Kein Frieden mehr? Der schockierende Satz des Kanzlers
Der Bundeskanzler war diese Woche in Düsseldorf zu Gast, beim "Ständehaus-Treff" der "Rheinischen Post". Er plauderte darüber, wie lange er so am Tag arbeitet ("16 Stunden") und sinnierte über Ostdeutschland ("Es ist so vieles anders.").
Natürlich ging es auch um die Kriege dieser Zeit und darum, was sie für Deutschland bedeuten. Und so sprach Friedrich Merz: "Ich will's mal mit einem Satz sagen, der vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen schockierend ist, aber ich mein' ihn genau, wie ich ihn sage: Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden."
Nun ist der CDU-Kanzler bei Weitem nicht der Erste, der diesen Satz sagt. Auf Sicherheitskonferenzen und in Militärkreisen ist er beinahe Standard. "Wir befinden uns formaljuristisch nicht im Krieg, aber nach meiner Auffassung auch schon lange nicht mehr im Frieden", hatte etwa Generalleutnant André Bodemann schon im Januar verkündet.
Boris Pistorius ging voran
Doch dass die Politik die Formel aufgreift, ist neu. Nachdem sie der baden-württembergische CDU-Innenstaatssekretär Thomas Blenke im August auf einem Symposium mit der Bundeswehr genutzt hatte, erklärte am vergangenen Donnerstag SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius: "Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im kompletten Frieden."
Pistorius hatte gerade ein Treffen der Ost-Ministerpräsidenten in Thüringen absolviert und war auf die Drohnensichtungen in Dänemark angesprochen worden. "Wir werden attackiert", sagte der Minister, durch Drohnen, aber auch durch hybride Desinformationskampagnen. "Das ist die Realität, mit der wir es zu tun haben und mit der wir umgehen."
Tags darauf, bei einer Rede auf dem "Schwarz Ecosystem Summit" in Berlin, machte sich auch der Kanzler erstmalig die Formulierung zu eigen – um sie schließlich in Düsseldorf noch einmal zu bekräftigen. Ein rhetorischer Unfall, wie er Merz des Öfteren passiert, darf somit als ausgeschlossen gelten. In diesem Fall meint es der Kanzler tatsächlich so, wie er es sagt.

Ministerpräsidentenkonferenz Ein Kanzler als Ost-Versteher
Friedrich Merz und die Landtagswahlen
Trotzdem bleibt es ein heikler Balanceakt mit hohem politischen Risiko. Auf der einen Seite muss Merz die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Zeiten eines sicheren und weitgehend kostenlosen Friedens vorbei sind. Auf der anderen Seite darf er keine Kriegsangst verbreiten, denn davon profitieren vor allem Extremisten und Populisten.
Längst werfen AfD und BSW der Bundesregierung "Kriegstreiberei" vor. In den Kampagnen vor den 2026er Landtagswahlen – vor allem jenen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – dürften die beiden Parteien das Thema zentral platzieren.

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Wie schmal der politische Grat für Merz ist, hat ihm sein Amtsvorgänger vorgeführt. Zuerst verkündete Olaf Scholz nach der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 die "Zeitenwende" und leitete damit die größte Aufrüstungsphase seit der Wiedervereinigung ein. Nur zwei Jahre später, im Europawahlkampf 2024, ließ er sich als "Friedenskanzler" plakatieren. Das Ergebnis dieses kommunikativen Durcheinanders war ein Desaster.
Merz wirkt da konsistenter. Als Oppositionsführer trug er die 100 Milliarden Euro an Sonderkrediten für die Bundeswehr mit. Und als designierter Kanzler sorgte er dafür, dass die Schuldenbremse für Militärausgaben de facto nicht mehr gilt.
Dennoch übte auch Merz Zurückhaltung. So wiederholte er ausdrücklich nicht den von Pistorius eingeführten Begriff der "Kriegstüchtigkeit", sondern sprach lieber von "Verteidigungs- und Wehrfähigkeit". Und so oft er in der Oppositionszeit die Forderung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, auch aufstellte: Als Kanzler erfüllte er sie nicht.
In Richtung Alarm
Die jetzt von Merz vereinnahmte Formel versucht, diese Balance zu wahren ("kein Krieg"), verschiebt aber gleichzeitig das Gewicht deutlich in Richtung Alarm ("nicht mehr im Frieden"). Dies ist eine sinnfällige Interpretation der Wirklichkeit.
Denn ja, es gibt keine Kriegserklärung und keinerlei Kriegshandlungen – und damit auch keinen Krieg. Gleichzeitig jedoch werden Europa und die Nato von Russland attackiert, ob nun mit Cyberangriffen im Netz, Sabotageakten in der Ostsee, Attacken auf die Infrastruktur oder eben mit systematischen Luftraumverletzungen durch Drohnen und sogar Kampfflugzeuge.

Meinung Friedrich Merz, die AfD und der Herbst des Misstrauens
Ähnlich wie im Kalten Krieg bis 1990 ist die Situation gekennzeichnet von gezielten Provokationen, Stellvertreterkonflikten und Geheimdienstaktionen, nur dass inzwischen Dinge wie das Internet oder Drohnen hinzugekommen sind. Zwar ist Deutschland, durch das damals die zentrale Konfliktlinie lief, heute geeint. Aber dafür entsteht gerade aus der alten bi- und zwischenzeitlichen unipolaren Ordnung eine multipolare Unordnung.
"Wir sind in einer völlig anderen Welt", sagte Merz in Düsseldorf. Es ist eine Welt, in der auch in Deutschland kein Frieden mehr ist.
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