Diese Aktion in Berlin wird kontrovers diskutiert: Aus Protest gegen die „Stadtbild“-Äußerung von Friedrich Merz (CDU) hatten am Mittwochabend in Berlin rund 30 Personen vor einer Rede des Kanzlers zum Thema Integration demonstrativ den Saal verlassen. Videoclips von dem „Walk-Out“ kursierten anschließend in den sozialen Medien, auch WELT hatte berichtet.

Die Protestler gingen aus dem Raum, als Merz bei der Verleihung des Talisman-Preises für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Deutschlandstiftung Integration gerade erst die Bühne betreten hatte. Die rund 30 jungen Menschen trugen Sticker mit der Aufschrift „Wir sind das Stadtbild“. Anschließend posierten sie im Eingangsbereich für ein Gruppenbild. Erst nach der gut 20-minütigen Rede des Kanzlers nahmen sie ihre Plätze wieder ein.

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki kritisierte die Aktion als „plumpe Inszenierung“. „Eine Demokratie lebt von harter Auseinandersetzung – und vom Respekt vor ihren Institutionen. Wer stattdessen auf die plumpe Inszenierung einer vermeintlichen ‚Haltung‘ setzt, die darin besteht, dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland das Gehör zu verweigern, liefert nur einen Beweis: dass er beidem nicht gewachsen ist“, schrieb er bei X.

Äußerst „unpassend und befremdlich“, urteilt Serap Güler

Schärfer ging Serap Güler, CDU-Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Auswärtigen Amt, mit den Protestlern ins Gericht. „Diese Aktion ist nichts, worauf man stolz sein kann“, sagte Güler dem „Spiegel“. „Ich fand sie äußerst unpassend und befremdlich.“ Güler ist auch Co-Vorsitzende des CDU-Migrationsnetzwerks. Ihre Eltern kommen aus der Türkei. Die CDU-Politikerin war von 2017 bis 2021 zudem Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen.

Ein Zwischenruf kam auch von einer Gast-Autorin der Zeitschrift „Emma“ unter der Überschrift „Heimat der Selbstkritik – aber nur für Einheimische?“. „Viele dieser Stipendiatinnen und Stipendiaten haben in Deutschland gemeinsam mit ihren Familien Schutz und Sicherheit gefunden. Schon früh erhielten sie umfassende Unterstützung für ihre Bildung – etwa durch Programme wie ‚Bildung und Teilhabe‘, finanzierte Nachhilfe oder bezahlte Klassenfahrten. Nun bekommen sie Stipendien, die ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen sollen – für sie selbst, aber auch für Deutschland, das inzwischen ihre Heimat ist“, führte Monireh Kazemi aus, deren Familie aus dem Iran stammt.

Insbesondere mit Blick auf muslimische „Communities“ vermisse sie jedoch die Bereitschaft, an sich zu arbeiten und auch Selbstkritik zu üben. Als Stichworte nennt Kazemi extremistische Parolen, Diskriminierung von Geschlechtern oder Homosexuellen sowie den sozialen Druck zum Kopftuchtragen. Dies werde wenig bis gar nicht aufgearbeitet, während Themen wie Diskriminierung und Rassismus beständig verhandelt würden. Ihr Fazit: „Diese Stipendiatinnen und Stipendiaten wissen sehr genau, was der Bundeskanzler gemeint hat. Dennoch instrumentalisieren einige von ihnen die fehlerhaften Äußerungen von Merz populistisch, um eine ohnehin verunsicherte Öffentlichkeit weiter zu verunsichern und zum Schweigen zu bringen.“

Aufhänger von Protest und Debatte ist die nach wie vor schwelende „Stadtbild“-Debatte. Merz hatte Mitte Oktober bei einem Termin gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte, „aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“. Erst eine Woche später wurde er konkreter: Probleme machten jene Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und sich nicht an Regeln hielten.

Verdienste der Preisträger rücken in den Hintergrund

Andere Kommentatoren bemerkten bei X, dass die Protestler mit ihrer Aktionen den Preisträgern einen Bärendienst erwiesen hätten. Über deren Verdienste und Talente sei wegen des Eklats kaum berichtet worden. Bei der Veranstaltung wurden Sportlerinnen und Sportler mit dem Talisman-Preis geehrt, die sich zum Thema von Sport und gesellschaftlichem Zusammenhalt engagieren. Veranstalter ist die Deutschlandstiftung Integration, deren Schirmherr wiederum Merz ist.

Der Kanzler lobte in seiner Rede, die er anscheinend unbeeindruckt hielt, das Engagement der Anwesenden. „Sie sind Vorbilder für so viele junge Menschen, wie wir sagen mit Migrationshintergrund“, sagte Merz. „Sie zeigen, dass sich diese Anstrengung lohnt.“ Die meisten von ihnen hätten mehr Anstrengungen aufwenden müssen als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte und seien manchen Vorbehalten wegen ihrer Namen oder wegen Äußerlichkeiten ausgesetzt gewesen, und nicht wegen ihres Charakters oder Fähigkeiten beurteilt worden.

„Deutschland ist ein Einwanderungsland“, hob der Kanzler hervor. Die Geschichte der Bundesrepublik wäre ohne Einwanderung anders geschrieben worden, nicht besser, sondern schlechter. Merz machte zugleich deutlich, dass Zuwanderung gestaltet und gesteuert werden müsse.

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