Seit Donnerstag ist Marcel Bauer bundesweit bekannt. Der neu gewählte Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion erschien in der Sitzung des Parlaments mit einer Baskenmütze – und wurde daraufhin von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) dazu aufgefordert, die Mütze abzusetzen oder den Saal zu verlassen. Er verließ den Saal. Wenig später erschien der 33-Jährige erneut – diesmal wurde er von Vizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) aus dem Plenarsaal verwiesen.

Am Freitag äußerte sich Bauer, der für den Wahlkreis Karlsruhe-Stadt im Bundestag sitzt, erstmals selbst öffentlich zu dem Vorfall. Er sei über den Ausschluss „überrascht“ gewesen. Bisher habe er an sämtlichen Sitzungen des neuen Bundestages mit Mütze teilgenommen, ohne dass dies zu Ordnungsmaßnahmen geführt habe.

„Es ist mir nach wie vor nicht begreiflich, warum das Tragen faschistischer Symbole wie der Kornblume durch die AfD nicht so sehr gegen die Würde des Hauses verstoßen haben sollte und entsprechend ungeahndet blieb. Erinnert sei auch an die heutige Ministerin Dorothee Bär, die mit Bayern-Trikot und den entsprechenden Werbebotschaften im Parlament nur gerügt wurde“, sagte er WELT. 2015 war CSU-Politikerin Bär tatsächlich mit Trikot im Bundestag erschienen.

Ein Sprecher des Bundestages teilte auf WELT-Anfrage mit: „Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, welche die amtierende Präsidentin oder der amtierende Präsident unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände im konkreten Einzelfall trifft.“ So habe es in der Vergangenheit auch bereits zeitlich begrenzt die Zulassung von Kopfbedeckungen aus medizinischen Gründen gegeben.

Aus der Hausordnung des Bundestages geht keine präzise Kleidervorschrift hervor. Dort heißt es lediglich: „Die Kleidung und das Verhalten müssen der Würde des Hauses entsprechen.“

Geht es nach der Union, hat das Präsidium des Bundestages richtig gehandelt. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Steffen Bilger (CDU) sagte, dass „Respekt nicht erst bei der Rede“, sondern bei der Kleidung beginne. „Bei dem Abgeordneten der Linksfraktion fehlt es offensichtlich am erforderlichen Respekt gegenüber dem Hohen Haus. Ich bin froh, dass Bundestagspräsidentin Klöckner und Vizepräsidentin Lindholz sofort durchgegriffen haben und von Anfang an deutlich machen, welche Regeln im Plenarsaal gelten.“

Bernd Baumann, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, fordert dagegen eine Anpassung der Kleiderordnung im Bundestag. „Was für gehobene Restaurants eine Selbstverständlichkeit ist – ein Dresscode – ist es für das Plenum des Bundestages allzu oft nicht.“ Die einzige Grenze, die es im Parlament gebe, sei die „Würde des Hauses“. „Wenn jeder Abgeordnete zu diesem Zweck zumindest ein Sakko tragen würde, wäre schon viel gewonnen. Eine Kleiderordnung, die Derartiges verbindlich festlegt und durchsetzt, wäre aus meiner Sicht daher tatsächlich hilfreich“, sagte Baumann.

Scharfe Kritik an Bauer kommt aus der SPD-Fraktion. Der parlamentarische Geschäftsführer Dirk Wiese sagte: „Der Deutsche Bundestag ist die Herzkammer unserer Demokratie. Gerade hier gilt es, die Würde des Hauses zu wahren. Wir Abgeordneten arbeiten für die Bürgerinnen und Bürger – und dies mit Respekt. Der Plenarsaal ist daher der falsche Ort für Badehose, Bikini oder Baskenmützen.“ Die Linksfraktion sowie die Grünen teilten WELT mit, sich nicht zur Thematik zu äußern.

Bundestagsvizepräsidentin Lindholz, verteidigte am Freitag auf WELT-Anfrage ihr Vorgehen, Bauer aus dem Parlament gebeten zu haben: „Das Absetzen von Mützen entspricht den Regeln des Anstandes und der Würde des Hauses. Sie ist geübte Praxis im Deutschen Bundestag, es sei denn, dies ist beispielsweise aus medizinischen Gründen angezeigt.“

„Schwerwiegender Eingriff“, sagt eine Staatsrechtlerin

Allerdings könnte das Präsidium mit seiner Maßnahme möglicherweise gegen die Verfassung verstoßen haben. Sophie Schönberger, Professorin für öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, erklärte WELT, dass ein Sitzungsausschluss ein „schwerwiegender Eingriff in die Abgeordnetenrechte“ sei. Dieser lasse sich nur dann rechtfertigen, wenn „Güter von Verfassungsrang“ geschützt würden. „Hier kann ich aber jedenfalls nicht erkennen, wie durch das Tragen einer Baskenmütze ein Gut von Verfassungsrang verletzt wird. Ich halte die Entscheidung daher für offensichtlich verfassungswidrig.“

Eine Präzisierung der Hausordnung könne das Problem nicht lösen, sagte Schönberger weiter. „Denn es steht dem Bundestag nicht frei, Kleidungsvorschriften zu machen. Auch die freie Wahl der Kleidung gehört grundsätzlich zur freien Mandatsausübung. Hier können nur äußerste Grenzen gesetzt werden, die die Abgeordnetenrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahren.“

Am Freitag wurde nun der Einspruch Bauers gegen seinen Ausschluss abgewiesen. Die Fraktionen von SPD, Grünen und Union stimmten nach Angaben von Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Linke) gegen seinen Einspruch, Linke und AfD dafür. Enthaltungen gab es keine.

Bauer verteidigt weiter seine Haltung: „Ich bin davon überzeugt: Die Würde des Hauses wird nicht durch Einzelheiten der Kleiderordnung, sondern durch die Anwesenheit der rechtsextremistischen AfD infrage gestellt.“

Politikredakteur Nicolas Walter berichtet für WELT über gesellschaftspolitische Entwicklungen im In- und Ausland.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke