Der Moment, als Kretschmer einen anderen Umgang mit der AfD fordert
Nicht immer, aber doch immer wieder gerne lässt Michael Kretschmer den Wutpolitiker aus sich heraus. Zum Beispiel am späten Mittwochabend in der ARD, in der Sendung "Maischberger". Der sächsische Ministerpräsident, der in der Bundes-CDU ein Stellvertreter des Vorsitzenden Friedrich Merz ist, verknautscht das Gesicht, gestikuliert mit der rechten Hand und sagt: "Wenn wir diese Politik in der Art und Weise in der Bundesrepublik Deutschland betreiben" – im Streit und mit einer Wir-wissen-schon-wie-es geht-Haltung – "dann wird das mit Sicherheit schiefgehen!"
Es geht, was sonst, um den aktuellen Zoff der Regierungspartner Union und SPD um die Wehrpflicht. Später, beim Auftritt des früheren österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz, wird es in der Talkshow auch um Donald Trump und Russland gehen. Aber vor allem geht es an diesem Abend wieder einmal um eine Partei, die mittlerweile wie ein Alb auf der CDU lastet: die AfD.
Eine "konditionierte Gesprächsbereitschaft" mit der AfD?
Gleich mehrere ehemalige Unionspolitiker sagen deshalb im aktuellen stern etwas laut, was viele aktive Funktionäre nur zu flüstern wagen: Dass der Umgang zu der teils rechtsextremem Partei überdacht werden müsse.
Angela Merkels einstiger CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte, dass die CDU über "eine neue Politik der roten Linien" nachdenken müsse, die es ihr aber auch erlaube, "Beschlüsse zu fassen, denen die AfD zustimmt". Der Historiker Andreas Rödder warb mit Blick auf die extreme Rechte für eine "konditionierte Gesprächsbereitschaft". Und der frühere CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg meint: Entzauberung gelinge nicht durch Boykott.

Brandmauer Wie die CDU hinter den Kulissen an einem neuen AfD-Kurs arbeitet
Vor allem die Aussage Taubers sorgt für Aufregung, das Zitat wird während der Sendung eingeblendet. Und Moderatorin Sandra Maischberger fragt ihren Gast Kretschmer dazu: "Hat er recht?"
Der Ministerpräsident atmet tief ein. Da muss er jetzt mal wieder durch. Tauber und Guttenberg seien "sehr klug", antwortet er. Denn ihre Sätze bedeuteten keine Normalisierung der AfD, so wie es einige Überschriften insinuiert hätten. Und dies stehe auch gar nicht im Text des stern. Die AfD sei nun mal keine normale Partei, sondern "ein rechtsextremer Verdachtsfall, oder bei uns in Sachsen auch, gesichert rechtsextrem".
Das ist erst einmal das, was Kretschmer immer sagt, im Gleichklang mit der CDU-Bundesspitze. Aber der Regierungschef weiß auch, dass er am Sonntag in Berlin mit Merz und dem CDU-Präsidium zusammensitzen wird, um über die Strategie gegen die AfD zu beraten. Oder eher: über eine neue Strategie.
Und so macht Kretschmer an diesem Mittwochabend auch deutlich: So wie die CDU bisher mit der AfD umgegangen sei, habe dies nur dazu geführt, dass die Partei immer größer wurde. Die AfD, sagt er, sei "nie in den Begründungszwang" geraten, zu belegen, "ob ihre Ideen richtig sind". Weil: "Es gibt ja die Brandmauer."

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Danach folgt der entscheidende Satz Kretschmers: "Deswegen muss man einen anderen Umgang finden." Man müsse über "die Ursachen sprechen, warum die Menschen diese Partei wählen, warum sie an der Demokratie zweifeln".

Karl-Theodor zu Guttenberg "Man muss die AfD in ihren Argumenten stellen"
Man, das ist natürlich die CDU.
Kretzschmer fordert bei "Maischberger" anderen Umgangn mit AfD
Dennoch wäre es falsch, aus diesen Sätzen zu schließen, dass Kretschmer künftig mit der AfD aktiv zusammenarbeiten will. Dafür hat er schon zu viel erlebt. Seit Kretschmer bei der Bundestagswahl 2017 seinen Görlitzer CDU-Wahlkreis an Tino Chrupalla verlor, befindet er sich in einer Art Nahkampf gegen die AfD. Inzwischen führt er in Dresden nur noch eine CDU-SPD-Minderheitsregierung, die sich im Landtag von Grünen, Linken und punktuell vom BSW stützen lässt. Die AfD belegt fast ein Drittel der Parlamentssitze und blockiert die Dinge, wo es nur geht.
Der Ministerpräsident ist damit gleich doppelt gefangen in jenem Unvereinbarkeitsbeschluss, den ein Bundesparteitag der CDU Ende 2018 gegen AfD und Linke fasste. Bei "Maischberger" wird wieder deutlich, für wie akademisch, ja wirklichkeitsfremd Kretschmer das Dogma hält. Die AfD, das betont er unermüdlich, sei eindeutig rechtsextremistisch, da verbiete sich jede Kooperation oder gar Koalition von selbst. Und die Linke? Die trenne von der CDU "Welten". Aber, und damit ist er bei der sächsischen Praxis: "Wenn man bei Sachthemen gemeinsam arbeitet, wo ist das Problem?"
Was hätte Sebastian Kurz gesagt?
Man hätte nun noch ganz gerne gewusst, was Sebastian Kurz zu diesem christdemokratischen Dilemma sagt, doch Sandra Maischberger befragt ihn leider später nur separat und ausschließlich zur großen Weltpolitik. Aber wahrscheinlich ist der einstige Kanzler Österreichs auch nicht unbedingt die Instanz, von der sich die CDU beraten lassen sollte; selbst nicht Jens Spahn, der zu Kurz eine große Nähe pflegte.
Als Kanzler jedenfalls war der Österreicher überaus geschmeidig, wenn es um die Macht ging. Erst koalierte er mit der rechtsäußeren FPÖ und später dann mit den Grünen, bis er schließlich wegen diverser Korruptionsvorwürfe zurücktrat. Inzwischen arbeitet er als "Global Strategist" für den Tech-Milliardär Peter Thiel, der bekanntlich nicht viel von der Demokratie hält. Aber das muss, na freilich, einen Sebastian Kurz nicht stören.
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