Wie geht es weiter für die 20 israelischen Geiseln?
"Das sind die Momente, an die ich mich auch noch mit 70 oder 80 Jahren erinnern werde", sagt Michal Steinman der BBC. Steinman ist Pflegedienstleiterin am Rabin Medical Center in Petah Tikva in Israel. Sie gehört zu denjenigen, die die israelischen Geiseln in Empfang genommen haben. Am Montag wurden die letzten 20 Überlebenden von der Hamas aus dem Gazastreifen freigelassen.
"Es gibt kein Fachgebiet wie Geiselmedizin, wir erfinden es gerade", sagte Steinman zwei Tage vor der Übergabe der BBC. Das Rabin Medical Center ist eines der drei Krankenhäuser, in das die Männer gebracht wurden.
Wie hilft man Menschen wieder ins Leben, die zwei Jahre lang Unvorstellbares gesehen und erlebt haben? Die Familie und Freunde sterben sahen, selbst hungerten, gefoltert oder vergewaltigt wurden, ihr Zuhause verloren haben?
Erst der Weg nach Israel, dann die Reha
Die Geiseln wurden am Montag dem Roten Kreuz in Gaza übergeben, bevor sie zur Militärbasis Re'im im Süden Israels gebracht wurden. Dort konnten sie engste Angehörige treffen und wurden medizinisch untersucht. Mehrere Hubschrauber standen bereit, um sie bei Bedarf sofort zur Behandlung in eines von drei israelischen Krankenhäusern zu fliegen, darunter das Rabin Medical Center.

Fragiler Friede Der Krieg scheint vorbei – in den Köpfen der Israelis aber geht er weiter
Im Krankenhaus werde jede Geisel von mehreren Spezialkräften betreut, teilte das Krankenhaus mit, darunter Physiotherapeuten, Sprach- und Ergotherapeuten, Psychologen und Ernährungsberater.
Ihre Räumlichkeiten sehen nicht nach typischer Klinik aus – eher nach Hotel. Freunde und Familie konnten die Zimmer vorher persönlich gestalten. An der Tür jedes Privatzimmers hänge ein "Bitte nicht stören"-Schild, sagt Steinman der BBC. Die Einrichtung ist gemütlicher, die Beleuchtung sanfter, die Monitore sehen anders aus. Falls die Patienten nicht alleine bleiben wollen, steht ein zusätzliches Einzelbett bereit. Die engsten Familienangehörigen haben ebenfalls ein eigenes Schlafzimmer auf dem Flur.
Die israelische Regierung hat für jede wiedergekehrte Person ein Willkommenspaket vorbereitet. Es enthält praktische Dinge wie Kleidung, persönliche Ausstattung, einen Laptop oder ein Handy. Beigelegt ist aber auch eine handschriftliche Nachricht von Premierminister Benjamin Netanjahu und seiner Frau Sara.
Es ist ein Anfang, um das eigene Leben wieder aufzubauen. Den Überlebenden soll es zumindest objektiv an nichts fehlen.
Diese 20 noch lebenden israelischen Geiseln sind frei

Zurück in Israel mussten sich mehrere der ehemaligen Geiseln Operationen unterziehen. Teils müssen sie lernen, wieder zu sprechen oder zu essen. "Man muss entscheiden, was dringend ist und was noch zwei Tage warten kann. Man muss bescheiden und flexibel sein, ohne die medizinische Verantwortung aus den Augen zu verlieren", so Steinman zur BBC. Dazu gehört auch ein Gespür dafür, wie viel die Patienten essen können und wie schnell. Während ihrer Gefangenschaft haben manche mehr als die Hälfte ihres Körpergewichts verloren.
Einige Symptome treten erst nach Tagen auf, andere nach Wochen. Ärztinnen und Ärzte seien deshalb auch "Detektive", so Steinman. Früher freigelassene Geiseln, die abgemagert und gefesselt waren oder geschlagen wurden, "hatten Dinge in ihren Blutuntersuchungen, in ihren Enzymen, die wir nicht verstehen konnten". Die Gefangenschaft habe Auswirkungen, an die der Körper noch lange erinnere. "Man sieht all diese Spuren."
"Wir werden sie in keiner Weise unter Druck setzen", sagte ein Sprecher des Sheba-Krankenhauses dem "Guardian". Für die ganze Reihe an medizinischen Untersuchungen würde sich die Klinik Zeit nehmen. "Sie können so lange wie nötig im Sheba-Krankenhaus bleiben, um die medizinische oder psychologische Versorgung zu erhalten, die sie in Zukunft benötigen werden."
Seit diesem Jahr gibt es auch Langzeit-Stationen.
Die ehemaligen Geiseln müssen wieder ins Leben finden
250 Menschen wurden am 7. Oktober bei dem Angriff der Hamas in den Gazastreifen verschleppt. Dutzende haben nicht überlebt. Die Überlebenden, die seit Montag alle zurück in Israel sind, werden noch lange psychologische Betreuung benötigen – ebenso wie die Familien der Überlebenden und der Verstorbenen.

Das Wichtigste sei der Faktor Zeit, sagt Karina Shwartz der BBC. Sie ist Direktorin für Sozialarbeit am Rabin Medical Center: "Wir können nicht in einer Woche über zwei Jahre sprechen. Die Geiseln brauchen Raum und Zeit. Sie brauchen auch Ruhe. Wir müssen zuhören. Ihrer Geschichte zuhören."
Auch wurden die Geiseln ungewollt zu Berühmtheiten in Israel, worauf die wenigsten vorbereitet sein dürften. Jeder kennt ihre Namen. An ihre Gesichter erinnern seit zwei Jahren Plakate, die im ganzen Land verteilt sind. "Jeder wird mit ihnen befreundet sein wollen. Wir sagen ihnen: Es ist in Ordnung, Nein zu sagen. Es ist sicher, Nein zu sagen", so Shwartz.
"Der Prozess endet nicht mit der Freilassung – er beginnt damit", erklärte das Forum für Geiseln und vermisste Familien in einer Stellungnahme am Montag. Die Männer bräuchten "medizinische Versorgung, enge Betreuung und Ruhe – und vor allem die Wiederherstellung ihrer Identität als Menschen, nicht als 'Geiseln'".
Quellen: "New York Times", "Guardian", BBC, "Bild"
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