Wenn die Zeiten härter werden, das Sicherheitsgefühl fragiler und das ökonomische Umfeld rauer, neigen die Menschen zum Rückzug ins Vertraute und zur Abgrenzung gegenüber dem Fremden. Die Akzeptanz von Vielfalt hat in den vergangenen sechs Jahren in Deutschland jedenfalls merklich nachgelassen. Vor allem ethnische und religiöse Diversität wird zunehmend abgelehnt. Das ist das Ergebnis des „Vielfaltbarometers“, das die Robert Bosch Stiftung am Dienstag vorgestellt hat.

Hatten im Vergleichsjahr 2019 noch 63 Prozent der Befragten zunehmende Vielfalt „eher“ oder „sehr stark“ als Bereicherung erachtet, waren es 2025 nur noch 45 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derjenigen, die Vielfalt als Bedrohung wahrnehmen, um 17 auf knapp 35 Prozent. Der auf einer Skala von 0 (sehr schwache Akzeptanz von Vielfalt) bis 100 (sehr starke Akzeptanz) gemessene Vielfaltsgesamtindex fiel in derselben Zeit von 68 Punkten im Jahr 2019 auf aktuell 63 Punkte. Damit liege der Wert zwar weiterhin über dem Mittelwert, der Rückgang sei jedoch substanziell und ein „deutliches Signal für wachsende gesellschaftliche Spannungen“, so die Stiftung. „Viele Menschen fühlen sich aktuell verunsichert oder überfordert. Verlustängste führen dazu, dass Abgrenzung als vermeintlicher Schutz empfunden wird“, sagt Ottilie Bälz, Bereichsleiterin Globale Fragen bei der Stiftung.

Für die jüngste Befragung wurden im Mai 4761 deutschsprachige Personen im Alter ab 16 Jahren online befragt, von denen 1074 einen Migrationshintergrund hatten. Verglichen werden die Ergebnisse mit denen des „Vielfaltsbarometers“ 2019.

Der Grad der Akzeptanz von Vielfalt wurde dabei mit 23 Aussagen aus den Bereichen Lebensalter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Religion und sozio-ökonomische Schwäche erfasst, zu denen Zustimmung oder Ablehnung geäußert werden sollte. Etwa zu Aussagen wie „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mit Ausländern lieber nichts zu tun haben“, „Die meisten Hartz-IV-Empfänger sind arbeitsscheu“, „Ich bin gegen die Frauenquote“ oder „Das Geschlecht zu ändern, ist wider die Natur“. Die Antworten wurden anschließend für den sogenannten Vielfaltsindex codiert.

Dabei zeigte sich, dass die Zustimmung zu gesellschaftlicher Vielfalt nicht in allen Bereichen rückläufig ist. Die Akzeptanz von Behinderung etwa blieb mit 82 Punkten (minus eins) hoch. Auch die Einstellung zum Lebensalter bleibt mit 71 (plus eins) konstant positiv. Beim Thema Geschlecht und Geschlechtergerechtigkeit von Frauen und Männern ist sogar ein positiver Trend zu verzeichnen – hier steigt die Akzeptanz um fünf Punkte auf 74 Skalenpunkte.

Einen spürbaren Rückgang gibt es hingegen bei der Akzeptanz gegenüber Vielfalt bei der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität – sie sank von 77 auf 69 Punkte. Das gesellschaftliche Klima in Bezug auf queere Menschen habe sich in jüngerer Zeit verschlechtert, heißt es dazu in der Studie. Vor allem bei der Frage zur Akzeptanz von Transpersonen seien die Zustimmungswerte gesunken, sagt Ferdinand Mirbach, Vielfaltsbeauftragter der Robert Bosch Stiftung und Co-Autor der Studie. „Das liegt möglicherweise auch an den harten und bisweilen unversöhnlichen Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz. Darüber können wir aber nur spekulieren.“

Die stärksten Verluste gab es bei der Akzeptanz von ethnischer Vielfalt. Sie rutschte im Zeitvergleich von 73 auf 56 Punkte ab. „Der deutliche Akzeptanzeinbruch in dieser Dimension über alle Bundesländer hinweg ist besorgniserregend“, heißt es dazu in der Studie. Besonders hoch sei die Ablehnung dabei in den ostdeutschen Bundesländern.

Noch geringer ist allerdings die Akzeptanz von sozioökonomischer Schwäche ausgeprägt, die zudem noch weiter abnahm – von 58 auf 52 Punkte. Dieser Abfall sei vor allem vor dem Hintergrund der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Situation, der verstärkten Zuwanderung und der Überlastung der Sozialsysteme zu sehen, sagt Regina Arant, wissenschaftliche Studienleiterin des „Vielfaltsbarometers“. „Gerade, wenn man selbst schwer über die Runden kommt, fällt die Empathie gegenüber Menschen, die Leistungen in Anspruch nehmen, eher schwach aus.“

Die geringsten Akzeptanzwerte gab es für den Bereich Religion. Die Zustimmung zu religiöser Vielfalt sank von 44 auf nur noch 34 Punkte. Bei diesem Wert müsse „klar von Ablehnung“ in der Bevölkerung gesprochen werden, heißt es dazu in der Studie. Die Autoren gehen davon aus, dass die Befragten dabei vor allem den Islam vor Augen hatten. „Die Analysen der Studie legen nahe, dass es nicht um die Ablehnung von Religion allgemein geht, sondern um eine zumindest verdeckte Ablehnung des Islam“, so Arant. Um diese These zu überprüfen, wurde in einem zweiten Schritt konkret danach gefragt, ob man gläubige Muslime, Christen oder Juden in der Nachbarschaft oder Familie haben möchte. „Hier haben wir gesehen, dass die Ablehnung gegenüber dem Islam viel stärker war als gegenüber Christen und Juden.“

„Kosmopoliten“ eher weiblich, westdeutsch und links

Die Autoren unterscheiden dabei drei Prototypen: Die Kosmopoliten, die etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind demnach eher weiblich, westdeutsch und politisch links geprägt und weisen überdurchschnittlich hohe Akzeptanzwerte für Vielfalt auf. 21 Prozent werden den „Protektionisten“ zugeordnet, eine stark ostdeutsch geprägte Gruppe, die insbesondere arme Menschen sowie ethnische und religiöse Vielfalt ablehnt. Und die noch fehlenden 30 Prozent werden als „Vielfaltsskeptiker“ eingestuft, oft männlich, jung und stark migrantisch geprägt. Diese Gruppe äußert sich besonders kritisch zu allen Vielfaltsdimensionen – mit Ausnahme von ethnischer Herkunft und Religion.

Die Studie zeige nicht nur die gesellschaftliche Spaltung, sie belege auch Tendenzen zu illiberalen Einstellungen in Teilen der Bevölkerung, bilanzieren die Autoren der Studie. „Diese Einstellungen stehen im Widerspruch zu im Grundgesetz garantierten Rechten wie etwa dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Gleichberechtigung und Religionsfreiheit, aber auch auf Freizügigkeit und Asyl.“ Vor diesem Hintergrund sei es „elementar, als gesamte Gesellschaft für demokratische Werte einzutreten, für Toleranz zu werben und die Bemühungen gegen Diskriminierung zu verstärken.“

Zudem zeige sich ein nennenswerter Teil der Bevölkerung „wohlstandsprotektionistisch“, heißt es mit Blick auf die Ergebnisse. Dies weise auf eine Sorge vor ökonomischem und sozialem Abstieg hin. „Die Konsequenz ist eine Abwehr gegenüber denjenigen Gruppen in der Gesellschaft, die mit einem selbst in Konkurrenz um begrenzte Ressourcen zu stehen scheinen: sozioökonomisch Schwache, Geflüchtete, Zugewanderte.“ Dass dieses Gefühl besonders von Menschen in Ostdeutschland geteilt werde, sei kein Zufall. „Sie mussten seit der sogenannten Wende ganz persönlich die Erfahrung des Verlusts, des fundamentalen Umbruchs und des Neuanfangs machen. Gleichzeitig wurde diese Transformationsleistung oft kaum gewürdigt.“ Vor diesem Hintergrund sei es für das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft „unerlässlich, solche individuellen Lebensleistungen und -lagen nicht nur anzuerkennen, sondern auch stärker wertzuschätzen“.

Um die Akzeptanz von Vielfalt in den einzelnen Landesteilen noch genauer darzustellen, wurden die Ergebnisse auch nach Bundesländern differenziert. Die höchsten Akzeptanzwerte zeigen die Bürger Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens, gefolgt von dem Saarland und Hamburg. Das Mittelfeld umfasst Niedersachsen, Bremen, Berlin, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg. Das Schlusslicht bilden Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Stark verschlechtert haben sich die Werte insbesondere in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Das noch 2019 festgestellte West-Ost-Gefälle gebe es bei vielen Kategorien nicht mehr, stellten die Autoren fest, vielmehr bröckele die Akzeptanz im Westen sogar noch stärker. „Das beobachten wir auch in gesellschaftlichen Debatten und Wahlergebnissen“, so Mirbach. „Die Menschen sehen weniger Chancen und mehr Herausforderungen.“

Insgesamt hätten sich die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern von Vielfalt seit 2019 vertieft, konstatiert Mirbach. „Einige politische und mediale Akteure nutzen Unsicherheiten gezielt, um Spaltung noch zu verstärken.“

Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.

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