„Ihr Hundesöhne, lasst die Geiseln frei“ – Wie die Hamas in der arabischen Welt isoliert wird
Es war ein überraschender Schritt der jordanischen Regierung und eine weitere Niederlage für die islamistische Terrororganisation Hamas: Die Regierung warf den Muslimbrüdern vor, geheime Drohnen- und Raketenanlagen nahe der Hauptstadt Amman betrieben zu haben – und verbot die Organisation.
Damit verliert die Hamas einen weiteren wichtigen Unterstützer in der Region, mit kaum einem anderen Zweig der Muslimbrüder war sie so verflochten wie mit dem jordanischen. „Wir haben keinen Platz für Auslandsloyalitäten“, sagte der jordanische Premierminister Jafar Hassan.
Der entschiedene Schritt Ammans zeigt den erhöhten Druck, unter dem die arabischen Nachbarn Israels derzeit stehen. Einerseits sollen die im Gaza-Streifen herrschenden Islamisten zumindest auf offizieller Ebene isoliert und in arabischen Plänen für eine Nachkriegsordnung im Küstenstreifen als unbedeutender Akteur behandelt werden.
Gleichzeitig setzt Israel den Krieg in der palästinensischen Enklave fort. Die vielen auch zivilen Opfer und die schrecklichen Bilder werden in den arabischen Ländern mit großer Empörung aufgenommen. Die Muslimbrüder, in Jordanien stärkste Oppositionskraft, hatten nach dem 7. Oktober immer wieder Solidaritätsproteste für die Hamas organisiert.
Die Folge: Während sich die Hamas weiterhin weigert, ihre Waffen in Gaza niederzulegen, radikalisierten sich ihre Unterstützer. In Jordanien sicherte sich der politische Arm der Muslimbruderschaft, die Islamische Aktionsfront, im vergangenen Jahr ein Fünftel der Parlamentssitze und errang damit das beste Ergebnis seit 1989. Die Islamisten lehnen den 1994 geschlossenen Frieden Jordaniens mit dem jüdischen Staat ab.
Dass die Islamisten offenbar von jordanischem Boden aus Anschläge planen, brachte für die Regierung das Fass zum Überlaufen. Als der Geheimdienst die Festnahme der geheimen Zelle bekannt gab, die mutmaßlich seit 2021 Waffen in Jordanien deponiert hat, forderte die Hamas die jordanische Regierung auf, die 16 festgenommenen Männer freizulassen. Als Reaktion verhängte Amman das Verbot der jordanischen Muslimbruderschaft, die jede offizielle Verbindung zu der Zelle bestreitet.
Auch im israelisch besetzten Westjordanland ist deutlichere Kritik an der Hamas zu hören. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, hat in seinen Reden schon immer gegen die Hamas ausgeteilt. Aber vergangene Woche wurde sein Ton noch schärfer: „Wollt ihr denn gar nichts begreifen?“, fragte er die Hamas-Führer. „Ihr Hundesöhne, lasst die Geiseln frei und beendet das.“ Als Prioritäten seiner Politik nannte Abbas „die Beendigung des Vernichtungskrieges im Gaza-Streifen“ und die „Verhinderung der israelischen Vertreibungspläne“.
Hamas beklagt „Alleingang“ von Abbas
Die Autonomiebehörde kontrolliert Teile des Westjordanlandes und wird von der säkularen Hamas-Konkurrenz Fatah dominiert. Deren Chef Abbas fordert die Hamas seit Jahren auf, dem bewaffneten Kampf abzuschwören. Nun hat Abbas die Hamas-Machtübernahme 2007 als „Katastrophe“ bezeichnet und in eine Reihe mit den Niederlagen der Palästinenser 1948 und 1967 gestellt.
Zudem ernannte der bald 90-Jährige, der seit 16 Jahren ohne demokratische Wahlen an der Macht ist, seinen Vertrauten Hussein al-Scheich zu seinem Stellvertreter und damit zu seinem potenziellen Nachfolger. Die Hamas beklagte sich, sie sei nicht gefragt worden, und bezeichnete die Ernennung als „Alleingang“ von Abbas, der „Posten vergibt, um externe Akteure zufriedenzustellen“.
Arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten begrüßten den Schritt. Seit 2007 war al-Scheich für die Koordination mit der israelischen Regierung zuständig, vor allem in zivilen und sicherheitspolitischen Fragen.
Nach Ansicht von Ahmed Fouad Alkathib, Nahost-Experte bei der amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council, ist es diese Vergangenheit, die al-Scheich zu einer umstrittenen Figur unter den Palästinensern gemacht hat. Gleichwohl zeige die Ernennung des „Paten der Koordination mit Israel“ zum Abbas-Nachfolger, dass der PA-Chef die Notwendigkeit einer pragmatischen und realistischen Führung der Palästinenser durchaus verstehe, so Alkhatib.
Um den Krieg zu beenden, sprach sich Abbas erneut für den Plan der Arabischen Liga aus. Er erfüllt die israelische Forderung nach einem entwaffneten Gaza-Streifen und sieht vor, dass die PA dafür dorthin zurückkehrt. Für eine solche Rückkehr habe Abbas eine pragmatische Figur wie al-Scheich gewählt, so Alkhatib.
Daneben müsse der künftige PA-Chef eine Machtübernahme der Hamas im Westjordanland verhindern und dafür mit den Israelis und den gemäßigten arabischen Staaten zusammenarbeiten. Zur Unterstützung des arabischen Plans hissen Anti-Hamas-Demonstranten im Gaza-Streifen immer wieder die ägyptische Flagge.
Allerdings brauche es für Abbas‘ Geste an die Israelis ein Entgegenkommen, sagt Experte Alkhatib. „Wenn Netanjahu, Verteidigungsminister Katz und andere al-Scheich als potenziellen Partner betrachten, könnte das das Überleben der PA sichern und den Zusammenbruch der Autonomiebehörde hinauszögern“, sagt er. Ein anderer Partner für ein israelisch-palästinensisches Abkommen ist jedenfalls nicht in Sicht.
Durch Abbas‘ Äußerungen und die Ernennung al-Scheichs gerät die in Gaza verbliebene Kommando-Struktur der Hamas weiter unter Druck. Sie erklärte sich am Donnerstag bereit, ihre Raketen mit mittlerer und großer Reichweite unter ägyptische Kontrolle zu stellen und die Rekrutierung von Kämpfern sowie das Graben neuer Tunnel zu beenden, wie der israelische Fernsehsender i24News berichtete. Er verwies darin auf eine arabische Quelle, die sich wiederum auf ranghohe Hamas-Vertreter berief.
Kürzlich berichtete zudem das „Wall Street Journal“, dass der Hamas das Geld zur Bezahlung ihrer Kämpfer ausgehe. Auch, weil die Islamisten dafür zuvor Hilfsgüter beschlagnahmt hätten, die derzeit nicht nach Gaza hereingelassen werden.
Das Problem mit all den Plänen der arabischen Staaten: die Forderung nach einer Perspektive auf eine Zweistaatenlösung. Im ägyptischen Dokument heißt es dazu konkret: „Es gibt keine Alternative zur Gründung eines palästinensischen Staates.“
Das lehnt der israelische Premier Netanjahu indes grundsätzlich ab. „Die Idee ist töricht, nichts weiter als töricht“, sagte er am Montag in Jerusalem. Netanjahu möchte nach Beendigung des Krieges weder die Hamas noch die PA im Gaza-Streifen haben: „Warum ein Regime, das uns vernichten will, durch ein anderes Regime ersetzen, das uns ebenfalls vernichten will?“
Israels Regierung setzt offenbar weiterhin auf den Plan von Donald Trump, wonach die Palästinenser den Gaza-Streifen verlassen müssen. Trumps Idee lehnen wiederum die arabischen Staaten ab. Für Jordanien mit seinen acht Millionen Einwohnern wäre die Vertreibung von einer Million Palästinensern in das Land „eine existenzielle Bedrohung“, sagt Marwan Muascher, ehemaliger Außenminister und erster jordanischer Botschafter in Israel nach dem Friedensabkommen von 1994.
Seit Mitte März führt die israelische Armee eine erneute Bodenoffensive im Gaza-Streifen durch, wo die Hamas noch mindestens 24 lebende Geiseln festhält. Die Terrororganisation hatte kürzlich ihre Bereitschaft erklärt, alle Geiseln auf einen Schlag freizulassen – im Gegenzug für ein Ende des Krieges und der Blockade des Gaza-Streifens. Aber die Kernforderung Israels, alle Waffen abzulegen, erfüllt sie weiterhin nicht.
Angesichts der zunehmenden Isolation setzt die Hamas-Führung unbeirrt auf ihren größten Unterstützer: den Iran. Im Februar besuchte eine Delegation des Hamas-Politbüros Teheran und traf sich mit dem Obersten Führer der Islamischen Republik, Ali Chamenei.
Der 86-Jährige versicherte seinen Besuchern: „Der Sieg, so Gott will, ist gewiss.“ Daran glauben aber wohl nur noch Chamenei und die Hamas-Führung selbst.
Amin Al Magrebi ist Volontär bei WELT. Seine Stammredaktion ist Business Insider.
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