Selenskyj-Friedensplan – warum er Kiews Probleme noch verschärfen kann
Nach dem Eklat im Weißen Haus hat der Präsident der Ukraine begonnen, die Trümmer beiseitezuräumen. In einem Posting auf X betonte Wolodymyr Selenskyj seine Bereitschaft zu Verhandlungen. Gleichzeitig schmeichelte er Präsident Trump. Selenskyj schrieb: "Niemand will Frieden mehr als die Ukrainer. Mein Team und ich sind bereit, unter Präsident Trumps starker Führung zu arbeiten, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen."
Selenskyj wünscht partiellen Waffenstillstand
In dem Posting schlug er als ersten Schritt einen Waffenstillstand vor. Oder genauer gesagt einen partiellen Waffenstillstand. Auf den ersten Blick ist das ein wichtiger Vorstoß. So entkräftet die Regierung in Kiew den Vorwurf der Trump-Regierung, an einem Frieden nicht interessiert zu sein und den Krieg endlos weiterführen zu wollen. Einen Krieg, den, so zumindest der Standpunkt der US-Administration, die Ukraine nicht gewinnen kann, und der daher nur unnötig weitere Leben kosten und weitere Zerstörungen mit sich bringen wird. Auf den Vorwurf der Undankbarkeit reagierte Selenskyj direkt: "Wir erinnern uns an den Moment, als sich die Dinge änderten, als Präsident Trump der Ukraine Javelins lieferte. Dafür sind wir dankbar." Bei den Javelins – zu Deutsch Wurfspeer – handelt es sich um kleine, mobile Panzerabwehrraketen. Trump hatte sie während seiner ersten Amtszeit an die Ukraine liefern lassen. Mit diesen Waffen war es später der ukrainischen Armee in der ersten Kriegsphase gelungen, die russischen Invasoren vor Kiew zu stoppen. Auch äußerte Selenskyj seine Bereitschaft, den umstrittenen Mineralien-Deal zwischen den USA und der Ukraine zu unterzeichnen.

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Krieg zu Land wird fortgeführt
Diese Abschnitte des Briefes dürften der US-Regierung gefallen haben. Bei Selenskyjs Vorstellungen über einen teilweisen Waffenstillstand ist das nicht so gewiss. Die Passage lautet: "Die ersten Schritte könnten die Freilassung von Gefangenen und ein Waffenstillstand am Himmel sein – Verbot von Raketen, Langstreckendrohnen, Bomben auf Energie- und andere zivile Infrastruktur – und ein sofortiger Waffenstillstand auf See, wenn Russland dasselbe tut." Der Austausch von Gefangenen geschah auch während der offenen Kampfhandlungen und sollte als Zeichen des guten Willens möglich sein. Anders sieht es bei einem Waffenstillstand zu Luft und auf See aus. Hier fehlt nämlich das "Land" – nach diesem Plan würde also der Bodenkrieg unvermindert weitergehen. Das Sterben an der Front demzufolge auch.

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Das Hauptproblem ist aber, dass Russland nicht in ein Ende des strategischen Luftkrieges einwilligen wird, ohne dass es weitere bindende Zugeständnisse gibt. Mit einer ganzen Reihe von Langstreckendrohnen kann die Ukraine Ziele auch tief in Russland angreifen. Dabei hat sich Kiew auf die Ölraffinerien und Anlagen der Gasindustrie konzentriert, um so Putins Erlöse aus dem Verkauf von Gas und Öl zu vermindern. Ein Stopp dieser Angriffe würde die Ölindustrie vor weiteren Schäden bewahren. Im Einzelnen sind die Erfolge der Drohnenangriffe spektakulär, in der Menge aber nicht genug, um eine kriegsentscheidende Wirkung zu erzielen. Wie begrenzt die Möglichkeiten der Ukraine sind, zeigt die Krim-Brücke. Sie war und ist das Ziel Nummer eins, hat bislang aber alle Angriffe überstanden.
Kein Deal für Putin
Um im Zusammenhang mit den Angriffen auf Raffinerien etwas Erleichterung zu bekommen, müsste Putin im Gegenzug seine strategische Luftoffensive gegen die Ukraine einstellen. Und die ist für Kiew weit bedrohlicher als die Drohnenattacken es für Moskau sind. Russland zerstört systematisch die kritische Infrastruktur der Ukraine, insbesondere die Stromversorgung. Dabei sind die Russen in der Lage, an jedem Punkt der Ukraine zuzuschlagen, an dem sie ein lohnendes Ziel vermuten. Sie greifen unentwegt Ausbildungszentren, Nachschublager und Häfen an und beeinträchtigen so den Nachschub der Ukraine nachhaltig. Da sie auch über weitreichende ballistische Raketen – die Iskander – verfügen, können sie sogar Ziele angreifen, die nicht stationär an einen Ort gebunden sind, etwa gelandete Flugzeuge.

Für Friedensverhandlungen Russland lehnt Waffenruhe mit der Ukraine ab
Bei einem Waffenstillstand zu Land und zur See wären die Kriegshandlungen auf die Front und einen Streifen Land dahinter begrenzt. Im Großteil der Ukraine würden dann Friedensbedingungen herrschen. Aus russischer Sicht bedeutete das, dass Kiew ungestört die von den Russen angerichteten Schäden beseitigen könnte. Dazu könnten ohne Gefahr neue Soldaten ausgebildet werden und westliche Waffenlieferungen würden ohne Verluste ins Land kommen. Der Abnutzungskrieg gegen die Ukraine wäre praktisch gestoppt. Davon würden auch die Truppen an der Front, die weiterkämpfen, profitieren.
Wie zu erwarten, hat der Kreml diesen Vorstoß bereits zurückgewiesen. Als Vorteil kann Kiew verbuchen, dass Selenskyj seine Bereitschaft zu Verhandlungen ausgedrückt hat und die "Nein-Sager" nun im Kreml sitzen. Auch ist es nicht ungewöhnlich, Verhandlungen mit Forderungen zu beginnen, von denen man weiß, dass die Gegenseite sie nicht akzeptiert. Offen ist aber, wie die Trump-Regierung den Vorstoß wertet: als ernstzunehmenden Vorschlag oder als Versuch, auf Zeit zu spielen. Das Letztere wäre das Gegenteil von Trumps Plan, möglichst schnell zu einem Abkommen zu kommen.
Selenskyj muss Trump überzeugen
Ein gewagtes Spiel, denn wenn die Trump-Regierung nicht schnell einlenkt, läuft die Zeit gegen die Ukraine. Auch bereits vereinbarte Waffenlieferungen wurden abrupt gestoppt, dazu haben die USA aufgehört, Kiew mit Spionage- und Aufklärungsdaten zu helfen. Sie sollen sogar ihre Verbündeten angewiesen haben, keine US-Daten an die Ukraine weiterzugeben.
Entsprechend wenig hat Selenskyj Putin beim Luftkrieg anzubieten. Ohne den Nachschub an Abfangraketen für die Patriot-Systeme und Hilfe bei der Überwachung des Luftraums wird die Luftabwehr noch löchriger, als sie jetzt schon ist. Ohne Fernaufklärung können die ukrainischen Streitkräfte einen Streifen hinter der Front beobachten, doch dahinter werden sie blind. Um weitreichende Waffen wie etwa die Storm Shadow einsetzen zu können, benötigen sie nicht nur die Position des Ziels, sondern auch genau Informationen über die russische Luftabwehr.
Ein Zustand, den Kiew nicht lange aushalten kann, Moskau hingegen profitiert von dem Zerwürfnis zwischen Trump und Selenskyj. Solange der anhält, arbeitet die Zeit für Putin. Am Boden werden die ukrainischen Streitkräfte auch bei ausbleibenden US-Lieferungen nicht in den nächsten Wochen zusammenbrechen. Beim Luftkrieg kann das anders aussehen, hier wird Russland die Schwierigkeiten der ukrainischen Luftabwehr maximal ausnutzen.
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