Als der katarische Emir Mohammed bin Abdulrahman al-Thani am Dienstagabend eine Pressekonferenz zum israelischen Luftschlag auf die Hamas-Delegation in Doha abhält, spricht er von einer „Zäsur.“ Israels Regierungschef Netanjahu bezeichnet er als „Schurken“, der mit „politischer Zügellosigkeit“ die Region auf ein Niveau bringe, das nicht mehr reparabel sei.

Netanjahu selbst habe einmal verkündet, den Nahen Osten neu gestalten zu wollen, sagt al-Thani. Empört fragt er nun: „Wird er auch den Golf neu gestalten?“.

Ähnlich klingen weitere Reaktionen aus der Region. Dass Israel die Hamas auf katarischem Boden angreifen würde, einem Bündnispartner der USA und international akzeptiert als sicherer Ort für indirekte Verhandlungen zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel über Waffenstillstand und Freilassung der Geiseln im Gazastreifen – das hatte kaum jemand für unmöglich gehalten. Ein Überblick.

Golfstaaten

Noch nie zuvor hatten die israelischen Streitkräfte einen solchen Militärschlag in einem arabischen Golfstaat unternommen. Spätestens seit der islamischen Revolution im Iran im Jahr 1979 gelten die ölreichen Monarchien als die engsten Verbündeten der USA in der Region nach Israel. Als entsprechend geschützt haben sie sich im instabilen Nahen Osten betrachtet. Mehr noch: Jerusalem hat gemeinsame Sicherheitsinteressen mit den Golfstaaten, die einen potenziell atomar gerüsteten Iran ebenso als Bedrohung wahrnehmen.

Aber die Veränderungen im Nahen Osten nach dem 7. Oktober haben an alten Selbstverständlichkeiten gerüttelt. Einst hatten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ihrerseits eine Blockade gegen Katar verhängt, als Maßnahme gegen Dohas Unterstützung für Islamisten in der Region. Sie endete erst im Jahr 2021. Doch angesichts der militärischen Stärke Israels und seines harten Vorgehens in der Region klingt nun vieles nach einem neuen arabischen Zusammenhalt. „Wir stehen mit ganzem Herzen hinter dem Bruderstaat Katar“, schrieb Anwar Gargash, der höchste diplomatische Berater der VAE-Regierung, auf der Plattform X. Und weiter: „Die Sicherheit der arabischen Golfstaaten ist unteilbar“. Sofort am Mittwoch reiste der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Sheikh Mohamed bin Zayed al-Nahyan, nach Doha, um persönlich seine Solidarität auszudrücken. Der saudische Thronprinz Mohammed bin Salman ging noch weiter und verkündete „grenzenlose Solidarität mit Katar“. Das Außenministerium in Riad bezeichnete Israels Angriff als „verbrecherische Aktion“.

Jordanien

Das an Israel angrenzende Jordanien hat 1994 einen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat unterzeichnet. Als der Iran in diesem und im vergangenen Jahr seine Attacken mit Raketen und Drohnen auf Israel startete, halfen jordanische Kampfjets bei der Abwehr. Am Mittwoch warf der jordanische Außenminister Ayman al-Safadi Israel eine „aggressive Expansionspolitik“ vor. Er bezeichnete die Regierung Netanjahus als die „extremistischste in der Geschichte Israels“ und forderte die Weltgemeinschaft auf, sie „kollektiv und wirksam“ aufzuhalten. Al-Safadi kritisierte zudem die Kriegsführung in Gaza, die israelischen Angriffe in Katar, Syrien und dem Libanon sowie die Siedlergewalt im Westjordanland. „Israel gewinnt hier oder da einen Krieg, doch es verliert strategisch – und ist zu einem Schurkenstaat geworden“, sagte al-Safadi.

Ägypten

Aufgrund der Gegnerschaft des ägyptischen Präsidenten Abdelfatah al-Sisi gegen die Muslimbrüder ist das Verhältnis zwischen Ägypten und Katar seit mehr als einem Jahrzehnt konfliktreich. Ägypten war 2015 das erste arabische Land, das die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas als Terrororganisation einstufte und nahm im Jahr 2017 ebenfalls an der Blockade gegen Katar teil. Doch plötzlich ist aus Kairo ungewöhnliche Solidarität zu hören. In seinem Statement fordert der ägyptische Präsident die internationale Gemeinschaft auf, „ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung nachzukommen“ und „die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, damit Israel nicht wie üblich Straffreiheit genießt“.

Allerdings wird auf Ägypten noch eine wichtige Rolle zukommen. Seit Doha als Verhandlungsort mit der Hamas ausfällt, dürften nicht zuletzt die USA erwarten, dass das an den Gazastreifen angrenzende Ägypten seine ohnehin wichtige Vermittlerrolle weiter ausbaut. Weil Kairo wirtschaftlich stark von den USA abhängig ist und eine große Zahl von palästinensischen Flüchtlingen im eigenen Land fürchtet, steht es unter Druck sich einzubringen – auch wenn das offizielle Verhältnis zu Israel derzeit so schlecht ist wie lange nicht.

Abraham-Accords

Eine zusätzliche Entwicklung belastet Israels Verhältnis zu vielen Golfstaaten – und zeigt, dass diese bereit sind, Friedensverträge mit dem jüdischen Staat unter bestimmten Umständen rückgängig zu machen.

Zwar wurden vor genau fünf Jahren die sogenannten Abraham-Accords unterzeichnet, in denen Israel normalisierte Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Königreich Bahrain aufnahm, zudem zu den afrikanischen Staaten Marokko und Sudan. Wirtschaftsdaten zeigen, dass die Bündnisse trotz Krieg in den vergangenen zwei Jahren florieren.

Eine Bedingung bei den Verhandlungen aber war, dass Israel von einer Annexion des Westjordanlandes absieht. Zuletzt hatte der rechtsextreme israelische Finanzminister erneut Pläne vorgestellt, dass Israel 82 Prozent des Gebietes übernehmen solle. Bereits vor dem Luftschlag hatte die emiratische Sondergesandte Lana Nusseibeh in einem Interview mit der „Times of Israel“ erklärt, eine Annexion des Westjordanlands sei für ihre Regierung eine „rote Linie“, die „ein Ende Idee der regionalen Integration bedeuten würde“.

Amin Al Magrebi ist Volontär an der Axel Springer Academy. Für WELT schreibt er unter anderem über Syrien und den Nahost-Konflikt.

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