Alleingang des Auswärtigen Amtes – „Expertise der Bundespolizisten schlicht ignoriert“
Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat die Asylwende versprochen – und spürt, etwa mit Blick auf die Diskussionen um Zurückweisungen an der Grenze, wie kompliziert das werden könnte. Mindestens genauso schwierig: eine Lösung zu finden für rund 2500 afghanische Staatsbürger, die mit einer Aufnahmezusage für die Bundesrepublik im pakistanischen Islamabad festsitzen, aber bislang nicht nach Deutschland einreisen durften.
Seit Monaten sorgen die wiederholten Einreisen via Charterflug für Diskussionen. Dazu kam ein Einreisestopp unmittelbar vor der Bundestagswahl aus Wahlkampf-Gründen und regelmäßige Interventionen von deutschen Sicherheitsbeamten kurz vor dem Boarding der Afghanen.
WELT AM SONNTAG liegen nun erstmals Daten zum Einschreiten von Bundespolizisten vor. Demnach wandten sich Beamte allein vor den fünf Flügen im Jahr 2025 im Blick auf 59 für die Einreise vorgesehene Personen an Mitarbeiter der deutschen Botschaft in der pakistanischen Hauptstadt und rieten dazu, eben jene Afghanen – anders als geplant – nicht an Bord des Fliegers zu lassen. Die Gründe, die das Bundespolizeipräsidium WELT AM SONNTAG nannte: „unzureichende Dokumentenlagen oder sonstige sicherheitsrelevante Erkenntnisse“. Das Ziel: die Personen und ihre Dokumente erneut genau zu prüfen.
Die Entscheidung über die Einreise liegt allerdings letztlich beim Auswärtigen Amt (AA). Und das ließ sich in vielen Fällen nicht beirren. Von der Bundespolizei hieß es, man habe „lediglich davon Kenntnis“, dass 25 Beförderungen nicht zugestimmt worden sei. Entsprechend durften trotz der Bedenken der Polizisten 34 Afghanen nach Deutschland reisen.
Angekommen am Zielort – und offenbar in Absprache mit den Kollegen in Islamabad –, schritten Polizisten dann bei eben jenen Personen im Rahmen der Einreisekontrolle an den Flughäfen Leipzig, Berlin und Hannover zur Tat: Elf Urkundendelikte wurden festgestellt und Strafanzeige gestellt; die Staatsanwaltschaften beantworteten Anfragen zum Stand der Ermittlungen nicht.
Die neu vorliegenden Daten belegen erneut das Chaos bei den verschiedenen Aufnahmeprogrammen, mit denen die Bundesregierung seit der Machtübernahme der Taliban ehemalige Bundeswehr-Ortskräfte und besonders gefährdete Afghanen erst nach Islamabad und von dort nach Deutschland holte. Insgesamt wurden mehr als 48.000 Zusagen ausgesprochen, die Programme kosteten mehr als 182 Millionen Euro. Während des Zwischenstopps in Pakistan überprüfen sogenannte Dokumenten- und Visumberater (DVB) der Bundespolizei die von den Afghanen vorgelegten Unterlagen – und teilen der Botschaft mit, wenn etwa Fälschungen festgestellt wurden. Die Botschaft wiederum teilt diese Erkenntnisse mit dem AA.
Allerdings: Wie die Bundesregierung mit eben jenen gemeldeten Afghanen umgeht, erfahren die DVB nicht. Vielmehr herrschte in den vergangenen zwei Jahren – wie WELT AM SONNTAG berichtete – immer wieder Verwunderung bei den Beamten, wenn sie auf den Passagierlisten Personen entdeckten, die nach ihren Vorstellungen nicht nach Deutschland reisen sollten.
Im Vorfeld der 18 Charterflüge aus Islamabad im vergangenen Jahr bat die Polizei deutsche Diplomaten nach Informationen dieser Redaktion bei 90 Afghanen um eine erneute Prüfung. Nach Kenntnissen der Polizeibehörde kam das AA der Empfehlung in der Hälfte der Fälle nach: 45 Afghanen verweigerte die Botschaft eine Beförderung.
Nach der Amtsübernahme des neuen Außenministers Johan Wadephul (CDU) fragte WELT AM SONNTAG das AA, wie es die neuen Zahlen bewertet, ob bei künftigen Einreisen stärker auf die Einschätzungen gehört werden solle und wie überhaupt mit den in Islamabad verbliebenen Afghanen umgegangen werden soll.
Das Ministerium äußerte sich dazu nicht, teilte mit, eingeflogen werde nur, wer „das Visumverfahren und alle Sicherheitsüberprüfungen erfolgreich abgeschlossen“ habe. Reisedokumente seien kurz vor dem Abflug noch mal überprüft worden. Bei Rückfragen seien diese vor Abflug abschließend geklärt oder „eine Weiterreise nach Deutschland zunächst zurückgestellt“ worden.
Manuel Ostermann, stellvertretender Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, sieht die Sache kritischer. Er sagte WELT AM SONNTAG: „Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesaußenministerin a. D. haben offenkundig die Expertise der Bundespolizisten schlicht ignoriert.“ Das gesamte Verfahren sei „ein Skandal und gehört in einem Untersuchungsausschuss lückenlos aufgeklärt“.
Wir sind das WELT-Investigativteam: Sie haben Hinweise für uns? Dann melden Sie sich gerne, auch vertraulich – per E-Mail oder über den verschlüsselten Messenger Threema (X4YK57TU)
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke