Das braune Wasser steht fast kniehoch in den Straßen. Mittendrin ein eher schmächtiger Mann mit kurzen grauen Haaren, weißem Hemd und schwarzen Gummistiefeln: Es ist Bischof Robert Prevost, der sich in einem Armenviertel ein Bild von der Lage der Menschen macht. Die Bilder stammen von den verheerenden Überschwemmungen in seiner Diözese Chiclayo im Norden Perus vor gut drei Jahren. Ausgelöst vom Wetterphänomen El Niño, verstärkt von den Auswirkungen des Klimawandels.

Hunderttausende waren damals betroffen, mussten ihre Häuser und Hütten verlassen. Die Ernte vernichtet, die Häuser und Straßen unterspült. Prevost hat mit eigenen Augen gesehen, was passiert, wenn der Himmel außer Kontrolle gerät. Er organisierte sofort humanitäre Hilfe: Trinkwasser, Lebensmittel, Hygieneprodukte. Und sprach den Menschen Mut zu. Daraus resultiert seine Popularität vor Ort.

Extremwetter, Drogenhandel und linksextremer Terrorismus – Papst Leo XVI. hat in seiner südamerikanischen Zeit alles miterlebt, was die moderne Zeit an Konflikten zwischen den USA und Lateinamerika mit sich bringt. Und das dürfte ihm das notwendige Rüstzeug geben, sich in einer polarisierten Welt Gehör zu verschaffen. Er wird unbequeme Wahrheiten aussprechen, die im Weißen Haus und möglicherweise auch in Europa nicht so gern gehört werden.

„Mit Leo XIV. wird dem US-Präsidenten ein Amerikaner gegenübergestellt, der das Gegenteil von Donald Trump repräsentiert: Er baut Brücken und keine Mauern. Er steht auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten“, sagt Pater Martin Maier, Chef des kirchlichen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, und eröffnet damit schon einmal den Kampf um die politische Deutungshoheit des neuen Pontifikats.

Einst machte Prevost den Scherz, dass seine Heimatstadt Chicago und seine peruanischen Wahlheimat Chiclayo nur ein paar Buchstaben trennen würden. Doch tatsächlich könnte der Unterschied nicht größer sein: Hier der arme, strukturschwache Globale Süden, dort das sich abschottende reiche Nordamerika. Prevost ist in beiden Welten zu Hause, die derzeit besonders viel trennt und die doch so eng miteinander verwoben sind.

Am Tag seiner Wahl zu Papst Leo XVI. veröffentlichten zahlreiche lateinamerikanische Medien Fotos von Besuchen in Honduras, Nicaragua, El Salvador, Medellin (Kolumbien) oder Concepción in Chile. Staaten und Städte, von denen viele US-Amerikaner vermutlich noch nie gehört haben und die US-Präsident Donald Trump auch schon einmal als „Shithole-Länder“ bezeichnete. Es sind Orte, aus denen die Armutsmigration in Richtung USA in den vergangenen Jahren besonders stark war.

In der Diözese Chiclayo gibt es Bezirke, in denen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung von akuter Armut betroffen sind. Kaum Industrie, kaum Chancen auf eine bessere Zukunft. Peru ist neben Kolumbien der größte Kokainproduzent in Südamerika. Das meiste wird in die USA „exportiert“, von dort kommen dann, ebenfalls illegal, hochmoderne Waffen ins Land, mit denen sich die Kartelle aufrüsten und praktisch unangreifbar machen.

Trotzdem hat die Region viele venezolanische Migranten aufgenommen, die vor dem brutalen sozialistischen Regime von Machthaber Nicolás Maduro in Caracas flohen. In seiner Funktion als Präsident der Caritas bot Prevost Hilfe an, organisierte Armenspeisungen und Unterkünfte. Der neue Papst kennt also beide Seiten dieser humanitären Katastrophe: den rücksichtslosen Linksextremismus in Havanna und Caracas, der Millionen Menschen in die Flucht schlägt, und die dramatischen humanitären Konsequenzen für die aufnehmenden Länder.

Der venezolanische Massenexodus sorgt für Konflikte in der Region, viele Peruaner wollten das Wenige nicht auch noch mit den Migranten aus Venezuela teilen müssen. Es wird sich zeigen, ob sich Prevost, anders als sein Vorgänger Franziskus, auch zu den Ursachen der Flucht äußert, also Regime wie Kuba oder Venezuela offen kritisiert.

Er lässt sich nicht politisch vereinnahmen

Das Schweigen seines Vorgängers aus Argentinien, der die harte Migrationspolitik des Westens kritisierte, aber zu den Ursachen schwieg, hatte viele konservative Katholiken enttäuscht. Chiclayos heutiger Bischof Edinson Edgardo Farfan Cordova sagt: „Ich bin überzeugt, dass Papst Leo XIV. die Linie der Gemeinschaft und der Nähe zu den Armen fortsetzen wird, die das Pontifikat von Franziskus geprägt hat.“

Angefangen hat Prevosts Zeit in Peru 1985 als einfacher Pfarrer in Chulucanas, einer Stadt im Departement Piura, nördlich von Chiclayo. Damals war er 30 Jahre alt. Es war die Zeit des linksextremen Terrors in Peru, als der „Leuchtende Pfad“ Angst und Schrecken verbreitete. Und damit als Gegenreaktion die rechtsextreme Diktatur von Alberto Fujimori einleitete.

Der ultrarechte japanisch-stämmige Präsident – von den USA hofiert – ließ später bettelarme indigene Frauen und Mädchen ohne ihr Wissen sterilisieren, damit sie keine Kinder bekommen konnten. Fujimori saß später wegen Korruption im Gefängnis, und als er 2017 begnadigt werden sollte, forderte Prevost eine umfassende Entschuldigung des ehemaligen Staatschefs. Er solle jedes einzelne Opfer seiner Regierungszeit um Verzeihung bitten, um einen Prozess der Versöhnung einleiten zu können.

Als es Jahre später in Peru zu Ausschreitungen kam, sagte Prevost, die Politik müsse die Forderungen der Menschen anhören, die Menschen dürften aber auch nicht jenen folgen, die die Demokratie verachten. Dieses Muster wiederholt sich: Prevost sprach während seiner Zeit in Peru die dramatische Lage für die Menschen an, ohne sich aber von einer Seite politisch vereinnahmen zu lassen. Keine schlechte Eigenschaft für einen Papst, der zwischen den Welten vermitteln soll.

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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