon heute mit europäischen Staaten kooperiert. So exportiert Canberra unter anderem Bushmaster-Fahrzeuge in die Niederlande und die Ukraine und liefert Panzer vom Typ Boxer nach Deutschland. Zudem wurde jüngst ein Abkommen mit dem norwegischen Rüstungskonzern Kongsberg unterzeichnet, um Joint Strike- und Naval Strike-Raketen künftig in Australien herzustellen.

„Die EU sieht in Australien einen verlässlichen, wertebasierten Partner mit regionaler Reichweite und operativer Erfahrung“, sagt Chris Mills, Direktor des Defence Research Institute der University of New South Wales in Sydney. Damit sei Canberra ein idealer Partner, um Europas Engagement im Indopazifik zu vertiefen und zur globalen Sicherheitsarchitektur beizutragen.

Premierminister Albanese selbst reagierte nach dem Treffen mit Ursula von der Leyen allerdings zurückhaltend: Man solle den Äußerungen „nicht allzu viel Bedeutung beimessen“, sagte er. Verteidigungsminister Richard Marles kündigte in einem Fernsehinterview mit dem Sender Sky News immerhin an, Canberra werde das Gespräch mit der EU „intensivieren“.

Für Experten sind diese Reaktionen keine Absage, sondern typisch australische Vorsicht. „Zurückhaltung bedeutet nicht Ablehnung, sondern sorgfältige Prüfung“, sagt Chris Mills. Auch der Experte Potter betont: Die verhaltene Reaktion sei eher dem Überraschungsmoment geschuldet – es habe schlicht noch keine interne Debatte darüber gegeben.

Zudem, so Davis, spielten industriepolitische Erwägungen eine Rolle: Die deutsche Rüstungsfirma Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) konkurriert derzeit mit einem japanischen Anbieter um einen milliardenschweren Auftrag zur Lieferung von elf Fregatten im Rahmen des australischen SEA-3000-Programms. Albanese wolle vermeiden, den Eindruck zu erwecken, politische Entwicklungen könnten diese Entscheidung beeinflussen.

Letztlich, so Mills, komme es ohnehin weniger auf Symbolik an, sondern auf praktische Inhalte: Wenn sich ein EU-Australien-Abkommen auf gemeinsame Werte, strategische Interessen und konkrete Resultate stütze, könne es „einen wertvollen Beitrag zur komplexer werdenden Sicherheitslage im Indopazifik leisten“. Voraussetzung sei allerdings ein realistisches Erwartungsmanagement auf beiden Seiten.

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