Eineinhalb Jahre, bevor Johann Wadephul deutscher Außenminister wurde, kritisierte er die Israel-Politik seiner Vorgängerin deutlich: Er warf Annalena Baerbock vor, „Porzellan zerschlagen“ zu haben und bezeichnete ihr Auftreten als „nicht geeignet“. Stattdessen forderte er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wir müssen uns sehr klar an der Seite Israels positionieren.“

Konkret ging es damals um eine UN-Resolution, die einen sofortigen humanitären Waffenstillstand in Gaza forderte und bei der Deutschland sich enthalten hatte. Die Resolution verurteilte weder explizit die Terrorangriffe der Hamas vom 7. Oktober, noch erwähnte sie Israels Recht auf Selbstverteidigung.

Wadephul fand, Baerbock hätte für Deutschland mit Nein stimmen müssen. Auch Friedrich Merz, damals Oppositionsführer, heute Kanzler, kritisierte Baerbock regelmäßig, weil sie öffentlich Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des israelischen Vorgehens äußerte.

In Israel weckt die neue, unionsgeführte Bundesregierung daher gewisse Erwartungen: dass Berlin künftig deutlicher Partei für Israel ergreift. Nach seinem Treffen mit Wadephul am Sonntag sagte der israelische Außenminister Gideon Sa'ar: „Wir sehen Bundeskanzler Merz und Sie, Herr Minister, als wahre Freunde Israels.“

Wadephuls Antrittsbesuch deutet darauf hin, dass sich sein Tonfall zwar von dem seiner Vorgängerin unterscheidet – sachlicher, weniger tadelnd –, in der Sache aber kaum ein Bruch mit der bisherigen Israel-Politik zu erwarten ist. Denn auch wenn die Union im Wahlkampf eine klarere, entschiedenere Parteinahme für den jüdischen Staat versprochen hatte, zwingt die Realität in Gaza zur politischen Gratwanderung.

Schon vor seiner Abreise sprach Wadephul von einer „unerträglichen“ humanitären Lage in Gaza – ein Wort, das signalisiert: Dieser Zustand kann so nicht bestehen bleiben. Nach dem Bruch der Waffenruhe im März blockiert Israel Hilfslieferungen und bombardiert erneut massiv.

In Anwesenheit seines israelischen Amtskollegen sagte Wadephul, er wolle „ehrliche und sorgevolle Worte“ finden. Er sei nicht sicher, ob mit den aktuellen Kampfhandlungen Israels strategische Ziele erreicht würden – und ob dies langfristig der Sicherheit Israels diene.

Das ist diplomatisch formulierte Kritik, aber sie ist deutlich. Wadephul zweifelt an der militärischen Strategie und setzt auf Verhandlungen. Anders die israelische Regierung: Sie will Gaza dauerhaft kontrollieren, möglicherweise besetzen – und dafür den Krieg ausweiten. Zehntausende Reservisten wurden bereits mobilisiert. Hilfsorganisationen warnen vor einem humanitären Kollaps. Die Bedingungen für Wadephuls erste Israel-Reise als Außenminister könnten deswegen schwieriger kaum sein.

Zwar argumentiert die israelische Regierung, nur eine Großoffensive könne die Hamas endgültig zerschlagen. Doch in der eigenen Bevölkerung wächst der Widerstand – auch, weil die Befreiung der Geiseln dabei offenbar nicht im Vordergrund steht. Die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtet, sie stehe auf Platz sechs der Prioritätenliste der Regierung – nach unter anderem der Vernichtung der Hamas, der Kontrolle des Gaza-Streifens und der Verdrängung von Teilen der Bevölkerung in den Süden.

Am Samstagabend demonstrierten tausende Israelis in Tel Aviv gegen die geplante Offensive. Nur wenige Kilometer entfernt traf sich Wadephul mit Angehörigen der Geiseln – Menschen, die fürchten, dass eine Ausweitung des Kriegs das Leben ihrer Liebsten kosten könnte. Eine Begegnung, die Fingerspitzengefühl verlangt.

Die Verwandten erzählten Wadephul über die Lage der Verschleppten in Tunneln 40 Meter unter der Erde in Gaza. Der Außenminister hörte sich alles an und antwortete auf Fragen, in seiner Art wirkte er indes weniger zugewandt als seine Vorgängerin – vielleicht ein Zug, der sich im neuen Amt noch einstellen muss.

Eine dauerhafte Besetzung Gazas würde das Leben auf beiden Seiten auf Jahrzehnte prägen. Zwei Millionen Palästinenser müssten von einer Armee kontrolliert werden, die den Menschen dort als Besatzerin gilt. Anhaltende Terrorangriffe und Guerillakämpfen wären nach Ansicht von Experten wahrscheinlich – vergleichbar mit der Situation der USA im Irak nach 2003.

Ein solches Szenario könnte Israel international weiter isolieren. Eine Annäherung an Saudi-Arabien wäre kaum noch denkbar. Selbst traditionell israelfreundliche Staaten wie die Niederlande fordern inzwischen ein schärferes Vorgehen der EU – und wollen prüfen lassen, ob Israel gegen das Assoziierungsabkommen mit der EU verstößt, indem es humanitäre Hilfe blockiert.

Verständnis für Israels Position

Wadephul zeigte Verständnis für den israelischen Standpunkt, wonach Hilfslieferungen den Menschen und nicht der Hamas zugutekommen dürften – diese habe Hilfen in der Vergangenheit immer wieder missbraucht. Deutschland werde Israels Vorgehen daher pragmatisch und flexibel unterstützen, sagte er. Israels Außenminister Sa'ar kündigte an, sein Land werde den US-Vorschlag unterstützen, Hilfsgüter künftig direkt an die Bevölkerung zu liefern – unter Umgehung der Hamas.

Wadephul sagte, er begrüße diese Ankündigung der Israelis. „Es geht jetzt wirklich darum, für die Menschen etwas zu erreichen. Und indem die israelische Regierung diesen Schritt jetzt geht, ist auch vollkommen klar, dass man hier ein völkerrechtswidriges Verhalten nicht vorwerfen kann.“ Baerbock war in dieser Frage weniger eindeutig gewesen.

Entscheidend werden am Ende aber die Taten sein. Unter der Ampel-Regierung hatte Deutschland zuletzt zwar weiterhin Rüstungsgüter, aber keine Kriegswaffen mehr an Israel geliefert.

Eine weitere heikle Frage ist der Umgang mit einem möglichen Deutschlandbesuch von Premierminister Benjamin Netanjahu. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl vor. Baerbock kritisierte jüngst das ungarische Vorgehen, diesen bei einem Netanjahu-Besuch nicht vollstreckt zu haben. Merz dagegen will „Mittel und Wege“ für einen Besuch zu finden – das jedenfalls sagte er noch im Februar.

Baerbock hatte als Außenministerin das beinahe Unmögliche versucht: eine Balance zwischen der historischen Verantwortung Deutschlands und der Kritik an Israels Vorgehen in Gaza. In der Heimat wurde ihr das als Illoyalität ausgelegt, im Ausland als Tatenlosigkeit angesichts des Leids der Palästinenser. Ob Wadephul diesen Widerspruch besser auflösen kann, wird sich zeigen.

Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.

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