Der Gegenwind für den Friedensplan der USA ist groß. Und doch ist der Vorschlag am Ende im Interesse der westlichen Akteure, findet unser Autor.

Von allen Ideen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs ist der jetzige Vorschlag aus Washington derjenige, der am ehesten machbar erscheint. Viel muss noch konkretisiert werden, vielleicht kann die Ukraine manche Forderungen auch noch abwehren. Aber in weiten Teilen entspricht das Dokument der Wirklichkeit vor Ort.

  • Wahlen in der Ukraine in den ersten 100 Tagen nach Inkrafttreten des Dokuments? Das werden die demokratieliebenden Ukrainer nach diesen langen Jahren des kriegsbedingt erzwungenen politischen Zusammenhalts selber fordern – erst recht nach den jüngsten Enthüllungen über Korruption in Selenskyjs direktem Umfeld.
  • Die Begrenzung der ukrainischen Armee auf 600.000 Mann? Das spiegelt vermutlich ohnehin die reale Zahl der heute kampffähigen Soldaten wider, weil Brigaden oftmals nur noch zur Hälfte personell ausgestattet sind. Die demographische Entwicklung der Ukraine wird der Armee in den nächsten Jahren Probleme bereiten, überhaupt genügend Rekruten zu finden. Und nicht zuletzt ist es aus finanziellen Gründen für die Ukraine kaum darstellbar, dauerhaft eine so große Armee zu unterhalten, zumal in Friedenszeiten.
  • Die Festschreibung eines neutralen Status', ergo Nicht-Beitritt zur Nato? Den Ukrainern ist ohnehin klar, dass es wenig bringt, den Beteuerungen des einen oder anderen Premierministers eines Nato-Lands Glauben zu schenken – nicht nur die USA, auch mehrere europäische Nato-Mitglieder halten von einem Beitritt überhaupt nichts, und zwar grundsätzlich.
  • Auch bei den territorialen Zugeständnissen bildet der jetzige Entwurf in weiten Teilen die Wirklichkeit ab: Militärisch wird die Ukraine auf absehbare Zeit nicht fähig sein, Gebiete zurückzuerobern. Und solange die Ukraine und mit ihr der Westen die russische Annexion nicht de jure anerkennen muss, ist diese Lösung misslich, aber akzeptabel. 

Bei den Sicherheitsgarantien bleibt der Friedensplan schwammig

Zwei wichtige Knackpunkte gibt es jedoch, und einer davon betrifft Territorium: Laut dem Entwurf soll die Ukraine sich aus den noch nicht von Russland eroberten Städten des Donbass zurückziehen, diese würden danach russisch kontrolliert, wären aber zugleich eine demilitarisierte Zone. Zum einen hat die Ukraine in diesem Gebiet rund um die Stadt Kramatorsk über die letzten elf Jahre massive Verteidigungsanlagen gebaut. Die müsste sie aufgeben, und das wäre eine äußerst bittere Pille. Zum anderen kann eine  "demilitarisierte Zone" durch Russland im Handumdrehen wieder für einen neuen Angriff militarisiert werden. Einlassen könnte sich die Ukraine darauf möglicherweise im Tausch für den Rückzug Russlands aus den Gebieten Charkiw, Dnipropetrowsk und Sumy.

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Der andere Knackpunkt sind die Sicherheitsgarantien. Die bisher bekannten Formulierungen klingen gut, sind aber unterm Strich schwammig: Die USA und andere Nato-Mitglieder würden auf eine neuerliche russische Invasion mit der Wiederaufnahme der Sanktionen und einer "entschiedenen militärischen Antwort" reagieren. Klingt robust, wäre aber für die Ukraine eine Wette auf die Zukunft: In welcher Form würden die westlichen Alliierten dann tatsächlich zu Hilfe kommen? Mit Garantien auf dem Papier, Stichwort "Budapester Memorandum", hat die Ukraine schlechte Erfahrungen gemacht. Zumindest muss der Text eines solchen Dokuments so konkret wie möglich sein.

Die Europäer haben keinen (Friedens)plan

Aus den europäischen Hauptstädten hört man bislang wenig zum neuerlichen Friedensplan. Das liegt daran, dass die Europäer eben im sehr direkten Sinn keinen Plan haben: Sehr lange versteckten sie ihre Initiativlosigkeit hinter der Formulierung, die Ukraine müsse entscheiden, wann und zu welchen Bedingungen sie Verhandlungen mit dem Aggressor Russland beginnen wolle. Unterm Strich blieb davon aber: Man lässt den Krieg weiterlaufen, mit völlig unklarer Perspektive. 

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Diese Perspektive haben nun die Amerikaner geschaffen, und das haben sowohl Selenskyj als auch die Europäer erkannt. Die sich anbahnende Lösung enthält mehrere sehr bittere Pillen – etwa die Tatsache, dass russische Kriegsverbrechen nicht verfolgt werden und Putin eben nicht vor Gericht gestellt wird. Aber am Ende entspricht diese Form der Beendigung der Kampfhandlungen, so sie denn wirklich erreicht werden kann, heute den Interessen der westlichen Akteure: 

Trump will um jeden Preis Frieden schaffen. 

Die Europäer haben trotz aller Beteuerungen immer mehr Mühe, vor der eigenen Bevölkerung die Finanzierung des ukrainischen Verteidigungskampfes ohne Aussicht auf ein Ende zu legitimieren.

Und Selenskyj muss erkennen, dass die zukünftigen Bedingungen eines Friedensschlusses wahrscheinlich noch schlechter ausfallen werden. In gewisser Weise hilft ihm die Tatsache des US-amerikanischen Ultimatums sogar politisch, kann er den Ukrainern doch erklären: Seht her, ich kann überhaupt nicht anders. Der ohnehin politisch angeschlagene Präsident bereitet seine Bevölkerung dementsprechend vor auf das, was kommt: Am Freitag sprach er von einem der "schwierigsten Momente in unserer Geschichte." Die Ukraine stehe vor einer sehr schwierigen Wahl: "entweder unsere Würde – oder einen Schlüsselpartner zu verlieren." 

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Die große Unbekannte ist jedoch weiterhin, was Putin will. Die positive Lesart: Er will ein Ende der Sanktionen und erhobenen Hauptes die "Militärische Spezialoperation" beenden. Die negative Lesart: Auch die jetzige Initiative ist der nächste Versuch, den Westen zu spalten und die Ukraine zu schwächen, während er seinen Krieg fortsetzt. 

Die nächsten Wochen werden es zeigen.

Der stern blickt aus verschiedenen Perspektiven auf den neuen Friedensplan. Den Kommentar von Chefreporterin Miriam Hollstein finden sie hier: Trumps Friedensplan ist für Europa eine Unverschämtheit.

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