„Russland zahlt für jeden Meter einen hohen Preis“
Generalmajor Christian Freuding leitet den Planungs- und Führungsstab sowie den Sonderstab Ukraine im Bundesverteidigungsministerium. Damit ist er einer der wichtigsten Generäle des Landes. Er koordiniert die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und stimmt sich mit dem Team des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab. WELT traf ihn zum Interview in Kiew.
WELT: Generalmajor Freuding, welche Botschaft haben Sie der ukrainischen Regierung und den Menschen hier im Land wenige Tage nach der Kanzlerwahl von Friedrich Merz mitgebracht?
Freuding: Unsere Botschaft ist unverändert: Wir bewundern den Kampf der ukrainischen Armee, aber auch der ganzen ukrainischen Gesellschaft gegen diese völkerrechtswidrige Aggression Russlands. Die Ukraine kann sich weiterhin auf Deutschland verlassen. Wir werden in unseren Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen.
WELT: Was konkret wird Deutschland der Ukraine in den kommenden Monaten militärisch liefern?
Freuding: Der Deutsche Bundestag hat unmittelbar nach der Bundestagswahl entschieden, dass wir für die militärische Unterstützung zusätzlich zu den bereits vorgesehenen vier Milliarden für 2025 weitere drei Milliarden für dieses Jahr und weitere mehr als acht Milliarden bis 2029 bereitstellen werden. Wir sind gerade dabei, das auszugestalten. Dafür bin ich direkt mit den Verantwortlichen hier in der Ukraine vor Ort in Gesprächen. Wir wollen den Großteil dieser bewilligten Mittel für 2025 für schnell realisierbare Projekte nutzen, die sich noch in diesem Jahr im Gefecht auswirken können.
WELT: In welchen Bereichen liegt Ihr Fokus bei der Unterstützung – mit welchen Waffen und Systemen kann die Ukraine rechnen?
Freuding: Es muss weiterhin in der gesamten Bandbreite der militärischen Fähigkeiten unterstützt werden. Von der Drohne bis zum Schützenpanzer. Wir werden in 2025 beispielsweise Artilleriemunition und Drohnen in hoher Zahl, darunter auch unbemannte Landsysteme, etwa zum Verwundetentransport oder als Waffenplattformen liefern. Zudem werden wir Ersatzteile in großem Umfang und auch die von der Industrie hier vor Ort betriebenen Instandsetzungswerkstätten weiter finanzieren. Dazu kommt die Fortführung unserer Projekte vor allem für die Luftverteidigung.
In der jetzigen Phase ist es eine besondere Herausforderung, den Spagat zwischen schnell wirksamen Maßnahmen und dem langfristigen Fähigkeitsaufbau der ukrainischen Streitkräfte zu schaffen. Hierzu stimmen wir uns eng mit unseren Verbündeten und ukrainischen Partnern ab.
WELT: Sie sind überzeugt, dass es der Ukraine und Europa gelingen kann, die russische Rüstungsindustrie quantitativ zu schlagen. Davon sind wir derzeit noch ein gutes Stück entfernt. Wie stellen Sie sich das vor?
Freuding: Die russische Rüstungsindustrie ist eine gelenkte, staatliche Industrie, die nicht wirtschaftlich arbeiten musste und seit vielen Jahrzehnten Depots befüllt hat. Wir erleben in Europa immer noch die Folgen des Nicht-Investments in Verteidigung aus den vergangenen Jahrzehnten. Dies führte nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu einem massiven Abbau unserer Produktionskapazitäten in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Gemeinsam mit der Industrie arbeiten wir an dem Turn-Around. Aktuell entwickelt sich der Aufbau von Produktionskapazitäten. Ich bin fest davon überzeugt, dass 27 Mitgliedstaaten der EU – und die Ukraine – mehr in die Waagschale werfen können, als es der russischen Wirtschaft möglich ist.
WELT: In welchen Bereichen sehen Sie Fortschritte?
Freuding: Der Ausbau der Artilleriemunitionsproduktion in Deutschland schreitet gut voran. Wir sehen auch eine Vervielfachung der Kapazitäten in der Produktion von Lenkflugkörpern für unsere Luftverteidigungssysteme. Wir haben eine wachsende Start-up-Szene im Drohnenbereich – da tut sich viel. Davon werden die ukrainischen Streitkräfte profitieren, aber auch die Bundeswehr.
WELT: Die Sorgen sind weiterhin groß, dass sich die Vereinigten Staaten unter der neuen Regierung weitgehend aus der Unterstützung der Ukraine zurückziehen könnten. Welche Signale nehmen Sie wahr?
Freuding: Das ist eine Spekulation zum Stand heute. Wir sehen aktuell, dass die amerikanische Unterstützung weiterläuft.
WELT: Die ukrainische Armee verliert seit Monaten langsam Gebiete, hält aber noch Schlüsselorte wie Pokrowsk. Wie blicken Sie auf die aktuelle Frontlage?
Freuding: Den ukrainischen Streitkräften gelingt es unverändert, ihre Verteidigungsstellungen im Donbas zu halten und die russischen Führungs- und Versorgungseinrichtungen durch Schläge in der Tiefe abzunutzen. Russland zahlt für jeden Meter einen hohen Preis. Ich sehe nicht, dass wir hier in den kommenden Wochen eine wesentliche Lageänderung auf dem Gefechtsfeld erleben werden.
WELT: In welchem Zustand befinden sich die ukrainischen Streitkräfte nach mehr als drei Jahren dieses Abnutzungskrieges?
Freuding: Ich will mir hier aus der Hauptstadt nicht anmaßen, über den Zustand der ukrainischen Armee zu sprechen. Ich weiß von meinen Gesprächspartnern, dass es immer noch ein sehr großes (oder ein sehr beachtliches) Maß an Entschlossenheit und Geschlossenheit gibt. Man will diesen Krieg erfolgreich weiterführen und einen gerechten Frieden erreichen, der den Sicherheitsinteressen des Landes und Europas Rechnung trägt. Dahinter vereint sich die Ukraine. Das ist beeindruckend.
WELT: Russland lehnt einen umfassenden, 30 Tage langen Waffenstillstand weiterhin ab. Was kann Putin an den Verhandlungstisch bringen?
Freuding: Putin kann diesen Krieg militärisch nicht mehr gewinnen. Das zeigen auch die minimalen Vorwärtsbewegungen der russischen Armee in den vergangenen Monaten und Jahren. Putin kann an den Verhandlungstisch gebracht werden, wenn wir weiterhin entschlossen hinter der Ukraine stehen, sie weiter ertüchtigen und ihr die Möglichkeit geben, die Aggression abzuwehren – so wie wir es derzeit tun. Wir müssen das Zeichen geben, dass die Zeit für uns arbeitet – und nicht für Putin.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke