In seiner Zeit als Nato-Generalsekretär hatte es Jens Stoltenberg mit Donald Trump zu tun wie mit Wladimir Putin – und hat daraus seine ganz persönlichen Lehren gezogen.

Mächtigster Norweger der Welt – "Verdens mektigste nordmann" –, so nannten norwegische Medien Jens Stoltenberg gern während seiner zehn Jahre an der Spitze der Nato. Heute, ein gutes Jahr nach seinem Abschied als Chef des Bündnisses, bleibt der 66-Jährige ein einflussreicher Mann. Gerade hat seine Popularität, Umfragen zufolge besonders bei den Norwegerinnen, Ministerpräsident Jonas Gahr Støre die Wiederwahl gerettet. Seit Februar ist Stoltenberg Finanzminister in dessen Kabinett.

Auch international bleibt Stoltenberg gefragt. Die Münchener Sicherheitskonferenz hat ihn zu ihrem Vorsitzenden gemacht – und wartet geduldig darauf, dass er Zeit findet, das neue Amt anzutreten. Und auch Donald Trump lässt den Kontakt nicht abreißen.

Herr Minister, am Freitag kommender Woche wird in Oslo verkündet, wer mit dem Friedensnobelpreis 2025 geehrt werden soll. Blicken Sie mit Sorge auf diesen Tag?
Ich freue mich auf die Bekanntgabe des Preisträgers durch das norwegische Nobelpreis-Komitee. Ich weiß bis dahin auch nicht, wer den Preis bekommt.

US-Präsident Donald Trump hat mehrfach Anspruch auf den Preis erhoben. Norwegische Medien berichten, er habe Sie sogar persönlich auf das Thema angesprochen. Fürchten Sie, er könnte es Norwegen verübeln, wenn er enttäuscht wird?
Das Nobelpreis-Komitee ist unabhängig. Die norwegische Regierung hat keinen Einfluss auf die Preisvergabe. Ich bin zuversichtlich, dass sich die US-Regierung darüber im Klaren ist, wie die Entscheidung über die Vergabe des Friedenspreises getroffen wird.

© SIPA USA/Dominika Zarzycka / Action Press

Zur Person

National und international erfahren: Jens Stoltenberg war insgesamt neun Jahre lang norwegischer Ministerpräsident. Von 2014 bis 2024 stand er der Nato als Generalsekretär vor. In seiner Autobiografie „Auf meinem Posten“ blickt er auf diese Zeit zurück (Siedler, 528 Seiten, 32 Euro).

Im neuen Buch über Ihre Zeit als Nato-Chef zitieren Sie einen Rat von Trumps ehemaligem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton: "Diskutieren Sie nicht mit Donald Trump." War das auch ihr Motto?
Drei Dinge waren für mich im Umgang mit Donald Trump wichtig. Erstens: Aktiv den Austausch suchen. Als er ins Amt kam, glaubten manche, es sei besser, Trump gegenüber die Nato so wenig wie möglich zu erwähnen, um keine negativen Reaktionen auszulösen. Ich habe das Gegenteil getan. Zweitens: Die Verteidigungsausgaben erhöhen. Das ist richtig, unabhängig von der Frage, ob die USA weiter zur Nato stehen. Und drittens: Trump zeigen, dass eine starke Nato im Interesse der Vereinigten Staaten ist.

Beim Nato-Gipfel im Sommer 2018 stand Trump kurz davor, den Austritt der USA aus der Nato zu erklären. Ihnen gelang es, ihn in letzter Minute zu besänftigen. Wie wichtig ist die persönliche Chemie? Und warum, glauben Sie, kommt Trump heute besser mit Friedrich Merz heute klar als damals mit Angela Merkel?
Über Fragen der persönlichen Chemie möchte ich nicht spekulieren. Wichtig ist, dass es seither eine deutliche Veränderung der deutschen Verteidigungsausgaben gegeben hat. Das entscheidende Jahr war 2022, als Deutschland die Verteidigungsausgaben erhöht hat und das Nord Stream Projekt beendet hat. Ich war in beiden Punkten der gleichen Ansicht wie Trump. Die Europäer mussten mehr für Verteidigung ausgeben. Und sie machten sich erpressbar, indem sie so viel Gas aus Russland kauften. Seither haben sich die Dinge in Deutschland stark verändert. Das ist der Grund für das bessere Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland.

Stoltenberg mit Donald Trump während dessen erster Amtszeit © Yves Herman / REUTERS

Dieser Tage verletzen russische Drohnen nahezu täglich den Luftraum über Europa. Die Europäer haben kein wirksames Mittel dagegen und sind sich zudem uneins über die Frage, wie man reagieren soll. Putin kann zufrieden sein, oder?
Wir sollten diese Luftraumverletzungen einzeln behandeln, weil sie nicht alle gleich sind. Es war richtig, über Polen Drohnen abzuschießen. Aber das ist offensichtlich nicht immer die richtige Antwort. Der Schlüssel liegt darin, ebenso entschieden wie besonnen zu reagieren. Die Vorfälle unterstreichen, wie notwendig unsere verstärkte Präsenz im östlichen Teil des Bündnisses ist. In Polen haben polnische F-16-Kampfjets, niederländische F-35, deutsche Patriot-Batterien und italienische Awacs-Aufklärer gemeinsam den Luftraum geschützt.

Selbst nach über drei Jahren Drohnenkrieg in der Ukraine fehlt den europäischen Nato-Partnern ein wirksames Konzept zur Drohnenabwehr. Während des EU-Gipfels in Kopenhagen kamen Drohnen-Spezialisten aus der Ukraine angereist, um den Luftraum zu schützen. Ein Grund zur Verzweiflung oder zur Zuversicht?
Die Ukrainer bauen inzwischen drei bis vier Millionen Drohnen pro Jahr. Sie haben technologische Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Feld wie kaum ein anderes Land der Welt. Ich habe neulich ein Ausbildungszentrum für ukrainische Soldaten hier in Norwegen besucht. Was dort passierte, war bemerkenswert: Die ukrainischen Offiziere unterrichteten die norwegischen Ausbilder im Drohnenkrieg. Das zeigt: Wir sind in einer Partnerschaft mit der Ukraine. Wir helfen ihnen, sie helfen uns. Und es zeigt auch, wie wichtig es für uns ist, dass die Ukraine sich auf dem Schlachtfeld behauptet.

Dieser Winter könnte für die Ukraine sehr hart werden

Schwedens Außenminister nennt die Ukraine "Europas Schwert". Wird diese Sichtweise den Winter überstehen, wenn Russland erneut die Energieversorgung des Landes lahmlegt?
Dieser Winter könnte für die Ukraine sehr hart werden. Wir müssen auf schwere Luftangriffe Russlands auf die Gasinfrastruktur vorbereitet sein. Aber das ändert nichts an den starken Fähigkeiten der Ukraine, wenn es darum geht, selbst Drohnenkrieg gegen Russland zu führen.

Sind Sie weiter der Ansicht, dass die Ukraine eines Tages Mitglied der Nato sein sollte?
Ja. Aber mir ist bewusst, dass viele in der Nato dagegen sind. Deshalb müssen wir nach zweitbesten Lösungen suchen, um die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten. Das bedeutet: Das Land so zu bewaffnen, dass sie mit unserer Unterstützung in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen.

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Über welchen Zeitraum sprechen wir?
Wie ein Krieg verläuft, ist nie vorhersehbar. Kriege neigen dazu, viel länger zu dauern, als am Anfang alle glauben. Darum halte ich mich mit Voraussagen über den Zeitpunkt des Kriegsendes zurück. Aber ich bin überzeugt: Dieser Krieg wird je schneller enden, desto stärker wir die Ukraine militärisch unterstützen. Putins Weltsicht können wir nicht ändern. Was wir ändern können, ist sein Kalkül. Wir können ihm zeigen, dass der Preis, den er für die Kontrolle der Ukraine zahlen muss, zu hoch ist. Deshalb begrüße ich, dass Deutschland heute das europäische Land ist, das hier am meisten leistet. Deutschland steht bei der Unterstützung der Ukraine an vorderster Front. Dafür bin ich dankbar.

Während des Nato-Gipfels im Juli 2018, als der transatlantische Zusammenhalt auf der Kippe stand, waren Sie auch persönlich in einer dramatischen Lage. Ihr Vater lag im Sterben, ein ehemaliger Außenminister Norwegens. Sie kamen noch gerade rechtzeitig nach Oslo, um ihn noch einmal zu sprechen. Dabei, erzählten Sie, gab er Ihnen einen Rat fürs Leben. "Du musst mit den Russen reden." Hat das für Sie noch immer Gültigkeit?
Ich habe mich immer für den Dialog mit Russland stark gemacht. Ob zu Beginn meiner Zeit als Nato-Generalsekretär. Oder noch davor, als ich norwegischer Ministerpräsident war. Damals traf ich Putin zum ersten Mal und wir erzielten mit Russland eine Einigung über unsere Seegrenzen in der Barentssee, über Fischereirechte und viele andere Dinge.

Das waren andere Zeiten. Nun führt Russland einen hybriden Krieg gegen die Nato.
Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine fehlt die Grundlage für einen sinnvollen Dialog. Aber natürlich müssen wir irgendwann wieder dazu zurückfinden, Russland wird schließlich nicht verschwinden. Es wird unser Nachbar bleiben. Auf Grundlage militärischer Stärke und glaubwürdiger Abschreckung kann das gelingen. Die Ukraine muss mit Russland sprechen, um diesen Krieg mit einem Abkommen zu beenden. Präsident Selenskyj hat erklärt, dass er jederzeit bereit sei, Präsident Putin zu treffen, nur nicht in Russland. Außerdem müssen wir irgendwann mit Russland – und auch mit China – ein neues System der Rüstungskontrolle schaffen. Sonst droht ein neues nukleares Wettrüsten. Das wäre sehr gefährlich. Und extrem teuer.

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