Die Unions-Hysterie um Johann Wadephul ist Ausdruck nackter Angst
Johann Wadephul hat sich bestimmt nicht besonders klar ausgedrückt, als er über Abschiebungen nach Syrien sprach. Aber fest steht: Er hat sie mitnichten ausgeschlossen. Der Außenminister hat, wie man es von einem Vertreter einer christlichen Regierungspartei erwarten kann, in einer Mischung aus Empathie und Realitätssinn schlicht deutlich gemacht, dass Abschiebungen nach Syrien nicht so leicht zu verwirklichen sein werden wie eine Beamtenversetzung von Bonn nach Berlin.
Die Art und Weise, wie nun große Teile der Union über den Außenminister regelrecht herfallen, kann man deshalb nur noch als hysterisch bezeichnen. Dabei hat der Unmut über Wadephul nur sehr am Rande mit der konkreten Frage zu tun, welche Voraussetzungen für eine Abschiebung in Deutschland und in Syrien vorliegen müssen. Der wahre Grund für das Wadephul-Bashing liegt darin, dass die Migrationspolitik aus Sicht der Union nach einem halben Jahr der Kanzlerschaft von Friedrich Merz das einzige, aber auch wirklich das einzige Feld ist, auf dem sie konkrete Erfolge vorweisen zu können glaubt.

Außenminister Wadephul in seiner CDU wegen Syrien-Aussage unter Beschuss
Die Wirtschaft kommt nicht in Gang, die Arbeitslosigkeit steigt, die Stimmung ist mies, die AfD klettert in den Umfragen unaufhörlich nach oben. In allem, was Friedrich Merz sich auch selbst gerne als Kompetenz zuschrieb, zuvorderst in der Wirtschaftspolitik, erweist er sich zumindest bislang als, nun ja, unterkompetent. Ja, diese Koalition hat schon einige gesetzliche Stimulantien für mehr Investitionen und Wachstum auf den Weg gebracht, aber eine Besserung ist noch nicht spürbar, nirgends, entgegen der Ankündigungen des Kanzlers. Und aus riesigen Haushaltslöchern glotzen den Koalitionären schon die nächsten Probleme entgegen.
Jens Spahns hanebüchene Parallele
Der Tumult, den einige Unionisten über Wadephuls Aussagen veranstalten, ist deshalb leicht durchschaubar: Es ist der Ausdruck der Angst, ja der Panik, dass man nun auch noch in der Migrationspolitik als zu weich erscheinen könnte. Die Minderung der Asylbewerberzahlen und die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung sind die einzigen Nuggets, die die Union bisher im Sieb der Regierungsarbeit gefunden hat, hineingespült nicht zuletzt auch von Maßnahmen der Vorgängerregierung und – Ironie der Geschichte – vom Ende des Bürgerkriegs in Syrien. Deshalb muss es immer weiter gehen, raus, raus, weg mit den menschlichen Relikten der schlimmen Merkel-Politik.

Ahmed al-Scharaa Wie nah steht Syriens Präsident dem IS?
Kein Argument ist nun doof genug, um die Syrer möglichst schnell loszuwerden. Ganz besonders profiliert sich dabei mal wieder Fraktionschef Jens Spahn mit einer wirklich hanebüchenen Parallele: "Stellen Sie sich vor, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in den Trümmern. Wenn die Großväter und Großmütter unser Land nicht wieder aufgebaut hätten? Wie sähe es heute aus?"
Es bedarf schon einer gehörigen Portion populistischer Ignoranz, den Wiederaufbau hierzulande, der politisch von den Siegermächten organisiert und zumindest im Westen von den USA finanziell massiv unterstützt wurde, als Vorbild für Syrien zu nehmen, das von einem Diktator im Krieg gegen die eigenen Bürger verwüstet wurde, dessen ethnische Konflikte noch jede Menge Sprengstoff bergen, auf dessen Gebiet von der Türkei über Russland bis hin zu Israel und dem Iran rivalisierende Mächte vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen und für das bislang von einer Art internationalem Marshall-Plan weit und breit nichts zu sehen ist. Aber bitte, welche Rolle spielen schon Fakten in einer überhitzten innenpolitischen Diskussion?
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Johann Wadephul schadet der Union – weil er ihre Schwäche offenbart
Johann Wadephuls Äußerungen schaden der Union – aber nicht, weil er angeblich einer zu nachgiebigen Migrationspolitik das Wort redet, sondern weil er zeigt, wie leicht sich CDU und CSU in ihrer Angst vor dem eigenen Scheitern aufscheuchen lassen. Generalsekretär Carsten Linnemann versuchte mit dem Wort vom Scheinkonflikt einzufangen, was längst außer Kontrolle geraten war.
Kanzleramtsminister Thorsten Frei definierte bestimmte Gruppen von Syrern, die bei einer Rückkehr nichts zu befürchten hätten – und dann kam der Bundeskanzler und sagte: Krieg vorbei, alle nach Hause, raus, raus mit ihnen. Natürlich ist auch das blanker Unsinn. Aber in dieser Regierungs-CDU darf eben jeder sagen, was er will, und der Kanzler spricht nur als einer von vielen.

Reise in die Türkei Was hinter dem Besuch von Charlotte Merz bei Erdogan steckt
Allerhand ist nun zu lesen, dass es sich bei Wadephul um einen Wiederholungstäter handele, was das Abweichen von Regierungs- oder Unionslinie angehe. Man kann die Bilanz des Außenministers aber auch ganz anders lesen: Zum Entsetzen von Kanzler und Koalition kündigte der Außenminister einst an, Deutschland werde das Fünf-Prozent-Ziel der Nato mitmachen – am Ende kam es genau so. Zum Verdruss seines Kanzlers sagte Wadephul, ein Einsatz der Bundeswehr in der Ukraine würde die Bundeswehr überfordern – kurze Zeit später war Merz dann derselben Meinung. Zum Ärger vieler in der Union warnte Wadephul vor einer "Zwangssolidarität" mit Israel – kurze Zeit später schränkte der Kanzler Waffenlieferungen ein.
Vielleicht ist Johann Wadephul in dieser Regierung einfach der Realist. Und manch anderer nur ein Sprücheklopfer.
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