Nach Trumps Rückzieher im Handelskrieg hat China weiterhin ein langfristiges Ziel im Blick
Donald Trumps drastische China-Zölle sind vorerst auf Eis gelegt. Die Wall Street jubelt, Unternehmen und Einzelhändler atmen auf. Ist der Handelskrieg vorbei? Keineswegs. Die Zölle sind lediglich für 90 Tage ausgesetzt – und das auch nur für bestimmte Sonderabgaben. Die Grundzölle bleiben bestehen. Gleichzeitig eskaliert der Streit um strategische Technologien, angeführt vom US-Verbot für Huawei-Chips.
Peking kontert mit Gegenzöllen, Exportkontrollen und gezielter Diplomatie in Südostasien, um dort wirtschaftliche Allianzen zu festigen. China sieht Washington in der Defensive: Die USA lenkten unter dem Druck der eigenen Wirtschaft ein, während China seine Position gehalten und nun klug ausgebaut habe. Der Handelskrieg ist nicht vorbei – er wird nur mit feineren Mitteln und breiterer Front geführt.
In Genf einigten sich die USA und China auf eine vorübergehende Reduktion der Zölle, von über 100 auf etwa 30 Prozent für chinesische Produkte. Doch eine pauschale Abgabe von zehn Prozent auf chinesische Waren bleibt bestehen, dazu kommt ein Sonderaufschlag von 20 Prozent, den Washington mit dem Kampf gegen Fentanyl begründet.
Die reale Belastung chinesischer Waren liegt damit weiter bei etwa 40 Prozent. Das ist immer noch viel. Für US-Produkte, die nach China gehen, gelten vorübergehend reduzierte Zölle von rund zehn Prozent. Die Märkte atmen auf, aber substanzieller Fortschritt sieht anders aus.
Dass Donald Trump einer Zollpause zustimmte, werten Kommentatoren in Peking als Eingeständnis. Offiziell lobten chinesische Regierungsvertreter die gemeinsame Erklärung von Genf als „wichtigen Schritt zur Lösung von Differenzen durch gleichberechtigten Dialog“.
Zwar erklärte sich Peking nicht offen zum Sieger, doch der auffällige Verzicht auf aggressive Propaganda in sozialen Netzwerken spricht Bände. Die gegenseitigen Strafzölle hatten faktisch zu einem 39-tägigen Handelsstillstand geführt. Doch während Washington den Deal als Durchbruch feiert, ist man in Peking überzeugt, dass China den längeren Atem bewiesen hat.
In den USA sei der innenpolitische Druck zu groß geworden – nicht zuletzt mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf, der 2026 in den Vorwahlmodus übergeht. Trumps Handlungsspielraum schrumpft, sein außenpolitisches Narrativ mit China als Hauptfeind, den es um jeden Preis zu unterdrücken gilt, gerät ins Wanken.
Trotz Zollpause kämpfen beide Seiten mit anderen Mitteln weiter: Nur Tage nach der Einigung verhängte das chinesische Handelsministerium Antidumpingzölle auf technische Kunststoffe aus den USA, der EU, Japan und Taiwan – bis zu 74,9 Prozent. Am stärksten trifft es US-Produkte wie POM-Kunststoff, der in der Automobil- und Medizintechnik zum Einsatz kommt. Die Botschaft ist klar: China bleibt handlungsfähig – und setzt gezielt Nadelstiche.
Exportrestriktionen für Seltene Erden
Auch auf dem Feld der Technologie verschärft sich der Kurs. Die US-Sanktionen gegen Huaweis KI-Chips beantwortet Peking nicht nur mit scharfer Rhetorik, sondern mit konkreten Maßnahmen: Exportrestriktionen für Seltene Erden, Investitionen in die heimische Chip-Industrie, politische Rückendeckung für strategische Branchen.
In Washington wiederum rückt die Technologiefrage immer enger an die nationale Sicherheitsagenda heran. Der Schulterschluss zwischen Tech-Konzernen wie Nvidia, Microsoft und dem Weißen Haus ist längst Realität. Think-Tanks, Sicherheitsberater und Start-up-Gründer formen gemeinsam eine neue technopolitische Elite – ein komplexes Geflecht, das immer stärkeren Einfluss auf Gesetzgebung, Forschung und Außenpolitik ausübt.
Analysten wie Zhao Minghao von der Fudan-Universität in Shanghai sprechen bereits von einem „neuen Normalzustand“. Die Systemkonkurrenz wird zur technologischen Frage. Es geht nicht mehr um Prozentsätze, sondern um Souveränität.
Der geopolitische Schauplatz verlagert sich zudem nach Südostasien. Länder wie Vietnam, Malaysia und Kambodscha spielen als logistische Drehscheiben, Verteilungszentren und Ziel wirtschaftlicher Einflussnahme eine neue Rolle im Zollpoker. Die USA setzen diese Staaten unter Druck, chinesische Re-Exporte zu unterbinden. Doch Peking agiert schneller: Xi Jinping reiste Mitte April durch die Region, traf Staatschefs, unterzeichnete Infrastrukturabkommen, sicherte wirtschaftliche Kooperationen.
Auch auf multilateraler Ebene vergrößert sich Pekings Werkzeugkasten. Neue Sanktionsgesetze, schwarze Listen unzuverlässiger Unternehmen, Regulierungen für Daten- und Rohstoffflüsse: All das wird systematisch eingesetzt. Selbst, wo Exportverbote vorübergehend aufgehoben wurden, bleibt die politische Drohkulisse bestehen. Ein Strategiewechsel ist nicht in Sicht.
Trumps am 2. April verkündete „Befreiung“ der US-Wirtschaft durch neue Strafzölle wirkt schon wenige Wochen später brüchig. Die angekündigte strategische Entkopplung erweist sich als widersprüchlich und planlos. Zölle rauf, Zölle runter – so lässt sich die Dynamik der letzten Monate zusammenfassen. Für Unternehmen entsteht daraus vor allem eines: Unsicherheit.
Der Dollar verliert an Stabilität, globale Lieferketten geraten ins Schlingern. Die neue Handelsordnung, die Trump versprochen hat, existiert bisher nur als Worthülse. Die 90-Tage-Pause wirkt oberflächlich wie Entspannung. In Wahrheit ist sie nur ein taktischer Waffenstillstand. Die nächsten Schritte sind absehbar: neue US-Sanktionen, neue chinesische Gegenmaßnahmen, neue Routen der Umgehung.
Das Phase-One-Abkommen von 2020 wirkt aus heutiger Sicht wie ein Relikt aus einer anderen Ära. Es war als erster Schritt zur Deeskalation gedacht, beinhaltete chinesische Kaufzusagen und neue Regeln für geistiges Eigentum. Doch der Geist bilateraler Kooperation, den es verkörperte, hat im aktuellen Klima strategischer Rivalität keinen Platz mehr.
Christina zur Nedden berichtet im Auftrag von WELT seit 2022 aus Asien.
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