Ex-Kanzlerin Angela Merkel verkündete gerade, dass sie privat keine sozialen Medien nutzt. Das wäre nicht schlimm, wenn das nicht viele Politiker ähnlich sehen würden.

Seit ihrem Renteneintritt äußert sich die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nur noch selten öffentlich. Umso erstaunlicher, dass in einem aktuellen Interview ausgerechnet das Thema Social Media zur Sprache kam. Genauer gesagt: die Tatsache, dass sie die sozialen Medien selbst nicht nutzt.

"Ich selbst informiere mich über Zeitungen, TV-Sendungen und lese Online-Medien", sagte Merkel, 71, am Montag der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Sie sei darüber hinaus aber "nicht selbst aktiv auf X oder TikTok oder Instagram". Es sei der Ex-Bundeskanzlerin gegönnt, dass sie privat lieber zu klassischen Informationsmedien greift. Als – inzwischen – reine Privatperson hat sie natürlich das Recht dazu, Instagram und Co. links liegenzulassen. 

Ehemalige Kanzlerin Facebook, Instagram und Tiktok? Nichts für Angela Merkel

Angela Merkel liest lieber Zeitung als X

Für Angela Merkels Erben jedoch, die Politiker von heute, ist solche Ignoranz schlicht unprofessionell. Sie sollten längst erkannt haben, dass immer mehr junge Leute keine oder kaum noch klassische Medien konsumieren. Das zeigen Einschaltquoten im Fernsehen und Auflagenzahlen von Zeitungen. Diese Menschen – und dazu zählen längst auch unzählige 30- bis 40-Jährige – beziehen ihre Informationen oft nur noch über soziale Netzwerke. 

Man kann noch so bemüht versuchen, es wegzudiskutieren: Die "jungen" Leute erreicht man fast nur noch im Internet. Selbst da gehen sie längst nicht mehr auf so etwas Altmodisches wie Webseiten: Schon das Eintippen einer URL ist für Teenager heute gewissermaßen eine Zumutung. Stattdessen öffnen sie einfach ihre favorisierten Social-Media-Apps und scrollen sich durch Instagram, TikTok oder Snapchat. Dort sind die Inhalte direkt auf ihre Interessen und Aufmerksamkeitsspannen zugeschnitten. Und was dort nicht stattfindet, existiert für diese jungen Menschen nicht.

Doch ob sie sich beim Scrollen aktiv mit Friedrich Merz beschäftigen? Fraglich. Dem Instagram-Account @bundeskanzler folgen zwar stattliche 2,7 Millionen Menschen, Inhalte beschränken sich aber zumeist auf Hochglanz-Pressebilder von offiziellen Anlässen, dazwischen höchstens mal die Frage nach Merz' Lieblingsbuch. Auf TikTok hat er es etwas besser gemacht – interessanterweise aber nur, bis er nach seiner Wahl vom Partei- zum Kanzleraccount wechselte. Seither: Langeweile.

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Wer mitmischt, wird für junge Menschen greifbar

Ja, es wird viel gelacht über Markus Söder (CSU), der auf Instagram gern Bratwürste isst. Das kann man auf Dutzenden Ebenen kritisieren, und natürlich macht ihn das nicht zu einem guten Politiker. Aber es macht ihn zu einem Politiker, der für die Nutzer sozialer Medien greifbar ist. 

Oder Heidi Reichinnek (Die Linke), der auf TikTok mehr als 620.000 Menschen folgen. Sie hat erkannt, dass man im Netz anders kommunizieren muss, als das Politiker sonst gern tun: kurz fassen, auf den Punkt kommen, konkrete Ansagen machen. Das Ganze gern auch optisch einigermaßen knallig aufbereitet.

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Was die Beispiele von Söder und Reichinnek zeigen: Es funktioniert, wenn man es ernsthaft betreibt. 

Und das sollten andere Politiker endlich auch tun – und das Feld nicht allein der AfD und ihrem Umfeld überlassen. Die nämlich sind bekanntlich schon länger in den sozialen Medien aktiv und kennen die dortigen Spielregeln. Wer sich frisch in einem der größeren Netzwerke anmeldet, wird nicht lange warten müssen, bis ihm rechte Inhalte vom Algorithmus vorgeschlagen werden. Als Erwachsener mag man das empört wegwischen. Als Teenager schaut man es vielleicht erst einmal arglos an.

Kanzler überrascht Plötzlich ist Merz der neue Star am Social-Media-Himmel

Zur unbequemen Wahrheit gehört, dass sich AfD und Co. über Jahre einen Vorsprung im Netz erarbeitet haben, weil viele demokratische Politiker es lieber so halten wie Angela Merkel: Mit Social Media will man eigentlich nichts zu tun haben. Wenn überhaupt, lässt man vielleicht den jüngsten Mitarbeiter des Teams ein paar lieblose Inhalte erstellen oder postet Bilder von einer Aktentasche wie Ex-Kanzler Olaf Scholz. Mit dieser Art Boomer-Humor aber macht man der entsprechenden Zielgruppe deutlich, wie gering eigentlich das Interesse an ihr ist. Ein verheerender Eindruck, denn gerade junge Menschen haben ein feines Gespür für Authentizität.

Social Media – bloße Zeitverschwendung?

Heutzutage sind soziale Medien der einzige Weg, einen signifikanten Teil der jungen Wähler direkt zu erreichen. Müsste dann nicht auch ein Bundeskanzler, der sein Amt ernst nimmt, ganz selbstverständlich die entsprechende Zeit in seinen streng durchgetakteten Tag einplanen, um den Kontakt zu diesem Teil der Bevölkerung zu pflegen? 

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Friedrich Merz jedenfalls macht das bisher nur geringfügig besser als sein Vorgänger. Dabei ist Social Media effektiver als jedes Wahlplakat, um für sich, seine Inhalte und seinen Charakter zu werben. Warum nicht immer mal wieder einen Livestream veröffentlichen? Ein AMA ("Ask Me Anything" – Fragt mich alles) auf Reddit ansetzen, eine regelmäßige Fragerunde auf dem eigenen Instagramkanal?

Das Bild von Social Media sollte sich ändern

So sehr Angela Merkel jedes Recht hat, das Smartphone beiseitezulegen, so schön wäre es gewesen, wenn sie stattdessen in dem "NOZ"-Interview gesagt hätte, welchen Kanälen sie folgt, welche Inhalte sie wichtig findet, welche problematisch. Und damit zum Vorbild zu werden für ihre aktuellen Kollegen im Bundestag.

Allen aktiven Spitzenpolitikern sollte es darüber hinaus nicht nur wichtig sein, in den sozialen Netzwerken überhaupt aufzutauchen – sondern dort gut und erfolgreich aktiv zu sein. Warum um Wähler werben, aber nicht um Follower? 

Und: Niemand macht sich die Finger schmutzig, wenn er auch einfach mal selbst konsumiert und durch die Feeds scrollt. Es kann ja wirklich nicht schaden, zu wissen, was die jungen Leute gerade bewegt – oder was gewisse Gruppierungen ihnen dort zum Fraß vorwerfen.

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