Für Millionen junge US-Amerikaner war Charlie Kirk die politische Figur ihrer Generation. Was jedoch keinesfalls bedeutet, dass sie mit seinen Überzeugungen einverstanden waren. Das belegen zahlreiche Auftritte, in denen der konservative Aktivist das Rededuell mit gleichaltrigen Kontrahenten aufnahm.

Dabei gelang seinen Herausforderern nur selten ein Punktsieg. Der Gründer der Organisation „Turning Point America“ verstand es, ihre Argumentation auseinanderzunehmen. Legendär sind etwa die Debatten des 31-Jährigen mit Studenten darüber, „was eine Frau ist“. Die wiederholte Behauptung seiner Gegenüber, eine Frau sei eine Frau, wenn ein Mensch sich als solche identifiziere, verhallte nach mehrfacher Nachfrage in dem Raum, in dem Kirk sie mit einem Lächeln stehen ließ.

Anfeindungen, er sei ein Faschist, konterte er mit der sachlichen Bitte um Belege, was er denn gesagt oder getan habe, das als faschistisch bezeichnet werden müsse. Wieder standen die lauten Vorwürfe aufgebrachter Diskutanten wie eine Sprechblase im Raum, um nach ein paar Sekunden zu zerplatzen.

Es waren häufig Lehrstunden für junge Linke, denen auf Kirks hartnäckige Nachfragen irgendwann keine Antworten mehr einfielen. Zugleich bot der Aktivist jungen Amerikanern ein Forum, deren Altersgenossen konservative Überzeugungen tendenziell als rückwärtsgewandt und damit inakzeptabel abtun.

Gleichzeitig vertrat Kirk zweifellos radikal konservative und teils hochumstrittene Positionen. Etwa in seiner kategorischen Ablehnung des Rechts auf Abtreibung und damit der Selbstbestimmung jeder Frau. Er gefiel sich in seinem Macho-Gehabe, zum Beispiel, wenn er es absolut inakzeptabel nannte, wenn ein Mann eine Frau ihren Drink oder das Dinner bezahlen ließ oder wenn er darauf beharrte, dass Frauen Kinder der Karriere vorziehen sollten.

Auch unterstützte Kirk die von der „Make America Great Again“-Bewegung verbreitete Behauptung, dass die Demokraten Migranten ins Land ließen, um ihre Wählerbasis demografisch zu ihren Gunsten zu manipulieren. Die LBGTQ+-Community versuchte in seinen Augen, „Kinder zu korrumpieren“, Homosexualität bezeichnete er als „einen Fehler“.

Doch Kirk ergötzte sich nicht an seinen rhetorischen Siegen, plusterte sich nicht in Selbstgerechtigkeit auf. Deshalb erreichte er auch viele junge Leute, die politisch auf der anderen Seite standen oder irgendwo dazwischen und es schätzten, dass der Aktivist ernsthaft und ohne Krawall die harte Debatte suchte.

Noch wichtiger war indes seine Wirkung auf Millionen seiner jungen Anhänger. Tausende strömten zu seinen Debatten-Events, sein „AmericaFest“ zog seit 2021 jeweils mehr als 20.000 Besucher an. Mehr als 30 Millionen Follower in den sozialen Medien standen für einen Einfluss, den niemand in seiner Altersgruppe für die MAGA-Bewegung von US-Präsident Donald Trump hatte.

Das ließ sich auch bei der National Conservatism Conference Anfang September in Washington D.C. feststellen, wo eine große Zahl junger Konservativer anwesend war. „Wir repräsentieren eine Avantgarde. Aber gleichzeitig auch die Richtung, in die unser Land geht“, erklärte dort Student Nikolai, der seinen Nachnamen für sich behielt, im Gespräch mit WELT. „Unsere Generation wählt mehr rechts der Mitte als die Millennials oder die Gen X. Das Momentum ist ganz klar auf unserer Seite.“

Trump hatte mehrfach betont, dass Kirk und seine junge Anhängerschaft ein Schlüssel dafür gewesen waren, dass er bei der Wahl 2024 seinen Rückstand zu den Demokraten in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen von 24 Punkten im Jahr 2020 auf elf Punkte hatte reduzieren können. „Charlie Kirk wird euch jetzt sagen, dass TikTok bei unserem Sieg geholfen hat, aber Charlie Kirk hat auch geholfen“, erklärte der US-Präsident im Mai bei einem Auftritt im Oval Office, an dem der 31-Jährige teilnahm.

Es hatte beinahe etwas Orakelhaftes, als Trump am Vorabend seiner Amtsübernahme am 20. Januar sagte, „glaubt nicht, wenn sie sagen, die Kids seien alle liberal. Sie sind es nicht. Vielleicht waren sie es, aber das ist nicht mehr der Fall“. Der aktuelle „Yale Youth Poll“ aus diesem Frühjahr gibt ihm recht. Der Erhebung zufolge wählen 22- bis 29-Jährige zwar nach wie vor mehrheitlich demokratisch. Aber bei den 18- bis 21-Jährigen führen mittlerweile klar die Republikaner. Ein Trend, der über die politische Zukunft der USA entscheiden könnte.

Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.

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