Friedrich Merz und Daniel Günther – auf einmal ziemlich beste Freunde
Es gab Zeiten, in denen konnten Friedrich Merz und Daniel Günther sich kaum ausstehen. Und andersherum. 2020 zum Beispiel, als Merz mit dem damaligen nordrhein-westfälischen Regierungschef Armin Laschet um den Vorsitz der CDU rang und Günther seiner Partei ausdrücklich Laschet empfahl. Oder 2023, einem Jahr, in dem Merz eine Intervention Günthers zum Umgang der Union mit der AfD ausdrücklich als „Einzelmeinung“ abkanzelte und anschließend ausgerechnet einen Besuch im schwarz-grün regierten Kiel dazu nutzte, die Grünen zum „Hauptgegner“ der Union zu ernennen. Merz und Günther, das waren in diesen Jahren Hund und Katze.
Davon kann am Montagnachmittag im regengrauen Nordfriesland keine Rede sein. Merz und Günther präsentieren sich beim Antrittsbesuch des Bundeskanzlers im nördlichsten Bundesland durchgehend als allerbeste Parteifreunde. Er sei „sehr stolz darauf, dass du hier bist“, begrüßt der Kieler Regierungschef den Kanzler aus Berlin und lächelt zugewandt. Merz wiederum freut sich sehr „dass ich hier sein kann“ und vermeidet in den folgenden drei Stunden zumindest öffentlich jede abweichende Meinungsäußerung. Daniel Günther und Friedrich Merz, ein Herz und eine Seele oder, wie es der Schleswig-Holsteiner später am Nachmittag nur ein wenig nüchterner formuliert, „Land und Bund – Seite an Seite“. Sticheleien, Rüpeleien, Nörgeleien – an diesem Tag: Fehlanzeige.
Stattdessen legt Merz gleich zu Beginn seiner Visite, bei der Besichtigung eines schleswig-holsteinischen Vorzeige-Unternehmens für Erneuerbare Energien in der nordfriesischen Kleingemeinde Reußenköge, jenes Bekenntnis ab, das hier, im Windkraft-Musterland, alle hören wollen von einem Bundeskanzler: „Es bleibt dabei“, beteuert Merz geflissentlich, „der Ausbau der regenerativen Energien ist ein sehr wichtiger Bestandteil unserer zukünftigen Energiepolitik. Und da ist Schleswig-Holstein Spitzenreiter.“ Kräftiger Händedruck unter Männern. Dann lässt sich der Kanzler, tapfer bei Wind und norddeutschem Nieselregen, noch eine Biogas-Anlage und einen schon etwas in die Jahre gekommmenen Elektrolyseur zeigen. Vom Ministerpräsidenten gibt’s etwas später im Gegenzug als Geschenk für Gast und Entgegenkommen eine Patenschaftschaftsurkunde für ein verwaistes Seehund-Baby, das in der Seehundstation in Friedrichskoog großgezogen werden soll.
Ein freundliches Miteinander also dieses lange Zeit eher auf gegenseitige Abgrenzung bedachten Duos. Ein Wandel, der zumindest auch darauf beruht, dass Merz mittlerweile trotz Günthers zähem Widerstand zum CDU-Bundesvorsitzenden und später dann zum Bundeskanzler gewählt wurde. Die Union, zumindest der machtbewusstere Teil ihrer Spitzenpolitiker, sieht sich nach wie vor immer noch als Kanzlerwahlverein, in dem Loyalität Pflicht ist für einen christdemokratischen Ministerpräsidenten. Und zwar erst recht in Zeiten, in denen ein Bundeskanzler und sein Kabinett nicht mehr nur alle vier Jahre auf dem politischen Prüfstand stehen, sondern im Grunde tagtäglich. Also vermeidet Günther jeden möglichen Misston, jedes womöglich falsch zu verstehende Wort.
Vor dem Husumer Rathaus, in dem Merz rund 80 Minuten mit dem Kieler Kabinett „tolle Gespräche“ (Günther) führt, haben sich bei der Anfahrt des Kanzlers wie zum Beweis für den aktuellen gesellschaftlichen Daueralarm rund 200 Demonstranten versammelt. Sie sind Mitglieder der Initiative „Nordfriesland bleibt bunt“, der „Omas von rechts“ und ein paar anderen „antifaschistischen“ Organisationen und wollen Merz noch einmal ihre Sicht auf die von einem seiner Nebensätze ausgelöste „Stadtbild“-Debatte unter die Nase reiben. Das gelingt nicht so richtig, weil Kanzler und Ministerpräsident angesichts des Aufzuges auf einen ursprünglich geplanten Gang entlang des Husumer Hafenbeckens verzichten. Im Rathaus selbst, auch bei der im Anschluss an die Kabinettssitzung mit dem Kanzler im gegenüberliegenden Husumer Schifffahrtsmuseum angesetzten Pressekonferenz spielt das „Stadtbild“ keine Rolle mehr.
„Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland“, sagt Merz
Dort verscheucht stattdessen der nächste Aufreger zumindest für einen Moment den harmonischen Grundton dieses Kanzler-Besuchs. Friedrich Merz nimmt beim Thema Abschiebungen nach Syrien nicht allzu viel Rücksicht auf den aus Schleswig-Holstein stammenden Bundesaußenminister Johann Wadephul. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland. Und deshalb können wir auch mit Rückführungen beginnen“, sagt der Bundeskanzler und konterkariert so Wadephuls Zweifel an baldigen Abschiebungen nach Syrien.
Daniel Günther äußert sich nicht zu Wadephul, deutet aber an, dass es in der Migrationspolitik generell noch einen Rest von unterschiedlichen Auffassungen gibt zwischen Berlin und Kiel, zwischen Kanzler und Ministerpräsident. Es lohne sich womöglich, sagt Günther, „ein bisschen zu streiten“ zum Beispiel über die Frage, wie hoch die Hürden beim Thema Deutschkenntnisse denn wirklich sein müssten, wenn es darum gehe, „Menschen, die schon hier im Land sind“ in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Merz bedankt sich daraufhin zwar für die von den Kielern angestoßene Debatte und räumt ein, dass man sich „sehr einig“ darüber sei, „dass wir das schneller und besser voranbringen wollen, als es uns in der Vergangenheit gelungen ist“. Schon im folgenden Satz aber betont der Kanzler – ein wenig vernuschelt, aber doch deutlich – dass man „diejenigen, die kein dauerhaftes Bleiberecht haben“ dazu veranlassen müsse, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.
Dann verabschiedet sich der Kanzler aus Husum. „Noch einmal herzlichen Dank. Das war wirklich eine sehr, sehr gute Diskussion.“
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke